1828 - Wilhelm Waiblinger
Auf den Ätna
Sizilien
Am 23. und 24. August habe ich den Ätna bestiegen. Unter zehn Reisenden, die es versuchen, die höchste Spitze dieses 11.000 Fuß hohen Vulkans zu erklimmen, gelingts kaum einem. Der lindeste Wind wirft einen zu Boden. Ich habe, dank dem Gott, den ich nie größer sah als an jenem Morgen, alles äußerste Glück gehabt. Zehn Stunden steigt man empor und übernachtet unter dem Krater in einem Hause, wo man in ein Matrosencapotto gehüllt am Feuer sich vor der sibirischen Kälte schützt. In jener Nacht schlief kein Mensch in ganz Europa so hoch als ich, denn ich war 10000 Fuß hoch. Ich spürte gar keinen schädlichen Einfluß der Luft. Die meisten erbrechen sich. Ich verzehrte mein Huhn und trank meinen göttlichen Wein, aber fror dennoch.
Zwei Stunden vor Tag trat ich mit dem Führer (denn ich habe zwei Personen und zwei Pferde für die Reise nötig gehabt), über und über eingehüllt, mit dem gewaltigen Stock die fürchterliche Wanderung auf den Krater an. Es rauchte erschrecklich, und der Dampf kam uns entgegen, denn es war Ostwind. Weiter empor als über die grauenvolle Lava kommt selten jemand. Mir gelangs. Eine Stunde lang kletterte ich empor und erreichte den Gipfel glücklich. Noch war Dämmerung. Ich glaubte zu sehen, wie Gott die Welt schaffe. Kein Wort reicht, um Euch diesen Anblick zu beschreiben. Angeklammert in Todesangst (denn der leiseste Luftzug ist lebensgefährlich), zu Boden auf der rauchenden Erde liegend, sah ich in diese Hölle hinab unter Dampf und Feuer und Donner. Schaudervolleres hab ich nicht gesehen. Aber Erhabeneres nichts als auf der höchsten Spitze, wo ich, freilich zitternd vor Angst und zu Boden gestreckt, die Sonne hinter Kalabrien aus dem griechischen Meere heraufglühen sah, während es auf der ganzen Erde noch Nacht war. 800 Miglien übersieht man hier oben, die ganze Insel mit all ihren tausend Gebirgen, die nur wie Maulwurfshügel umherliegen, drei Meere, das äolische, ionische und adriatische, Italien wie eine Landkarte, bis nach Malta und Afrika; die ungeheuren aus der Hölle verdampfenden Wolken vergoldeten sich im Sonnenstrahl, das gab das schönste Schauspiel, das ich sah. Der Schatten der Berge lag azurblau und triangulär wie eine Pyramide die Insel entlang, und also über 6 Tagereisen weit nur ein Bergschatten. Allmählich tagte es auch unten auf Erden. Der Ätna hat 52 kleine Berge um sich, die bei Ausbrüchen entstanden und von denen die meisten höher sind als die Achalm, und doch sehen diese nur wie Hügelchen aus. Eine halbe Stunde hielt ichs oben aus, bis uns der Wind forttrieb. Zweimal wurden wir zu Boden geworfen. Weiter oben hätts uns das Leben gekostet. Wir stiegen herab und langten glücklich beim Hause an. Unser Wasser war uns gefroren! Das gab ein Frühstück! Wir ritten aber unsere zehn Stunden wieder hinab, und ich verlebte in Nicolosi und Trecastagne himmlische Stunden mit muntern Catanesern.
Waiblinger, Wilhelm
Briefe aus Italien
Ludwigsburg 1930