1842 - Johann Georg Kohl, Reiseschriftsteller
Über den Kilt
Edinburgh
Ich sah hier zum ersten Mal die schöne Hochländertracht, die wir schon lange nicht mehr im übrigen Europa gesehen haben. In den Zeiten Napoleons kannte man sie in Spanien und auch in Deutschland so gut wie die Tracht der Kosaken, Baschkiren und anderen Nationen. Im jetzigen tiefen europäischen Frieden vergessen die Nationen gegenseitig, wie sie aussehen, und es müssen diese Dinge daher zu Zeiten wieder aufgefrischt werden.
Die Schotten rühmen sich bekanntlich, dass ihre Nationalkleidung noch von den Römern abstamme. Römische Soldaten sollen sie in Schottland eingeführt und unter den piktischen Bergbewohnern verbreitet haben. So fest auch die meisten Schotten daran glauben, und so viele ihrer geachteten Geschichtsschreiber selbst dies auch versichern, so scheint doch die Sache ziemlich unwahrscheinlich. Denn erstlich hat die schottische Nationaltracht mit der römischen Soldatenkleidung nur eine ziemlich entfernte Ähnlichkeit, zweitens haben die Römer gerade die Gegend von Schottland, in der diese Kleidung vorzugsweise, ja fast ausschließlich herrscht oder doch herrschte, die Hochlande gar nicht oder doch nur zum geringsten Teil besessen, und es wird einem der Glaube daran, dass die Pikten, die den Römern so feindselig gesinnt und mit ihnen fast in ununterbrochenen Kämpfen begriffen waren, der römischen Kleidung zuliebe ihrer alten Nationaltracht entsagt haben sollen, etwas schwer.
In der Tat wäre ein Volk, das von dem anderen nichts, gar nichts Anderes als die Kleidung, weder Sprache noch Sitten, sondern einzig und allein die äußere Hülle angenommen hätte, ein sonderbares Phänomen, und ein ebenso großes Phänomen wäre es, den römischen Mantel ganz und fast unverändert in diesen entlegensten kaledonischen Gebirgen hängen geblieben zu sehen und im ganzen übrigen Europa von ihm keinen Flicken mehr zu finden. Die Ähnlichkeit der römischen Chlamys mit dem schottischen Kilt kann und wird wahrscheinlich rein zufällig sein. Dass dem anders sei, ist nicht gut denkbar. Die Möglichkeit aber ist allerdings da. Nur muss die Sache noch etwas besser bewiesen werden. Könnte man diesen Beweis liefern, so wäre die Erscheinung in der Tat für den Ethnographen sehr interessant, und er würde dann bei dieser schottischen Tracht der lateinischen Sprache gedenken, die am anderen Ende des Römischen Reiches, bei den Walachen, auch so vereinzelt stecken geblieben ist.
Das Wesentliche an der hochschottischen Kleidung ist erstlich, dass eine Dame nie dabei in Verlegenheit kommt, das Wort Hosen aussprechen zu müssen, aus dem guten Grunde, weil die Hochschotten keine Hosen haben. Es gibt aber dieser Umstand der Kleidung ihren Hauptreiz, denn es besteht kein Zweifel, dass die Beine durch die Hosen gewöhnlich mehr als andere Körperteile ihre natürliche Gestalt verlieren und in zwei sehr unschöne Pfähle verwandelt werden. Das Oberkleid der Hochschotten ist sehr kurz, fällt aber in vielen Falten herab und gibt daher dem Mittelstück des Körpers eine gewisse Fülle und Breite. Das Oberkleid heißt Kilt. Da es von sehr schwerem Zeuge ist und, wie gesagt, viele Falten hat, so kann es vom Winde nicht leicht aufgehoben werden, und man fühlt sich daher warm genug darunter, besonders, wenn vorn auch noch die schwere große lederne Tasche darüber herabhängt, die aus Ziegenfell gemacht ist. Über dem Kilt wird gewöhnlich das Plaid getragen, das ebenso wie jener aus dem bunten karierten schottischen Stoff gemacht ist. Dieses Plaid ist bloß ein großer Schal, der über die Schultern geschlungen und über Brust und Rücken befestigt wird. Es ist das einzige Stück der schottischen Kleidung, das fast allgemein bei allen Ständen in Schottland statt des Mantels in Gebrauch ist und auch noch in Nordengland durchweg vom Volk getragen wird. Bei den Soldaten sah ich es nicht, und ich weiß nicht, ob das Plaid zur Uniform gehört. Die Mütze ist eine sehr wohl kleidende Kopfbedeckung, die in der Regel mit einer Adlerfeder oder auch mit einem ganzen wallenden Federbusch geschmückt ist, und die Fußbedeckung endlich besteht aus Sandalen, die wie die römischen mit bunten Schnüren, die sich an der Wade hinaufkreuzen, befestigt werden.
Ich glaube, es gibt zwei Regimenter in der englischen Armee, die auf diese Weise gekleidet sind. Unter dem Volk in den Hochgebirgen selbst geht aber diese Nationalkleidung mehr und mehr verloren, wie denn überhaupt alle anderen Nationalkleidungen Europas mehr und mehr untergehen. Nur noch wenige Täler soll man treffen, in denen der schottische Kilt allgemein ist. In der Regel sind es nur noch alte Leute, die den Kilt tragen. Gewöhnlich aber pflegt man die Jugend bis zu einem gewissen Alter in der Nationaltracht gehen zu lassen, nicht bloß allgemein bei den Bauern, sondern häufig auch bei den Vornehmen; teils, weil diese Kleidung billiger ist, teils, weil man sie für wohltuend, gesund und die Kinder abhärtend hält.
Kohl, Johann Georg
Reisen in Schottland
Dresden & Leipzig 1844
Abgedruckt in:
Ulrike Keller (Hrg.)
Reisende in Schottland seit 325 v. Chr.
Wien 2008