1738/39 - Johann Michael Kühn
Nach 14 Jahren aus der Sklaverei losgekauft
Algier
Der Leib war müde, das Hertz den gantzen Tag traurig und verdrossen, Speise und Tranck nahm ich wenig zu mir, und erstieg in mir der höchste Grad der Verzweiffelung. Erstlich verzweifelte ich an göttlicher Hilfe und Gnade, weil ich so viel Jahre vergeblich um Rettung geseuffzet, und sich alles mehr wider als für mich schickte; hernach an mir und meinem Leben, welches ich gar nicht zu haben wünschte, doch ungerächt wollte ich auch nicht sterben, deswegen schwur ich meinem Patron, seinem Weibe und beyden Söhnen den Tod; ich wollte sie erst erwürgen, und mich hernach ins Meer stürzen und ersäuffen. Ich fand zu meinem Vorhaben ein grosses Boots-Messer im Hause, so mir der Satan vielmehr in die Hände gab. Dieses schliff ich so scharf wie ein Scheer-Messer, und verbarg es heimlich in meinem Loche. Der Freytag, welcher der Türcken Sabbath, war fest zu solcher Mordgeschichte determiniret, und ich wartete dahin mit vieler Ungedult, hatte des Nachts wenig Ruhe, fuhr im Schlafe auf, und fand jetzo ein melancholisches, boßhafftiges und recht blutdürstiges Hertz in mir.
In diesem grossen Elende ergriff mich Gott, der mich bis hierher wohl hatte sincken, aber nicht gäntzlich wollte fallen lassen, und ließ durch eine unverhoffte, aber mir höchst erfreute Begebenheit mein Gemüth gantz und gar ausgeheitert werden.
Es war bey uns Christen der Oster-Dienstag 1738, als früh Morgens ein Domestique von dem holländischen Konsul in meines Patrons Haus kam, und nach mir fragte, auch als ich kam, mir im Namen seines Herrn sagte, daß ich unfehlbar mich heute zu ihm begeben müsse, weil er in wichtigen Angelegenheiten mit mir zu reden habe. Diese Post war mir so seltsam wie erfreulich. Ich stahl mich deßwegen von der Arbeit, versprach meinen Cameraden ein gut Trinck-Geld, wenn sie heute so viel vollbrächten, daß man meine heutige Abwesenheit nicht spüren möchte.
Sobald ich in des Consuls Haus eingetreten, wurde ich zum Consul selbst gelassen, der mit sehr grosser Freundlichkeit und Bescheidenheit nach meinem Geschlecht, wie lange ich hier Sclave, und ob ich mich nach Erlösung sehnete, und sonderlich fragte, wie viel Jahre ich meinen Bruder nicht gesehen. Ich sagte, mehr als 12 Jahre, wo wir zum letzten Mal in Hamburg beysammen gewesen. Ich beantwortete ihm auch alle anderen Fragen mit Wahrheit und Redlichkeit, er hatte einen Zettel neben sich auf dem Tische liegen, in welchem er, wie ich merckte, nachsah, ob meine Antwort mit den ihm beschriebenen Umständen überein käme, oder nicht. Während des Examens ließ mir der gütige Herr Speise und Tranck im Überfluß reichen, womit ich mich auch recht wohl erquickete.
Als nun Mahlzeit und Examen fast vorbey, fragte mich der Consul, ob ich mir wohl wünschte, meinen Bruder wieder zu sehen? Wobey ich tieff aufseufzete, viel Thränen fallen ließ, und sprach: Ach, gnädiger Herr, das wird in der Welt wohl nicht wieder geschehen; er stieß drauf mit dem Fuß an die Thür des Neben-Zimmers, und siehe, mein Bruder Georg Kühn trat augenblicklich in des Consuls Zimmer ein. Diese Gegenwart war mir so wunderbar, daß sie mich gäntzlich betäubete, und ich nicht ein Wort reden konnte. Mein Bruder fiel mir um den Hals und sprach: Ach kann es möglich seyn, Michael, daß ich dich in solchem armseligen Zustand in der Welt vor mir sehen muß? Darauf wir hertzlich zu weinen anfingen, und ich replicirte: Ach, liebster Bruder, ich bin der unglücklichste Mensch, der nun über 13 Jahre in der Sclaverei geseuffzet, du kommst auch zu mir, mich in meinem Elende zu besuchen, und da gieng das Heulen und Schreyen dermassen von neuem an, daß der Consul der Thränen sich nicht enthalten konnte, sondern brav mitmachen muste. Ich war nicht im Stande, meinen Bruder um die Ursach seiner Ankunfft wegen hefftiger innerlicher Bewegung zu befragen, deßwegen brach er als erster das Stillschweigen, und sprach: Mein liebster Bruder, ich bin hierher gekommen, daß ich dich aus deiner seitherigen Sclaverei mit der Hilfe Gottes ranzionieren [auslösen] will, darüber ich vor Freuden ausrieff: Ach Gott! Du hast meiner noch nicht vergessen, soll ich dereinst mein Vaterland wieder sehen, so geschehe dein Wille.
Wir musten uns beyde auf des Consuls Befehl an den Tisch niedersetzen, und hatte derselbe einen Brieff, welches eine gnädige Vorschrifft derer Herren der General Staaten aus dem Haag war, in welchem dieselben dem Consul meine Sache bestens recommandiret, wie derselbe mich auch ausfragen, mit meinem Patron wegen der Rantzion accordiren, und darüber durch meinen Bruder wieder Bericht erstatten solte. Diese Worte fielen mir hart in die Ohren; denn ich meynte, mein Bruder sollte mich sogleich mit von Algier wegnehmen. Der Consul aber wies mich mit vernünftigen Gründen noch zu einer kleinen Gedult, weil die Sache an sich Richtigkeit hätte, und so gewiß, als geschehen, wofür er selbst haften wollte. Mein Bruder trat ihm bey und sagte, es sey ein Irrthum geschehen, er glaubte die Rantzions-Gelder alle in Bereitschafft, und habe er nicht anders geglaubt, als daß man ihm die Wechselbrieffe an irgend einen begüterten Kauffmann allhier mitgegeben, der den Vorschuß einstweilen thun sollte. Er versicherte mir dabey mit den kräftigsten Eydschwüren, nicht eher zu ruhen, bis er mich in Freyheit gesetzet. Darauf wir uns demüthig bey dem Consul bedanckten, und uns beurlaubten, und begleitete ich meinen Bruder bis ans Wasser, wo ich Abschied von ihm nahm, und in meine Höhle zur Ruhe kroch. Ich konnte diese gantze Nacht nicht einen Augenblick schlaffen, sondern brachte die Zeit mehrentheils mit der Betrachtung meines Schicksals zu, darinnen ich am Ende nichts mehr als eine wunderliche doch selige Schickung Gottes fand, die mein Hertz vollkommen zufrieden sprach. Sobald ich das Morgens wieder an die Arbeit gekommen, wechselte ich mit meinem Neben-Sclaven die Verrichtung, ließ ihn in die Stadt zum Dienst gehen, und ich blieb im Garten, sagete darauf dem ältesten Sohn meines Patrons, daß mein Bruder hier, und bat zugleich um Erlaubniß, daß er zu mir in den Garten kommen dürffte, welches er nicht allein willigst gestattete, sondern auch begierig war, ihn zu sehen. Gegen Mittag kam mein Bruder eben, als der Sohn des Patrons bey uns Sclaven zugegen war. Nach einigen Redewechseln mit mir verdollmetschte ich ihm, daß dieser mein Bruder von nun an Geld zusammenbringen wollte, mich los zu kauffen, worüber der junge Türck lächelte, und mich sanft auf die Schultern klopffete; ich bat aber denselben, daß ers beim Patron gelegentlich anbringen möchte, daß der mich nach so viel treu geleisteten Diensten um eine billige Rantzion los ließe, welche Bitte mein Bruder mit einer vortrefflichen ostindianischen, reich mit Silber beschlagenen Tobacks-Pfeiffe begleitete, darüber er eine außerordentliche Freude bezeugete, und das beste bey seinem Vater, meinem Patron, zu thun versprach, und damit aus unserer Gesellschaft abgieng, dessen wir auch von Hertzen wohl zufrieden waren. Der Patron ließ mich wissen, daß ich Zeit des Aufenthaltes meines Bruders allhier Freyheit von der Arbeit haben sollte, was mir sehr angenehm war. Ich durchstrich daher mit demselben alle Tage die Stadt und zeigete ihm alles merckwürdige in gantz Algier, brachte ihn auch in eine Fonducke oder Marquetenterey dergleichen des Königs Sclaven gegen einen wöchentlichen Tribut alle zu mieten Erlaubniß haben, und hielt ich meinen Bruder wohl aufgehoben, weil ich einen Sclaven kante, welcher ein Corse von Geburt war und Antoni hieß. Mein Bruder wagte sich und schlieff 3 Nächte bey mir in einem Keller, wo er die ganze Nacht nichts that als mein seitheriges Elend zu bejammern und zu beseufftzen, mit höchster Obligation, daß er das Tractament nicht ein Viertel Jahr ausstehen ausstehen könnte. Eines Tages brachte er mir ein Labsal bey seinem Besuch mit, einen halben Eymer spanischen Wein, etwas Bisquit, 2 westphälische Schinken, eine Quantität englische Picklinge, einen holländischen Käse und englisches Brod, gab meinen armen Neben-Sclaven jedem etwas davon, das andere behielt ich für mich; ich konnte mich damit wohl ergetzen und vielmal erquicken; ich hatte dergleichen in 13 Jahren nicht gesehen. Mein Bruder schenckte mir auch einige Dukaten, die mir sonderlich wohl zustatten kamen. Kurz vor seiner Abreise dachte ich ihm eine Ehre anzuthun, lieff deshalb zu einer Mohrin und kauffete ein junges wildes Ferckel, das würgete ich und brachte es übers Feuer. Mein Bruder kam just dazu und lachte herztlich über die Kocherei, doch bratete ich es herrlich, ich holte etliche Maaß Wein dazu, und wir liessen es uns hertzlich wohl schmecken. Obwohl wir weder Schüssel noch Teller hatten, sondern jeder seine Portion von den höltzernen Brat-Spiessen abschneiden muste.
Sobald mein Bruder seine Abfertigung vom holländischen Consul erhalten, eilete er wieder nach den europäischen Küsten, und gieng an Boort eines englischen Schiffs, welches ihn mit vielen Segeln bald aus meinen Augen trug. Ich war nun wieder allein, und eilete theils vergnügt, theils betrübt nach Hause, woselbst ich bey meiner Ankunfft gleich einer süssen Frucht von meines Bruders Daseyn genoß. Der Patron ließ mich nämlich ruffen, und als ich vor ihm erschien, sprach er: Michael, deine Rantzion ist mit dem holländischen Consul veraccordiret, und hast du nun so viel Freyheit, Tags zu thun, was du willst. Ich küsstete ihm den Rock und versprach gleichen Fleiß wie vorher, doch wurde ich in der That nicht mehr so hart und sträfflich gehalten wie vorher, bekam auch ein besseres Tractament, und dieses alles auf des Consuls Bitte und Anordnung. Ich danckte Gott und betete fleißig für meinen Bruder Georg, daß er gesund im Haag ankommen möchte. Er war gleichfalls ein nunmehr versuchter und erfahrener See-Mann, der zweymal mit in Ost-Indien gewesen, und sonsten die 4 Welttheile befahren; ich hatte also zu seiner ausgehärteten Natur ein vollkommen gutes Vertrauen.
Ich that also meine Arbeit vor wie nach, und nach wie vor, und sah mich auf das sorgfältigste vor, daß ich die türckische Gunst-Bezeugung nicht mißbrauchte. Jetzt bekam ich meine Kost meistens von des Patrons Tisch, wurde von seiner ganzen Familie werther gehalten als vorher, von seinen beyden Söhnen aber aufrichtig geliebet.
Ungefähr 1 Monat nach meines Bruders Abreise geschah wieder eine Execution an 2 Königs-Sclaven, welche sich mit 2 türckischen Weibs-Bildern verunreiniget, und weil sie keine Türcken werden wolten, augenblicklich zum Scheiter-Hauffen zur Marter musten. Solches verbrennen war jämmerlich genug, es war eine Grube, einen halben Mann tieff in die Erde gegraben, die im Diameter ungefähr 4 Ellen hatte; diese sah man mit Stroh und Reisig etwa eine Elle hoch über den Erdboden angefüllet. Die armen Sünder wurden nacket an Pferde-Schwänzen bis zu diesen Fehm-Stätte geschleifft, hernach halb todt auf den Scheiter-Hauffen gebracht, und das Feuer allerorten von den Türcken angezündet. Sobald es in voller Flamme, so traten die Schinder-Knechte, zurück, das Pöbel-Volck aber warff Steine und Erd-Klöse darein, daß es verlöschen muste, ehe die Körper gäntzlich durch die Flamme consumiret, zogen alsdann dieselben halb gebraten und halb verbrannt heraus, zerrissen und zerschlugen sie, daß kein Glied am andern blieb, und nachdem sie ihren Muthwillen genug damit getrieben, liessen sie dieselben liegen, so hernach die christlichen Sclaven zusammen rappeten, und auf ihrem Gottes-Acker begruben. Die türckischen Weibs-Personen führeten sie des andern Tages in einer Chalouppe aufs Meer, hiengen ihnen Steine an den Hals, und warffen sie über Boort. Viele Christen fallen aus Furcht vor dieser Strafe ab und werden Renegaten, welches hernach die ärgsten Schinder und Christen-Feinde sind, und hat sich ein Sclave wohl vor dieser Falle zu hüten, die ihm von den türckischen und mohrischen Weibs-Bildern geleget wird, welche des Beyschlaffes mit den Europäern, sonderlich den Deutschen, höchst begierig, und wenn sie dessen einmal genossen, werden sie nicht eher nachlassen noch aufhören, bis sie den Sclaven entweder gänztlich zu ihrem Willen, oder um das Leben gebracht haben.
Endlich trat das längst gewünschte Erlösungs-Jahr ein, in welchem ich der langwierigen Sclaverey und dem verfluchten Algier gute Nacht geben sollte, und dieses war das 1739. Jahr. Im Februario wurden die 4 neuen Gallioten, so der Dey im Jahr 1737 hatte zu bauen anfangen lassen, fertig, und den 1. Martii vom Stapel gestossen; dabey gieng es trefflich her, unter andern gab der Dey 4 Sclaven umsonst und ohne Geld loß, und die anderen Sclaven, die mit am Schiffs-Bau geholffen, bekamen eine Ergötzlichkeit an weissem Brod und Wein. Jeder dieser Gallioten nahm 50 Canonen und 400 Mann Equippage an Boort, und lieffen dieselben den 1. April en Compagnie 4 Particuliers und 2 Caravellen in See, und verschworen sich die Türcken hoch, dieses Jahr allen Schaden zu revangiren, den sie von den Christen erlitten. Wie denn auch wirklich zu Ende des Aprils 2 von den Particuliers wieder mit einer reichen Prise auf der Rhede vor Algier ankamen, die sie in den spanischen Gewässern genommen. Es war ein spanisch Schiff, welche Rekruten und andere Kriegs-Nothwendigkeiten für die Besatzung zu Oran aufgehabt. Die Türcken hatten gleichwohl 132 Spanier, darunter viele Officiers und Officiers-Weber, zu Gefangenen gemacht. Es war aber zum Theil miserabel Volck, weil ich es alles auf dem Padissan [Sklavenmarkt] mit beschaute.
Inzwischen hatte mein Bruder sich in Holland und Teutschland, vornehmlich aber in meiner Vater-Stadt zu Gotha viele Mühe meinethalben gegeben, und sonderlich die gnädige Vorsorge und Bemühung Serenessimi meiner Erlösung wegen ist nie genug zu rühmen. Höchst dieselben trugen nicht allein die ansehnlichste Summe zu denen Rantzions-Geldern bey, welche bis auf 800 Reichsthaler zu stehen kamen, sondern ließen auch durch Dero Agenten die 200 Reichtshaler von der hamburgischen Kauffmannschaft heben, welche sie zur Rantzion solcher Sclaven beizuschiessen pflegt, die im Dienst eines hamburgischen Kauffarthey-Schiffes gefangen werden, und endlich eine christliche Collecte in Gotha und Altenburg veranstalten, welche in Gotha 118 Reichthaler, in Altenburg aber 36 Reichtsthaler betragen, dazu ein Hoch-Edler Magistrat von meinem väterlichen Erbe 200 Reichsthaler hat nehmen lassen, daß alle so weit, Gott Lob, in Bereitschafft, erstlich nach Hamburg, von da auf Befehl menes gnädigsten Herrn nach Marseille einem Banquier, Monsieur Fisquette genannt, und von diesem an den holländischen Consul nach Algier, Pallavivini, übermacht wurde. Es gieng aber damals mit der Correspondence etwas langsam her, und mein Bruder vermuthete gar Unrichtigkeiten, resolvierte also, mir bis Hamburg und Amsterdam entgegen zu gehen, oder gar noch einmal nach Algier zu reisen. In Hamburg erfähret er zwar mit Sicherheit daß ich loß sey, wuste aber nicht, wie ich meine Tour auf Gotha halten würde, deßwegen ließ er seine Adresse und Brieffe auf der Börse, wo ich ihn suchen sollte, wenn ich in Hamburg eintreffen möchte, er selber aber gieng nach Hamburg, allda ihm der lutherische Geistliche Domine van Carl versicherte, daß ich über Nantes zu Amsderdam eintreffen würde, weswegen er daselbst bis zum Ende des 1739. Jahres meiner wartete, da ich unterdessen recta auf Hamburg zugieng und Amsterdam nicht sah, wohin ich aber meinem Burder meine Ankunfft avisirte, der bald bey mir war.
Mit meiner Erledigung hatte es folgende Beschaffenheit: Den 14. Mai, als ich eben mein Mittagsbrod gespeiset, kam der jüngste von meines Patrons Söhnen zu mir in den Garten und berichtete mir, daß sein Vater zum holländischen Consul geruffen worden, und daß viel Geld bey demselben engekommen, etliche Sclaven, vornehmlich aber mich, zu ranzioniren. Gegen den Abend kam der Patron selbst in den Garten, rieff mich und sprach: Michael, ich will dich loß geben, so du aber bey mir bleiben willst, will ich dich frey geben und die das Geld dazu schencken, besinne dich diese Nacht. Ich antwortete nicht viel, schlug die Hände zusammen, und sprach: Ach Patrono, Freyheit, Freyheit, dabey ich zu weinen anfieng, und seinen Rock-Zipffel küssete.
Also kroch ich das letztemal in mein Sclaven-Loch, konnte aber vor inniglicher Bewegung und Freude nicht schlaffen, sondern stellete mir bald die Christenheit und meine Vater-Stadt, die ich nun wieder betreten sollte, vor, und erwartete des Tages mit vielem Verlangen. Endlich erblickte ich dies Licht dieses mir höchst glückseligen Tages, es war der 15. Mai des 1739. Jahres, an welchem mein Patron mich rieff, und muste ich ihn zum holländischen Consul begleiten; mithin gab ich meines Patrons Behausung, Arbeit, Garten, Sclaven und Sclaven-Quartier auf ewig gute Nacht, und gieng mit in des Consuls Behausung. Der Patron war wohl eine gute Stunde in des Consuls Zimmer vor mir, ehe ich auch hinein geruffen wurde; sie hatten sich erst und die Rantzion miteinander verglichen, und der Patron mich sogleich nach dem Vergleich frey gesprochen. Sobald ich eingetreten, fragte mich der Consul, ob mir die Zeit lang geworden, ehe diese Stunde gekommen, anstatt ihm aber auf seine Frage zu antworten, fuhr ich heraus und fragte: Ach, gnädiger Herr, komme ich denn gewiß loß? Der Consul antwortete, du bist schon loß, ich habe Brieffe und Geld deiner Ranztion wegen bekommen, auch dem Patron bereits 570 Reichsthaler, so hoch ist nämlich der Accord, bezahlet; hierauf hob er ein weisses Tuch von einem Tische im Zimmer weg, da lag das Geld alles aufgezehlet, welches der Patron alles bejahete, und und mir meine Freyheit mittelst eines Handschlages zusicherte, an seinen Bart griff, und nach türckischer Manier einen Eyd that.
Der Patron besah hierauf das Geld nochmals, rieff mich zu sich, und ich muste mit ihm ein wenig vor die Thür des Zimmers gehen. Hier sagte er zu mir: Michael, heute kanst du dein Glück groß und vollkommen machen, du bist nun frey, das ist wahr, aber wenn du dich willst beschneiden lassen und ein Türck werden, will ich dir die Rantzions-Summe schencken nebst der Freyheit, du solst bey mir im Hause bleiben und der Ober-Aufseher aller meiner Güther werden, auch dabey handeln, was und womit du willst; sollte es wieder zu Schiffe gehen, gebe ich dir hiermit den Platz und die Gage eines Schiff-Zimmermanns. Du weist, wie groß und angesehen meine Freundschaft allhier ist; wenn du mir folgen willst, so will ich dich durch eine Heyrath so einsetzen, daß du dein Lebetag genug haben solst. Du suchest dein Vaterland so begierig, was wirst du da mehr finden, wenn du der Menschen Neugierigkeit vergnüget hast, als Armuth und Verachtung, da du hingegen bey uns bleiben, Ehre und Ansehen die Menge gewinnen kanst. Du must eine weite und gefährliche Reise thun, auf welcher dich das Glück aufs neue äffen kann, hier aber hast du deinem Schicksal ausgetrotzet, und durch Gedult alle deine Widerwärtigkeiten überwunden, daß du dich gewiß der neu aufgehenden Sonne zu bedienen hast: Wer wird dir in deiner Heimath gleich ein Kapital von so viel hundert Thalern, eine ansehnliche Versorgung, und reiche Heyrath geben? Du bleibest ein Verlauffener, ein Verachteter, der kaum das Bettel-Brod zu seiner Erquickung haben wird, besinne dich, und stehe dir nicht selber im Licht. Ich antwortete ihm aber kurz: Patrono, dein Versprechen ist gut, thue dasselbe aber einem andern, den du damit gewinnen kanst. Ich dancke Gott, dem will ich allein dienen, und sonst keinem andern, dem will ich allein anhangen, der wird mich gesund in mein Vaterland bringen und mich daselbst versorgen. Es ist wahr, wie du sprichst, daß ich endlich meinem harten Verhängniß ausgetrotzet, aber du bist dessen bitteres Werckzeug gewesen, du hast in meinen Thränen deine Freude, und meinem Angst- und Ach-Geschrey dein eintziges Vergnügen gefunden, zu dem Ende du mich viel hundert mal ohne Ursache geschlagen, und habe ich alle Stunden in augenscheinlicher Gefahr des Todes zu bringen müssen. Daher will ich lieber ein Bettler unter den Christen als dein Verwalter seyn.
Der Patron schwieg darauf stille, gieng wieder hinein ins Zimmer, strich sein Geld zusammen und gieng damit fort. Als ich mich nun dergestalt in Freyheit sah, danckete ich zuvörderst dem allmächtigen Gott durch ein in des Consuls Zimmer laut ausgesprochenes Gebet auf meine Knien, gieng hierauf zum Consul und bedancktete mich tausendmal für seine gehabte Mühe. Der Consul befahl mir hierauf in seinem Hause zu bleiben, die Straße zu Algier und alles Ausgehen zu vermeiden, bis er mich zu gelegener Zeit mit einem christlichen Schiffe abschicken könnte, da mir so lange an Verpflegung in seinem Hause nichts abgehen sollte.
Binnen 8 Tagen ranzionierte der Consul noch 8 Hamburger, und er muste für den einen 1500 Thaler bezahlen; es war auch einer dabey, der bereits 36 Jahre in der Sclaverey allhier zugebracht und in seinem Alter seinen Vaterland wieder sehen solte. Der Consul sorgte ferner, daß der Dey sein ordentliches Abzugs-Geld und ich dagegen einen Frey-Zettel erhielt, welcher mich auf meiner Heim-Reise vor aller weiteren Sclaverey sicherte, auch wenn mein Schiff von einem neuen Räuber sollte genommen werden; er bezahlte im Hafen meinen Tribut, und machte mich mit Formierung meiner kleinen Equippage durchaus schiffbar. 27 Tage brachten wir beym Consul zu, hielten in der Zeit in seinem Hause das heilige Pfingst-Fest mit Beten und Singen, und wurden 2 Tage mit Speis und Tranck herrlich von ihm bewirthet.
Endlich kam eine französische Tartane auf hiesiger Rhede an, die uns an Boort nahm und nach Europa überbringen solte; ein jeder bekam auf 12 Tage Provision, und ein gut Stück Reise-Geld; darauf nahmen wir vom Consul Abschied, wünscheten im tausend Glück und Segen vom Himmel mit vielen Thränen für seine Sorge, Bemühung und Gunst-Bezeugung, und giengen in Gottes Namen zu Schiffe.
Wir embarqirten uns also auf das frantzösische Schiff, und segelten den 12. Juli dies 1739. Jahres mit einem favorablen Wind von dem verfluchten Algier ab, welches ich das erste Mal den 27. April 1725 betreten; die Zeit meiner Sclaverey beträgt vom 25. Februar 1725, da ich in See nebst andern unglücklichen Cameraden von den türckischen Hunden genommen worden, bis auf den 15. Mai 1739, da ich meine Freyheit erlanget, 14 Jahre, 2 Monate und 17 Tage, in welcher ich alles ausgestanden, was menschliches Elend genannt werden mag.
Kühn, Johann Michael
Lebens- und Reisebeschreibung …
Gotha 1741