1906 - Leo Frobenius
Der rote Elefant
Bei den Bena Mande im Congo
Wir waren erst wenige Minuten gegangen, als ein Eingeborener, über und über erhitzt, keuchend vor Aufregung angestürzt kam: „Nsevu!“ Ich hatte Elefanten bislang aus der Entfernung und nur vom Steamer aus am Kuilu gesehen. Hier sagte ich mir, daß, wenn es gelänge, den Leuten jetzt eine Extraration in Nahrungsmitteln zu verschaffen, wahrscheinlich der Aufstieg zum Lupunguplateau ohne besondere Schwierigkeiten zu erzwingen sein würde, und erklärte mich sofort bereit, den Versuch, einen Elefanten zur Strecke zu liefern, zu unternehmen. Ich ließ die Kolonne aufrücken und lagern. Dann pürschte ich mich an den Rücken einer Hügelwelle und sah nun in einer Entfernung von etwa 1 ½ Kilometer das zauberisch schöne Bild eines Elefantenrudels in einer echt afrikanischen Tropenlandschaft. Die Situation war ziemlich klar. Ein von den Bena Mande zu uns gestoßener Mann berichtete, daß er die Gewohnheiten und Eigenarten dieses Rudels schon kenne. Es seien fünf Tiere, ein junger Bulle, drei Tiere und ein Kalb einerseits und ein alter Bulle auf der anderen Seite. Der alte Bulle würde jedesmal abgeschlagen, wenn er sich dem Rudel nähere. Früher sei er der Mukelenge na Mbao (das Haupt der Gesellschaft) gewesen. Diese Elefanten verwüsteten jede Nacht die Felder der Bena Mande, und zumal dem alten Bullen sei nicht beizukommen. Die Mande hätten schon überlegt, ob sie ihre Weiler nicht verlegen sollten. Man hätte allerhand Pfahlgruben in der Runde angelegt, aber die Tiere seien zu klug.
Was der Mann uns berichtete, hatte Hand und Fuß. Ich konnte deutlich wahrnehmen, daß der alte Herr in bestimmter Entfernung seinem eigenen Lebenswandel nachging. Demnach war der Schlachtplan schnell entworfen. Ein alter Einzelgänger ist immer eine erstrebenswerte Jagdbeute, besonders wenn es sich um ein so riesiges Tier handelt wie augenscheinlich im vorliegenden Falle. Aber die Sache hatte einen Haken. Da oben stand der alte Herr auf einer Hügelkante und just hinter ihm die aufgegangene Sonne. So war es eine mächtige schwarze Silhouette. Er wedelte mit seinen türartigen Lauschern hin und her. Es sah fast aus wie eine große verkehrt gehende Windmühle. Daraus konnte ich ersehen, daß ich entweder die Rute oder die Lichter mir gegenüber hatte; ob das Tier aber mich oder die Sonne ansah, darüber war nicht ins klare zu kommen. Auf eine andere Seite zu pürschen ging nicht an, denn der Wind ging so gerade außerordentlich günstig. Ich überlegte mir nun, wie ich wohl am besten meine Patrone ansetzen könnte, nahm zwei Schwarze und Herrn Lemme [Expeditionsszeichner] als Troß hinter mich und dann ging es los. Aber, o je, wie ging das los! Akaziendickichte bis zur Schulter hoch, einschneidendes, hartes, rauhes Blätterwerk wie Schilf und Ananas; überall mußte ich vor mir das Gras zerteilen, ehe ich einen Fuß vorwärts setzen konnte. Von Zeit zu Zeit richtete ich mich hinter einem höheren Busch aus der gebückten Stellung auf und suchte durch das Fernrohr hinter die Stellung meines Dickhäuters zu kommen. Es war ein Genuß! Herr Lemme nutze die Zeit der Wanderung aus, dies interessante Tierleben in seiner Freiheitserscheinung zu beobachten.
Bei der Entfernung von 250 Metern glaubte ich zu bemerken, daß mein Riesenvisavis unruhig wurde, die Silhouette wurde noch verschönert dadurch, daß die Rüsselspitze sich über den Kopf erhob. Gleich darauf gab es einen Trompetenton, ich glaubte mich entdeckt, holte schnell das Zielrohr aus der Tasche, setzte auf und gab Feuer. Ich nahm an, daß ich die Lichter mir gegenüber habe. Der Schuß saß offenbar gut, aber doch falsch. Der alte Herr brach sofort zusammen. Im gleichen Augenblick wußte ich auch schon, daß ich das Rückgrat in Unordnung gebracht hatte; er hatte mir eben seine weniger schöne Seite zugedreht. Er drehte sich zweimal um, knickte zusammen und – ab nach Kassel! Der Elefant trollte, sich von Zeit zu Zeit herumdrehend und eine Volte schlagend, nach Westen von dannen. Die Hälfte meiner Polizisten verfolgte ihn. Ich konnte ihn in der Entfernung noch weit, weit hinaus sehen. Er schweißte fürchterlich. Die Leute, denen streng verboten war zu schießen, und die den Auftrag hatten, mir das Tier wieder zuzutreiben - es war dies sehr einfach, da sein heimatlicher Sumpf nicht im Westen, sondern im Osten lag -, rückten ihm teilweise nach. Durch das Feuer war auch das andere Rudel aufgescheucht und trabte nach Südosten von dannen. Im Südosten nahm das Rudel nun den alten kranken Bullen wieder auf und bugsierte ihn am Nachmittag langsam nach Westen wieder zurück. Ich selbst patrouillierte im Gebüsch den Rückwechsel ab. Es waren anstrengende Stunden, die aber im weit ausholenden Rundmarsch mir ein gutes Verständnis für die Umgebung eröffneten.
Ich war eben ins Lager zurückgekommen, da kamen zwei Polizisten an: „ Schnell, Herr, schnell, die Elefanten kommen!“ Also rückte ich energisch im Trabe nach Süden von dannen. Auf demjenigen Punkte, auf dem ich meine Mittagsroute kreuzte, gewann ich den ersten Blick auf das Rudel.
Es kam von Westen. Ich sah im Tale die Kolonne richtig anrücken. Den Anblick werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Die Tiere hatten den Alten in die Mitte genommen. Er konnte nicht mehr recht. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen, dann schubsten sie ihn weiter. Das Kalb war ganz im Hintergrunde, und der junge Bulle war offenbar abgeschlagen. Die Tiere rückten in einer Reihe, wie eine Eskadron, Leib neben Leib heran. Da es dunkel wurde, ward es mir sehr schwer, den kranken Bullen zu erkennen. Nur in seinem Trompeten und seinen zögernden Bewegungen merkte ich einen Unterschied. Bald allerdings sah ich auch einen auffallenden Größenunterschied. Als die Tiere etwa 200 Meter von mir entfernt waren, kletterte ich auf eine Krüppelakazie und setzte dem alten Herrn ein Hohlspitzgeschoß ins rechte Auge. Sofort knickte er zusammen, raffte sich aber nochmals auf, das ganze Rudel trompetete wüst in die angehende Nacht hinein, und dann brausten die mächtigen Tiere mit einer Schwenkung nach Süden von dannen. Meine Leute brüllten, die Elefanten trompeteten, der Ast, auf dem ich saß, knackte, und ich sauste auf die Erde. Es ist mir nichts geschehen, aber aus der Entfernung von etwa einem halben Kilometer höre ich nun Rufe: „Mukelenge loa, Mukelenge loa, Mukelenge loa!“ „Herr komm!“ Ich sammle die Fetzen meiner Kleidung zusammen, ergreife die Büchse und stolpere durch das abendliche Dunkel. Ich tue die Büsche auseinander und - ein schöner Schreck - zwanzig Schritt von mir entfernt steht der Elefant! Ich will ganz ruhig beichten, daß ich in diesem Augenblicke die Empfindung hatte wie etwa die bekannte Verwandte von Lot, als sie in eine Salzsäule verwandelt wurde, und so benahm ich mich auch genau wie eine Salzsäule, d. h. ich tat gar nichts.
Der Elefant sah auf mich herunter, und ich sah zu ihm empor. Das eine Licht war ausgeschossen und schweißte fürchterlich. Das andere rollte er in wilder Wut. Die mächtigen Ohren wedelten hin und her. Ich stand und sagte mir: »Wenn du eine Bewegung machst, dann findet er vielleicht noch genügend Kraft, um das Konto auszugleichen, also bleibe stehen.« Ich stand zwei Minuten - es kam mir weiß Gott länger vor - da hob der alte Herr den Rüssel und trompetete - o je, gottlob knickte er gleichzeitig hinten zusammen, trompetete nochmals und lag dann am Boden.
Natürlich blieben wir am anderen Tage im Lager. Lemme entwarf eine Farbskizze des Gesellen, die heute noch unter seinen Arbeiten das meiste Aufsehen erregt, weil er nämlich diesen Elefanten ganz rot dargestellt hat. Er war aber rot, rot wie die Erde hier, rot wie ein Pinselschwein. Ich habe ein Stück der Decke abgewaschen, sie blieb rot. Die Zeitungen haben infolge des Lichtbildes, welches für meine Vorträge hergestellt wurde, die Nachricht gebracht, daß zu den weißen Elefanten Hinterindiens von mir die roten des Kassai entdeckt worden wären. Ganz so schlimm ist die Sache nun nicht. Der Elefant hat eben die Farbe des roten Schlammes, in dem er heimisch ist. Daß die Farbe außerordentlich auffällig ist und keine äußere, abwaschbare Schicht darstellt, ist eine Sache für sich.
Das Tier, das hier vor uns lag, war einer der schwersten Gesellen, der je zur Strecke geliefert worden ist. Der Zahn - leider verfügte er nur über einen - wiegt einen Zentner und hat gegen zwei Meter Länge. Das Tier selbst hatte von der Schwanzspitze bis zum Rüsselende eine Länge von etwa sieben Meter. Die Schlächterei, die nun anhob, war fürchterlich. Große Feuer wurden rund um den Leichnam angezündet, Holzgerüste aufgeschlagen, und meine 350 Neger rösteten sich als Atzung für die nächsten Tage, als wertvolle Zukost zum Maniokbrei, Elefantenfleisch. Uns selber mundete die Sache nicht besonders. Es blieb übrigens noch genügend vorhanden, um den anwohnenden Bauern auch ein paar Zentner überlassen zu können. Die Bena Mande dankten mir dafür, daß ich sie von diesem Untier befreit hatte. Daß die Tat nur eine halbe war, erkannte ich daraus, daß das Rudel in der folgenden Nacht abermals die Felder heimsuchte und gewaltigen Schaden anrichtete. Die Bena Mande drückten ihren Dank noch dadurch aus, daß sie mir einen großen Hundskopfaffen, der im Dorfe frei herumlief, zum Geschenk machten. Es war ein weibliches Tier und führte den Namen »Bansa«. Bansa hat die Expedition nach Europa zurückbegleitet und Ihren Aufenthalt im Zoologischen Garten in Berlin genommen.
Frobenius, Leo
Im Schatten des Kongostaates
Berlin 1907