1837 - Helmuth von Moltke, preußischer Offizier in osmanischen Diensten
Mossul
Irak
Mossul ist die große Zwischenstation der Caravanen auf dem Wege von Bagdad nach Aleppo; eine Oase mitten in der Wüste, muß die Stadt stets auf ihrer Hut gegen die Araber sein; die Mauern, welche sie rings umschließen, sind schwach, aber hoch und genügen vollkommen gegen die unregelmäßigen Reiterhaufen der Beduinen; das Thor Bab-el-ämadi, welches in den Kreuzzügen schon erwähnt wird, steht noch heut, ist aber zugemauert; die Wohnungen sind meist aus Luftziegeln und einer Art Kalk gebaut, welcher in wenig Augenblicken erhärtet. Nach alt-morgenländischer Sitte legt man hier einen hohen Werth auf die Schönheit und Größe des Thors (Bab), bei jeder Wohnung siehst Du gewölbte Portale aus Marmor (der dicht vor der Stadt gebrochen wird) vor Häusern und Lehmhütten, die mit ihrem Dache kaum bis an die Spitze des Bogens reichen. Die Dächer sind flach, von gestampfter Erde („Damm“) und von niedrigen Mauern mit Scharten brustwehrartig umgeben. An den mehrsten größeren Häusern in der Stadt erblickt man eine Menge Spuren von Gewehrkugeln, und die festungsartige Einrichtung dieser Wohnungen erinnert sehr an die Palläste zu Florenz, nur ist alles kleiner, dürftiger und unvollkommen.
Die Bewohner von Mossul sind eine seltsame Mischung aus den ursprünglichen chaldäischen Einwohnern mit den Arabern, Kurden, Persern und Türken, welche nach einander ihre Herrschaft über sie geübt; die allgemeine Sprache ist indeß die arabische.
Bei der furchtbaren Sommerhitze wohnen die Leute meist unter der Erde und jedes Haus hat seine unterirdischen Gemächer, welche nur durch eine mit Weinlaub überdeckte Öffnung oben ihr Licht erhalten.
Indsche-Bairaktar, der Gouverneur, empfing uns mit der größten Auszeichnung und logirte uns beim armenischen Patriarchen ein. Die nestorianischen und jacobitischen Christen in Mossul besitzen die schönsten Kirchen, die ich in der Türkei gesehen habe, leben aber unter sich in Hader und Zwiespalt. Eine jener Kirchen gehört, ich weiß nicht durch welche Ursachen, zwei Gemeinden, und weil das, was die eine in diesen heiligen Räumen that, ein Gräuel für die andere war, so hatte man die schöne Wölbung durch eine Mauer mitten durch getheilt.
Unserem jacobitischen Patriarchen machte es freilich allerlei Bedenken, Ketzer zu beherbergen, indeß war es ihm immer lieber, als wenn wir Nestorianer oder gar Griechen gewesen wären; da überdies noch nie Christen von dem Pascha so empfangen worden waren und die bedeutendsten Muselmänner kamen, uns die Aufwartung zu machen, so ließ er es an Nichts fehlen, und verkaufte mir sogar eine Bibel in arabischer und syrischer (chaldäischer) Sprache.
Der Pascha war sehr erfreut über meine Aufnahme von Mossul, den Riß zu einer neuen Kaserne und die Zeichnung zu einem Wasserrade, welche wir ihm schnell anfertigten, und beschenkte uns mit Pferden und Mauleseln für die Rückreise durch die Wüste.
Schon vor uralten Zeiten führte, wie jetzt, eine Schiffbrücke hier über den Tigris, und das Heer Julians benutzte sie auf seinem Rückzuge von Ktesiphon. Von einer steinernen Brücke, wahrscheinlich türkischer Arbeit, stehen nur noch einige Bogen. Auf dem linken Ufer des Stroms, Mossul gegenüber, verfolgt man mit Augen ganz deutlich einen noch 10-25 Fuß hohen Wall von wohl einer Meile im Umfange, welche das alte Ninive umschlossen haben soll. Ein sehr großer künstlicher Erdaufwurf bezeichnet auch hier die Stelle der frühern Akropolis, ein zweiter etwas kleinerer Tumulus trägt heute ein türkisches Dorf, Nunia, mit einer Moschee, welche den Sarg Junuß-Pegambers oder des Propheten Jonas einschließt. Nur ein ausdrücklicher Befehl des Pascha konnte uns den Zutritt zu dieser Reliquie bahnen; unter der Moschee besuchten wir die Reste einer uralten christlichen Kirche. Auch auf dem rechten Tigrisufer findet man die Heiligengräber des Aya Kedrilleh oder St. Georg u.a.m., welche halb Moschee, halb Festung sind.
Bemerkenswerth sind in Mossul die Hauptmoschee auf uralten Fundamenten einer christlichen Kirche, und die Ruinen eines Kaßr oder muhammedanischen Schlossen am Tigris, vor 500 Jahren erbaut und mit allerlei Stuckaturarbeit an den Wänden, auf welchen man sogar eine Menge menschlicher Figuren abgebildet sieht. Die Citadelle im Innern ist eng und unbedeutend. An der nordwestlichen Ecke der Stadt fällt der Thalrand hoch und steil zum Strome ab und ist durch einen großen Thurm gekrönt; an seinem Fuße dampfen heiße Schwefelquellen, die bei hoher Flut überschwemmt werden. Das Wasser wird aus dem Tigris in sehr großen ledernen Schläuchen mittelst eines hohen Gerüstes und Seilen emporgehoben, an welchen ein Pferd zieht; die lange Spitze des Schlauches wird dann über gemauerte Behälter gebracht und geöffnet, um das belebende Element über die Gärten und Felder zu vertheilen. Aber nur der freie Raum innerhalb der Mauern und die nächste Umgebung außerhalb derselben sind bebaut; könnte man einen Theil des Wassers, das an Mossul vorüberströmt, zur Berieselung benutzen, so müßte das Land von der höchsten Fruchtbarkeit sein. Dieser Gedanke scheint einen uralten Bau veranlaßt zu haben, nämlich die starken steinernen Molen, welche einige Stunden oberhalb der Stadt das Flußbett verengen und den Strom anstauen; man könnte daher gewiß auch das nöthige Wasser sehr leicht über die Felder leiten, aber die Araber, welche die Stadt rings umschwärmen, machen das Eindringen der Ernte gar zu unsicher.
Dicht außerhalb der Mauern von Mossul befindet sich ein eigener Basar für die Araber, damit man nicht genöthigt ist, diese zweifelhaften Gäste in die Stadt selbst einzulassen. Über das Gewirr von kleinen Lehmhütten erheben sich schlank und hoch einige Palmen, die letzten der Wüste; diese Palmen gleichen einem zum Baum herangewachsenen Schilfrohre, sie sind der rechte Typus des Südens und scheinen die Araber zutraulich und glauben zu machen, daß sie sich zwar hoch im Norden, aber doch noch im Lande des Weihrauchs befinden. Dorthin kommen die Kinder der Wüste, sie stoßen lange Bambuslanzen mit den Spitze in die Erde und kauern nieder, um die Pracht und Herrlichkeit einer Stadt zu bewundern, einer Stadt zwar, die uns Europäern eher durch das Gegentheil von Herrlichkeit und Pracht auffällt, die aber hier hundert Stunden im Umkreis ihres Gleichen nicht hat.
Moltke, Helmuth von
Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839
Berlin, Posen, Bomberg 1841