1725 - Johann Michael Kühn, Matrose
Als Sklave verkauft
Algier
Endlich kamen unsere Räuber den 24. April mit ihrer Prise und uns armen Sclaven im Hafen von Algier an, und begrüßten das Castell mit 16 Canonen-Schüssen. Der Räuber-Capitain ließ sich mit etlichen der vornehmsten sogleich ans Land übersetzen, wir Sclaven aber nebst den meisten Türcken blieben an Bord desselben, bis den 26. April, da der Capitain Hasenberg nebst den noch vier gesunden Personen in die Stadt Algier gebracht wurde.
Den 27. musten wir Blessirten auf einem Boot nach dem Lande, und unter etlichen bestialischen Begleitern durch die Mulei oder Damm-Pforte in die Stadt, und erstlich auf den Padissan, oder Menschenmarckt. Weil nun dieses eben der Char-Freitag, so seuffzete ich zu meinem Erlöser von Hertzen, tröstete mich seines Leidens, und fand dadurch viel Gelassenheit in mir selbst. Es führete mich sogleich ein Ausruffer auf diesen Sammel-Platz alles irdischen Jammers zum öffentlichen Verkauf herum, und bot mich feil. Nun fanden sich zwar einige Kauff-Leute ein, welche aber nicht genug geben wollten, deswegen der Räuber, so uns genommen, selbst ein gewisses Geld auf mich setzte; der Telial oder Ausruffer führte mich alsdann noch einmal herum, und schrie Arache! Arache! Oder wer giebt mehr; als sich aber niemand fand, der mehr bezahlen wollte, wurde ich einstweilen mit einer schweren Kette gebunden, in ein dunckel Loch gestecket, und das war mein erstes Nacht-Quartier in dem verfluchten Algier. Den heiligen Oster-Abend muste ich eben wieder den vorigen Reigen tantzen, und stand hernach den gantzen Vormittag ohne daß jemand etwas mehr auf mich geboten, bis zu Mittag ein Türcke mit einem Juden kam, welche mich splitternackt besah, wie ich von Mutter-Leibe gekommen war, die Hände betastete, und mich lauffen und springen hieß; dieser wagte gleich eine größere Summe für mich zu bezahlen; weil aber mein Räuber sich nicht dazu verstand, wurde ich ihm zu Theil; wie viel er aber für mich bezahlte, habe ich nicht erfahren können, und damals verstand ich die Sprache nicht.
Sobald mich mein Patron gekaufft, ließ er mir eine 12pfündige Kette in einer Schmiede um Hand und Fuß legen, und in solchem Schmuck muste ich mit ihm nach seinem Logis zu traben, welches 200 Schritte ungefähr vor dem Thor Babel-Sand in einem Garten lag, und aus einem ziemlich regulair gebauten Hause bestand. Sobald ich daselbst angelangt, zeigte mir der Parton hinter seinem Hause ein Loch, wie ein Hunde-Loch, das weit unter die Erde gieng, und befahl mir unverzüglich dahinein zu kriechen, mit folgenden Complimenten: Hier, Hund, ist dein Quartier. Ich erschrack vor diesem Quartier hefftig, und konnte mich der Thränen nicht enthalten; darüber bekam ich ein paar Rippen-Stösse, und mich also accommodirte auf allen Vieren hinein zu kriechen.
Ich fand hier einen gewölbten Keller ohne Fuß-Boden, der an einem Orte hoch, am andern niedrig war, am Ende aber lag ein Pfuhl voll allerley Ungezieffer, und vorne, wo wir logirten, frassen uns die Mäuse und Ratten bald lebendig auf. Zu meinem grössten Trost traff ich hier 2 von meinen Kameraden an, nemlich den Unter-Steuer-Mann, und des Boots-Manns Magd, welche mein Parton auch gekaufft hatte; ausser dem befanden sich noch 5 Sclaven drinne, welche Spanier und Italiener waren, und sich wenig um uns bekümmerten, weil sie des Elends schon gewohnt waren. Von unserer übrigen Equippage hatte der Dey den Capitain, den Schiffs-Zimmermann, den Barbier, den Schmied, und einen Jungen von 12 Jahren gekaufft, wo aber die übrigen hingekommen, habe ich meine Lebetage nicht erfahren können.
Wir bekamen zwei Tage Rast, ich wurde an meiner Blessur [einer durchschossenen Hand] alle Tage zweimal verbunden; sobald aber diese Zeit vorüber, bekamen wir Ordre, an unsers Patron Schiff zu arbeiten, wobey der Cujon durch einen Juden auf allerley listige Art nach unserer Heimath, Vermögen, Profession etc. fragen ließ. Er erfuhr aber wenig, oder gar nichts, und nannte mich einen kleinen Bautzner. Zu bejammern ist es, daß auch hier die Christen der Liebe so sehr gegeneinander vergessen. Denn wenn die Sclaven auf den Padissan geführet werden, finden sich gleich viel alte Sclaven ein, welche sie genau besichtigen; kennen sie einen darunter, geben sie es bey den vermögenden den Türken an, mit Versicherung, ihn zu kauffen, er habe Mittel, stehe in guten Umständen und könnte sich wohl ranzionieren [freikaufen], dafür bekommen sie ein Trink-Geld. Der arme Sclav aber, wenn er läugnen will, wird bald durch die Peitsche des Guardians zum Bekenntiß genöthigt, und mag er alsdann nun ernstlich auf seine Rantzion dencken, wenn er seine Hölle nicht auf Erden finden will. Ja die Türcken wollen so klug seyn, daß sie sich rühmen, aus der Physiognomie unfehlbar zu wissen, ob einer aus einem vornehmen Geschlechte oder nicht; darinnen sie sich aber vielmals gewaltig betrügen, und mancher arme Schelm, der einen guten Recommendations-Brief im Gesichte hat, und sonst wohl nicht einen Hellerwerth im Vermögen hat, in desto grössere Gefahr läufft, auf eine sehr wichtige Art von seinem Patron aestimiret zu werden. Ich hatte das Glück, daß mein Patron meinem Geständniß, daß ich blutarm, gleich anfangs glaubte, und blieb also ins künfftige mit aller weitern Ansprache verschont.
Ungeachtet nun, daß ich und der gewesene Steuer-Mann, wie bereist erwehnet, beyde hart blessirt waren, musten wir doch auf Befehl unsers Patrons unser ehemaliges Schiff zur Caperey ausrüsten. Es gieng sehr sauer her, weil ich nur mit einer Hand arbeiten konnte; das wollte aber nicht helfen, ich muste, Prügel-Suppen zu vermeiden, welche jeder hier unfehlbar zu erwarten, wenn er sein aufgegebenes Tage-Werck nicht vollendet, mein äussertes thun; dazu musten wir unser Brod eine Viertel-Stunden weit holen, und noch täglich zweymal zum Barbier gehen, um uns verbinden zu lassen, welches allemal ein ziemliches von unserer Zeit hinnahm: denn wenn wir das Versäumte einbringen wollten, durfften wir uns nicht viel umsehen. Unser Brod kam demjenigen geschroteten und gedorrten Gersten-Teige bey, wo mit man in Teutschland, und sonderlich in Thüringen, die Gänse zu mästen pflegt, und wünschte ich mir offtmals diejenigen Brocken zu meinem Labsal, womit ich mich in meines Vaters Hause mit meinen Brüdern aus Leichtfertigkeit beworffen.
Ich wurde innerhalb von vierzehn Tagen so weit curirt, daß ich mit meiner kranck gewesenen Hand wieder völlig zugreiffen konnte, wiewohl die beyden zerschossenen Finger lahm und steiff blieben. Einstmals, als das Schiff fast equipperet war, und ich nebst dem gewesenen Unter-Steuermann vom Brod-holen wieder ins Schiff kamen, erhielten wir Befehl, eine Quantität von 10 15pfündigen Stück-Kugeln in den Raum des Schiffs zu bringen. Weil dieses nun eine sehr saure Arbeit, so setzten wir uns ein paar Minuten nieder um auszuruhen, wir wusten aber nicht, daß uns der Patron im Auge hatte; dieser befahl uns augenblicklich auf die Tenne des Schiffes zu kommen, und auf das Muster-Werck nieder zu legen. Etliche Sclaven musten uns an Hände und Füßen feste binden, darauf der barbarische Patron jedem mit einem Stück Tau 50 Schläge auf den Hindern gab. Nach Verlauff einer halben Stunde kam er wieder und gab einem jeden noch einmal so viel Hiebe als vorhin; ich krümmte mich wie ein Wurm und brüllete aus Leibeskräften, hatte auch meine Hände an den Stricken, womit sie gebunden waren, bis auf die Knochen wund gerieben, es halff aber alles nichts bey diesem Hunde zur Barmhertzigkeit, und habe ich damals mehr als 100 Schläge bekommen. Ich rieff meinen Gott an, daß er doch des Patrons Hertz erweichen möchte, damit er aufhörte zu schlagen, aber der Hund hatte seinen Gefallen daran, wenn wie tapfer heulten, sodann ließ er uns wieder eine Stunde liegen, und Nachmittags ungefähr vier Uhr bekam jeder wieder 100 Prügel, dabey ich meinen Hals so wund geschrien, daß ich nicht mehr konnte. Als wir so beynahe sechs Stunden gelegen hatten, wurden wir loß gebunden, ich aber konnte mich nicht rühren, viel weniger stehen oder sitzen, deßhalben uns die andern Sclaven wegschleppen musten, die uns in eine Ecke brachten, wo wir, so zu sagen, wie das Vieh lagen, indem ohne die vielen Schläge uns auch dermassen abgemattete hatten, daß wir uns je eher je lieber den Tod wünscheten. Der Neben-Sclaven einer, ein Genueser und frommer Kerl, mit Namen Frantz, brachte uns zu einiger Erfrischung jedem einen Trunck Wein, nebst etwas weissem Biscuit, wiewohl solche heimlich geschah. Wir dankten Gott und diesem christlichen Frantz tausendmal davor, dieweil wir ohne die Schläge auch den gantzen Tag nichts von dem Patron zu essen bekamen.
Des andern Tages früher mit anbrechendem Tage musten wir wieder an die Arbeit, ungeachtet daß wir kaum alleine aufrecht stehen konten, aber die Furcht vor unserem Hund und dessen Tau lehrte uns wohl Kugeln schleppen, dabey hätten wir umfallen mögen. Von nun an lernete ich mich allgemach in mein Unglück zu schicken.
[Kühn wurde 14 Jahre später nach einer Lösegeldzahlung freigelassen und kehrte nach Deutschland zurück – siehe separater Text.]
Kühn, Johann Michael
Lebens- und Reisebeschreibung …
Gotha 1741