Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1863 - Samuel Baker
Zusammentreffen mit Speke und Grant
Gondokoro (Ismailia), Süd-Sudan

 

Ich hatte in Gondokoro zwölf Tage verweilt, um die Ankunft von Debono’s Reisegesellschaft aus dem Süden zu erwarten, welcher ich mich bei ihrer Rückkehr anschließen wollte. Da hörte ich am 15. Februar plötzlich in großer Entfernung das Gerassel von Musketen und von Süden her ein Rottenfeuer. Um von dem Augenblick einen Begriff zu geben, muß ich wörtlich aus meinem Tagebuch entnehmen, was ich damals niederschrieb:
   „Ich höre fernes Gewehrfeuer; Debono’s Elfenbeinträger kommen an, auf die ich gewartet habe. Meine Leute stürze wie rasend nach meinem Boote mit der Nachricht, daß sich bei ihnen zwei weiße Männer befänden, die vom Meere her gekommen wären! Sollten es Speke und Grant sein? Fort sprang ich, und bald fand ich sie wirklich. Hurrah Alt-England!! Sie waren vom Victoria N’janza gekommen, aus welchem der Nil entspringt … Das Jahrtausende alte Geheimniß war enthüllt! Meine Freude, daß ich sie traf, wird nur durch den Umstand beeinträchtigt, daß ich sie bei meinem Suchen nach ihnen nicht weiter draußen gefunden hatte; indeß gereicht es mir zur Genugtuung, daß meine vorläufigen Anordnungen der Art waren, daß ich sie, wenn sie in einer Klemme gewesen wären, sicher hätte finden müssen … Die von mir entworfene Reiseroute hätte mich, da sie auf dem Wege, den ich einzuschlagen gedachte, vom See herkamen, mit ihnen zusammen geführt … Alle meine Leute sind vor Aufregung völlig toll; indem sie, wie gewöhnlich, mit scharfen Patronen salutirten, erschossen sie einen meiner Esel: ein trauriges Opfer, das der Vollendung dieser geographischen Entdeckung dargebracht wurde.“
   Als ich ihnen begegnete, spazierten sie längs dem Ufer nach meinen Booten hin. In einer Entfernung von 300 Fuß erkannte ich meinen alten Freund Speke; mit freudig schlagendem Herzen nahm ich meine Mütze ab und brachte, indem ich auf ihn zueilte, ein bewillkommnendes Hurrah! Für den Augenblick erkannte er mich nicht; ein zehnjähriger Bartwuchs hatte eine Veränderung hervorgebracht; und da er mich gar nicht erwartet hatte, so kam ihm mein plötzliches Erschienen im Mittelpunkt von Afrika unglaublich vor. Seinem Reisegefährten brauchte ich kaum vorgestellt zu werden, da wir uns schon kannten, und nach den Aufwallungen über dieses glückliche Zusammentreffen spazierten wir zusammen nach meiner Dahabië, während meine Leute uns unter Dampf und Getöse umringten, indem sie auf dem ganzen Wege ein unablässiges Musketen feuerunterhielten. Wir saßen bald auf dem Verdeck unter dem Sonnenzelt, und jenen beiden abgerissenen und abgehärmten Mustern einer afrikanischen Reise, die ich mit Stolz als meine Landsleute ansah, wurde die rauhe Kost vorgesetzt, die sich in der Eile zubereiten ließ.  
   Wie ein gutes Schiff im Hafen ankommt, zerschlagen und zerrissen durch eine lange und stürmische Reise, doch unversehrt in seinem Spann und felsenfest bis an’s Ende, so kamen diese beiden tapferen Reisenden in Gondokoro an. Speke schien am meisten mitgenommen zu sein, er war außerordentlich mager, hatte aber eigentlich eine gute feste Natur; er war den ganzen Weg von Zanzibar her gegangen, ohne während diese ermüdenden Marsches auch nur ein einziges Mal zu reiten; Grant befand sich in ehrenwerten Lumpen: seine bloßen Knie ragten durch die Überreste von Beinkleidern hervor, die eine Probe roher Industrie in Schneiderarbeit darstellten; er sah ermüdet und fieberkrank aus. Aber beide Männer hatten ein Feuer im Auge, das den Geist verriet, der sie von Anfang bis zum Ende geführt hatte.
   Sie wünschten Gongokoro so bald als möglich zu verlassen, um auf dem Wege nach England weiter zu reisen, verschoben aber ihre Abreise, bis der Mond einen Stand haben werde, der eine Beobachtung zur Bestimmung der geographischen Länge gestattete. Meine Boote waren glücklicherweise von mir auf fünf Monate gemiethet; daher konnten Speke und Grant dieselben nach Khartoum übernehmen.
   Im ersten Augenblick unseres Zusammentreffens hatte ich dadurch, daß ich ihnen begegnet war und daß sie die Entdeckung der Nilquellen vollendet hatten, meine Expedition für beendigt gehalten; als ich ihnen aber von ganzen Herzen Glück wünschte zu der Ehre, die sie in so herrlicher Weise geerntet hatten, gaben mir Speke und Grant mit charakteristischer Aufrichtigkeit und Großmuth eine Karte von ihrer Reise, aus welcher hervorging, daß sie nicht im Stande gewesen waren, die wirkliche Erforschung des Nil zu vollenden, und daß noch immer ein höchst wichtiger Teil zu bestimmen blieb. Es zeigte sich, daß sie den Nil, welchen sie vom Victoria-See aus verfolgt. Unter 2° 17‘ nördl. Breite überschritten hatten; aber der Fluß, der von seinem Austritt aus jenem See an einen nördlichen Lauf hatte, wendete sich bei dem Karuma-Wasserfall (dem Punkte, an welchem sie ihn unter 2 ° 17‘ nördl. Breite überschritten hatten) plötzlich nach Westen. Sie sahen den Nil nicht wieder, bis sie unter 3° 32‘ nördl. Breite ankamen, wo er dann von West-Süd-West herfloß. Die Eingeborenen und der König von Unyoro (Kamrasi) hatten ihnen versichert, daß der aus dem Victoria N’janza entspringende Nil, den sie bei Karuma überschritten, mehrere Tagesreisen weit nach Westen stieße und endlich in einen großen See falle, welche der Luta N’zige heiße; daß dieser See von Süden her komme, und daß der Nil nach dem Eintritt in das nördliche Ende desselben fast unmittelbar wieder heraustrete und als ein schiffbarer Fluß seinen Lauf durch die Koschi- und Madi-Länder nach Norden fortsetze. Sowohl Speke als Grant legten diesem Luta-N’zige-See eine große Wichtigkeit bei, und der Erstere bedauerte sehr, daß es ihnen unmöglich gewesen war, die Erforschung durchzusetzen. Er sah voraus, daß Stubengeographen, die, in einem behaglichen Armstuhl sitzend, mit ihren Fingern so leicht auf einer Karte herumreisen, ihn fragen würden, warum er nicht von dem Orte nach dem Orte gegangen sei? Warum er nicht den Nil bis zum Luta-N’zige-See und von dem See aus bis Gondokoro gefolgt sei? Unter den obwaltenden Umständen war es Speke und Grant unmöglich, den Nil von Karuma aus zu folgen: die Stämme lagen mit Kamrasi im Kampfe, und Fremde konnten nicht durch das Land gehen. Sie ließen sich daher auf das sorgfältigste unterrichten, vollendeten ihre Karte und legten den genannten See an seine mutmaßliche Stelle, wobei der Nil sowohl in seiner Einmündung als seinem Ausfluß erschien, genau so, wie es die Eingeborenen angegeben hatten.
   Speke sprach seine Überzeugung aus, daß der Luta N’zige eine zweite Quelle des Nil sein müsse, und daß die Geographen ungehalten sein würden, daß er ihn nicht untersucht habe. Mir war dies höchst angenehm. Ich war bei dem Gedanken, daß das große Werk vollendet sei und daß nichts mehr zu erforschen übrig bleibe, sehr entmutigt worden, ich sagte sogar zu Speke: „Bleibt denn kein einziges Blatt des Lobes für mich übrig?“ Jetzt hörte ich, daß das Feld nicht nur frei sei, sondern daß durch den Beweis daß der Nil aus einem einzigen großen See, Victoria, entspringe, daß er aber offenbar aus einem unbekannten See eine neue Verstärkung erhalten müsse, da er in denselben am nördlichen Ende eintrete, während die Hauptmasse des Sees von Süden herkommen, der Erforschung ein gesteigertes Interesse verliehen werde. Die Thatsache, daß eine große Wassermasse wie der Luta N’zige sich in gerader Linie von Süden nach Norden erstrecke, während das Hauptstromsystem des Nil derselben Richtung folgte, zeigte auf eine höchst entscheidende Weise, daß der Luta N’zige, wenn er in der angenommenen Gestalt existirte, im Becken des Nil eine wichtige Lage haben müsse.
   Meine Expedition hatte natürlich ziemlich viel gekostet, und da sie sich in vortrefflicher Ordnung befand, so wäre es herzbrechend gewesen, furchtlos umzukehren. Ich machte deshalb sofort Anstalten zur Abreise, und Speke war so freundlich, in mein Tagebuch die Instructionen zu schreiben, welche mir etwa von Nutzen sein konnten.
   
Baker, Samuel
Der Albert Nyanza, das große Becken des Nil und die Erforschung der Nilquellen
Jena 1867

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