1618 - Pedro Paez, portugiesischer Jesuit
Die Quelle des Blauen Nils
Äthiopien
Diese Quelle liegt weit im Westen jenes Königreichs, am Ende eines kleinen Tälchens, das sich plötzlich zu einer weiten Ebene öffnet. Am 21. April 1618 gelang es mir die Quellen zu sehen. Nur zwei runde Augen mit 4 Spannen Durchmesser waren zu sehen. Ich freute mich sehr, das zu sehen, was König Giro [Kyros] und sein Sohn Cambises, Alexander der Große und der berühmte Kaiser Julius Cäsar unbedingt kennen lernen wollten.
Das Wasser erschien mir klar und leicht, als ich es trank, aber es fließt nicht oberirdisch ab. Es erreicht gerade mal die Oberfläche. Eine dieser Quellen entspringt dicht bei einem kleinen baumbesäumten Felsen und gleicht einem Auge. Ich stach eine Lanze in dieses Auge und sie drang 11 Handspannen ein, bis sie wohl auf die Wurzeln von Bäumen traf. Vom Quelltopf geht ein kleines baumbestandenes Tälchen aus, in dem das Wasser allmählich zutage tritt. Das zweite Auge findet man weiter unten, etwa die Wurfweite eines Steins Richtung Osten. Auch dort stach ich mit meiner Lanze, die 12 Spannen misst, in das Auge, fand aber keinen Grund. Ein Portugiese hatte zwei Lanzen mit je 20 Spannen zusammengebunden und erreichte den Grund nicht. Die Anwohner sagen, dass es keinen Grund gibt und wenn sie in der Nähe dieser Augen gehen, schwingt und wackelt der Boden ringsum heftig. Dies zeigt klar, dass im Untergrund Wasser ist. Man kann nur deshalb darüber hinweglaufen, weil die Wurzeln der Kräuter und Gräser stark miteinander verfilzt sind und mit ein wenig Erde bedeckt. Viele versicherten mir: Als der Kaiser mit seinen Truppen hier vorbeizog, schwankte die Erde wenig, weil es ein extrem trockener Sommer war. In anderen Jahren erreicht man den Platz aber nur mit gehöriger Vorsicht. Denn wenn man den Fuß auf das Gras setzt, scheint alles in den Untergrund zu verschwinden und bis zu acht oder zehn Schritte weit schwingt der Boden auf und ab. Der Bereich, der offensichtlich ein unterirdischer See ist, ist fast kreisförmig. Man kann nicht von Ufer zu Ufer von einem Stein zum anderen hüpfen, aber mit Hilfe eines auf Pfählen gegründeten Bohlenwegs.
[Im Jahr 1770 reklamierte James Bruce die „Entdeckung“ der Quelle des Blauen Nils für sich - siehe separater Text.]
Beccari, C. (Hrg.)
Rerum Aethiopicarum Scriptores Occidentalis Inediti
Band 2, Rom 1906
Übersetzung aus dem Portugiesischen: Dieter Henle