Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

Um 1803 - Stephan Schütze
Finsteres Ostfriesland

 

Endlich bin ich am Ort meiner Bestimmung angelangt. Meiner Bestimmung? Wer heißt mich, sagst du, und was kann ich dagegen sagen. Mich freyen, unabhängigen, aber auf das Reisen versessenen Erdensohne, zu einem Geschäfte drängen, das ich, beiläufig gesagt, wie es anscheint, glücklich beendigen werde. Wären nur erst die discrimina rerum überwunden, die bis zu diesem Anti-Latinum und wieder hinaus begleiten! Der Ort meines jetzigen Aufenthaltes an der äußersten Gränze Ostfrieslands ist demnach, mit Ehren zu melden, eine wüste Wassergegend. Rings umher kein Baum, kaum ein Strauch sichtbar, der auch in seiner winterlichen, blattlosen Gestalt mich itzt sehr erfreuen könnte. Wenn ich die Familie, bei und mit welcher ich lebe, und noch einige wenige Ortsbewohner ausnehme, so besteht der Rest aus inhumanen, unkultivierten, phlegmatischen, abergläubischen, zurückscheuchenden, ungeselligen Gesellschaftern. Die gemeine Sprache ist eine Art ostfriesisch mit deutsch gemischt, und mit holländisch amalgamiert. Die Prediger, die auch in dieser Mundart predigen, heißen Domine. Unser Domine, dessen finsterer frommheitiger Blick von einer torfschwarzen Perücke umdüstert ist, trat mir gleich einer von Alter gelb gewordenen fleischähnlichen Wachsfigur unters Auge. Sein Vortrag ist unverständlich und schleppend, die Töne seiner Stimme, nachdem sie die lange Reise durch eine verstopfte Nase genommen, lösen sich in freyer Luft so knarrend und kreischend auf, wie die eines ungeschmierten Bratenwenders. Verzeih mir diese ekelhafte Bildersprache, sie ist dem Gegenstand angemessen. Dabei hat Domine eine Herz wie ein Groß-Inquisitor, und erlaubt so wenig wie der größte Theil seiner Amts- und Glaubensgenossen (wenige ausgenommen) dem Volke die mindeste Freude. Tanz ist in seinen Augen eine Kardinalsünde, Frohsinn ihm ein Greuel, Witz und Laune ein gegebenes und genommenes Ärgerniß. Daher sitzt denn auch das ihm anhängende Volk, mit dem Kinn dem Knie zugebogen, heuchlerisch andächtig vor seinem Lehrstuhl, zu dem er sein Gesammtauge nicht aufzuschlagen Muth hat, aus Furcht vor Domines unversieglichem Zornblicke. Zweimal Sonntags ist Predigt, deren jede gegen zwei Stunden dauert, Abends eine volle Stunde, von 5 bis 6 Katechiation, wobei der Knecht des Domine, ein dicker bacchantischer Lümmel, die Haupt- und Force-Rolle spielt, indem er die mehrste Zeit antworten muß, was er, ohne es zu verstehen, auswendig gelernt hat. Da ich diese Amüsements aus der ersten Hand habe, so genieße ich sie, wie du denken kannst, sehr selten; denn diese Entstellung und Entwürdigung der menschenfreundlichen Religion, diese Gemisch von Tönen und Dünsten schnarchender Männer und heulender Weiber in den Kirchen giebt ein Konzerto, das musikalischen Ohren unleidlich ist, und die Geruchsnerven zu tödten im Stande wäre. Zudem weiß ich von sicherer Hand, daß die Grundsätze des Mannes, von dem ich redete, und der das Wort in unserem Zirkel wie auf seiner Kanzel führt, nicht so sind, wie er sie scheinen läßt. Auch sind seine an Sonntagen und im Gesellschaftszimmer von seinem Blick bewachten Schaafe oft die gierigsten Wölfe, wenn das Mein und Dein ins Spiel kommt und – Werktag ist. Die besten unter ihnen sind großentheils nicht Schaafe, sondern Schaafsköpfe. "Gott! Wie hast du’s hier so dunkel gelassen!“ denk ich oft und schweige.

 

Schütze, Stephan
Humoristische Reisen durch Mecklenburg, Holstein …
Hamburg 1812

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!