Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1828 - Hermann von Pückler-Muskau
Stonehenge und der Teufel

 

Gegen drei Uhr klärte sich der Himmel ein wenig auf, da ich nur darauf gewartet, eilte ich, in den, schon im voraus besprochenen, Gig zu steigen und fuhr mit einem Hunter im Galopp nach Stonehenge, dem großen Druidentempel, Grabmal oder Opferaltar. Die Gegend um Salisbury ist sehr fruchtbar, aber leer von Bäumen und in keiner Art pittoresk. Auch das wunderbare Stonehenge steht nur auf einem weit ausgedehnten kahlen Wiesenhügel. Die feuerrote Sonnenkugel ohne Wolken berührte in demselben Augenblick den Horizont, als ich, erstaunt über das unerklärliche Denkmal, das vor mir lag, an den ersten Druidenstein trat, den die untergehenden Strahlen mit schönem Rosa färbten. Kein Wunder ist es, daß dieses Monument vom Volke dämonischen Kräften zugeschrieben wird, denn kaum würde, selbst in unsern Zeiten, mit allen Hülfsmitteln der Mechanik ein solches Werk zum zweitenmal zustande zu bringen sein. Wie wurde es also einem fast wilden Volke möglich, solche Massen aufzurichten und dreißig Meilen weit (denn näher befindet sich kein Steinbruch) herzutransportieren? Das Ganze bildet einen unregelmäßigen Kranz teils noch aufrecht stehender, teils umgeworfner, halb in die Erde wieder versunkner Kromlechs (zwei aufgerichtete Steine, über die ein dritter gelegt ist). Mehrere von diesen bestehen aus einzelnen Steinen von fünfundzwanzig Fuß Länge und zehn Breite, wahre Felsen, so daß manche behauptet haben, Stonehenge sei nur ein Spiel der Natur, was jedoch keinem Augenzeugen zu glauben einfallen wird. Ich war nicht der einzige Beschauer. Ein einsamer Fremder wurde mehrmals sichtbar, der, ohne von mir Notiz zu nehmen, schon seit einer Viertelstunde, beständig zählend, unter den Steinen umherging und sehr ungeduldig etwas zu betrachten schien. Ich nahm mir daher die Freiheit, ihn, als er eben wieder hervortrat, mit einer Frage über sein sonderbares Benehmen zu stören, worauf er mir auch sogleich höflich erwiderte, man habe ihm gesagt, niemand könne diese Steine richtig zählen, jedesmal käme eine andere Zahl heraus, und dies sei ein Trick (Schabernack), den Satanas, der Erbauer dieses Werks, den Neugierigen spiele. Er habe nun schon siebenmal, seit zwei Stunden, die Erfahrung bestätigt gefunden und werde gewiß noch närrisch werden, wenn er sie weiter fortsetze. Ich riet ihm daher, lieber davon abzustehen und sich zu Hause zu begeben, da es ohnehin dunkel werde, sonst könne ihm am Ende Satanas einen noch viel üblern Streich vorbehalten haben. Er fixierte mich satyrisch, mit ganz unheimlichen Augen, sah sich wie nach jemand um, rief dann mit einemmal: »Good bye, Sir«, und zog ohne Schatten wie Schlehmil (die Sonne war freilich untergegangen) mit wahren Siebenmeilenschritten über die Wiese, wo er unter dem Hügel plötzlich verschwand. Ich eilte nun auch von meiner Seite, mich zur Rückkehr zu rüsten, und trabte bald dem hohen Turme von Salisbury wieder zu, den schon die Dämmerung verdeckte. Kaum war ich indes eine Meile scharf gefahren, als der morsche, hohe Gig zusammenbrach und der Kutscher wie ich selbst ziemlich unsanft auf den Rasen geworfen wurden. Der alte Gaul aber lief mit der abgelösten Gabel, lustig wiehernd und in verstärkterem Tempo, der Chaussee und Stadt zu. Während wir uns mühsam aufrichteten, hörten wir auch Pferdegetrappel hinter uns - es war der Fremde, der auf einem schönen, schwarzen Roß vorbeigaloppierte und mir lächelnd zurief: »Der Teufel läßt schönstens grüßen, verehrter Herr! Au revoir!«, und damit sprengte er, wie ein Wirbelwind, davon. Dieser Hohn war wirklich ärgerlich. »Oh, Sie unzeitiger Spaßmacher«, schrie ich ihm scheltend nach, »helfen Sie uns lieber statt Ihrer Fadaisen!« Aber nur das Echo seiner Hufschläge antwortete uns durch die einbrechende Dunkelheit. Mein Kutscher lief zwar dem entflohenen Klepper eine Meile nach, kam aber bald unverrichtetersache zurück. Es half nichts, wir mußten uns entschließen, da auch nicht eine Hütte sich auf unserm Wege befand, die übrigen sechs Meilen zu Fuße zu gehen. Nie schien mir ein Weg langweiliger, und wenig nur entschädigten mich die Wundergeschichten, die mir der Kutscher unterwegs von seinem Hunter erzählte, als derselbe vor zwanzig Jahren noch der leader (Anführer) der salisburyschen hunt gewesen sei.

 

Pückler-Muskau, Hermann von
Briefe eines Verstorbenen
Band 1; Erstausgabe 1829; Nachdruck Berlin 1987

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