1883 - Richard Parkinson, Pflanzer und Forscher aus Schleswig-Holstein
Wie man zu Arbeitern für Samoa kommt
Mioko, eine Insel der Gruppe Duke of York, und umliegende Inseln
Im Jahre 1883 hatte die deutsche Plantagengesellschaft von Samoa zwei Schiffe, die Schoner „Tonga Tabu“ und „Ninafou“, zum Zwecke der Anwerbung von Arbeitern auf See. Das Geschäft wurde in folgender Weise betrieben. Vor einer der Rekrutierungsinseln angekommen, legt sich das Schiff in einiger Entfernung von der Küste vor Anker, dann läßt es seine Boote herab, um den Werber in Begleitung eines Teils der mit Snider-Gewehren und Winchester-Magazin-Büchsen bewaffneten Mannschaft ans Land zu setzen. In den Booten wird auch der Vorrat von Musketen, Schießbedarf, Tabak, bunten Glasperlen und Baumwollenzeugen mitgeführt, aus dem die „Geschenke“ an die Eingeborenen entnommen werden.
Auf den Neu-Hebriden, den Salomon-Inseln, auf Neu-Irland und Neu-Britannien gibt es nun in jedem Stamm fast in jedem Dorf gering geachtete, schutzlose Leute, im Kriege mit feindlichen Nachbarstämmen gefangene Sklaven des Häuptlings, oder Bastarde, Verwaiste, Verlassene des eigenen Stammes. Werden die Boote von den Insulanern friedlich empfangen, so beginnt der Werber den Handel, indem er sie davon verständigt, welchen Preis er für einen Mann zahlen will, und zur Veranschaulichung werden gleich die betreffenden Tauschwaren auf einen Haufen zusammengelegt. Gierig haften die Augen der Eingeborenen an den aufgehäuften Schätzen, deren Besitz auf einmal mehr Macht und Ansehen geben oder vermehren würde, bis sie der Versuchung nicht mehr wiederstehen können. Der Häuptling verkauft seine Sklaven, das Familienhaupt die Bastardkinder, und entfernten Verwandten, die ihm zur Last fallen; aber nicht gar selten geschieht es auch, daß der Vater den Sohn, der ältere Bruder den jüngeren verkauft, angelockt von der heißbegehrten Feuerwaffe und dem bunten Tand, welchen ihm der fremde Besucher anbietet, und entsetzlich ist das Jammergeheul der nachschauenden Mutter oder Geschwister, wenn das Boot ihre Lieben von dannen führt.
An Bord des Schiffes wird dem also Gekauften ein Contract vorgelegt, in dem er sich verpflichtet, auf den Pflanzungen in Samoa drei Jahre zu dienen, wogegen ihm im Namen der Gesellschaft ein Lohn von in der Regel monatlich 8 Mark, freie Verpflegung, ärztliche Behandlung in Krankheitsfällen und freie Rückbeförderung nach Ablauf der contrahierten Dienstzeit zugesichert wird. Nur den englischen Werbern ist vorgeschrieben, jedem Neuangeworbenen den Kontrakt durch einen Dolmetscher vorlesen und die Bestimmungen desselben erklären zu lassen. Ein deutscher Werber hat das nötig; er läßt den Rekruten hinter seinen Namen ein Kreuz setzen und hat damit der gesetzlichen Form dem Generalkonsulat in Apia gegenüber vollkommen genügt. In neunundneunzig Fällen von hundert versteht der Neuangeworbene nicht das Geringste von den eingegangenen Verpflichtungen, wie von den ihm gemachten Zusagen; von einer Erklärung ist aber keine Rede, der Werber müßte denn ein Linguist ersten Ranges sein, dem mehrere Dutzend völlig verschiedener Sprachen und Dialekte zu Gebote stehen; denn auf den Neu-Hebriden, den Salomon-Inseln, auf Neu-Irland und Neu-Britannien hat nicht nur jede Insel, sondern jeder Distrikt und jeder Küstenstrich ein anderes Idiom. Die Eingeborenen sind von ihren nur wenige Meilen entfernten Nachbarn sprachlich länderweit geschieden; den Küstenbewohnern ist der Dialekt der Bergbewohner fremd, und umgekehrt, und die Eingeborenen von zwei kaum sechs Seemeilen auseinander liegenden Inseln verstehen sich so wenig, wie etwa ein beliebiger deutscher Bauer und ein Neu-Britannier. Um die dreijährige Dienstzeit anzudeuten, hält der Werber drei Finger in die Höhe, welche Pantomime jedoch dem Angeworbenen unverständlich ist, er nickt zwar zustimmend mit dem Kopfe, würde aber ebenso nicken, wenn man ihm zehn Finger vor das Gesicht hielte. Von dem, was ein Jahr ist, hat ja der Südseeinsulaner keinen Begriff, und wenn der Werber seine Pantomime auch mit den Worten „drei Yam“ begleitet, in Hinsicht darauf, daß die Yamswurzel (Dioscorea), die sechs Monate zum Reifen ihrer Knollenfrucht gebraucht, regelmäßig einmal im Jahre gepflanzt wird, so dürfte dies dem Angeredeten die Sache nicht klarer machen.
Stelle sich nun der Leser die folgende Szene vor. Ein Werber, umgeben von eingeborenen Insulanern, die ihn selbst, wie die von ihm zur Schau gestellten Herrlichkeiten angaffen. Vielleicht haben sie noch nie zuvor einen Weißen gesehen, jedenfalls ist ihnen aber schon bekannt geworden, daß manchmal der weiße Mann in ein Dorf kommt, Leute daraus fortführt und schöne waren dafür schenkt. Der Werber fragt sie in klassischem Pidgin-Englisch: „You like go Samoa?“ Wirres Durcheinander unter den Umstehenden. Er fährt fort: “Me like plenty Kanakas, you give me boys. One boy, me give you one musket, plenty powder, ball, cap, tomahawk, tobacco, beads …”
Hier unterbricht er seinen Redestrom, denn ein bejahrter Mann, er ist der Häuptling des Dorfes, tritt näher, mir einem schwarzen Burschen, den er wohl fortgeben möchte, um dies begehrlichen Dinge dafür zu erhalten. Doch zögert er noch, er will erst wissen, wohin es gehen soll und auf wie lange.
„Three yam“, sagt der Wärter, drei Finger seiner Hand in die Höhe streckend. „You go there, three yam! Plenty kakai (Essen)! Bye and bye you come back.“
Von den Worten versteht der würdige Häuptling zwar herzlich wenig, aber das tut nichts, die blitzenden „Geschenke“ haben Überzeugungskraft genug, und bald ist der Handel abgeschlossen. Mit dem eingehandelten Burschen kehrt der Werber an Bord seines Schiffe zurück, sehr vergnügt, die Liste der von ihm für Samoa geworbenen Arbeiter wieder um eine Nummer vermehrt zu sehen, denn für jede Nummer zahlt die Firma eine klingende Prämie.
Nicht immer geht indes die Rekrutierung der Arbeiter auf friedlichem Wege von statten; es geschieht, daß Eingeborene mit List oder Gewalt eingefangen und von ihrer Heimatinsel entführt werden. Im Jahre 1882 lag der Schoner „Ninafou“ im Hafen von Mioko und schickte von da zwei Boote nach Neu-Irland hinüber, um Anwerbungen unter den Eingeborenen zu versuchen. Als die Boote der Küste näher kamen, flüchteten die Insulaner, durch frühere Erfahrungen scheu und vorsichtig gemacht, in den nächsten Wald. Nur zwei junge Männer blieben am Strande; sie waren Zöglinge des auf der Insel stationierten Missionars und glauben deshalb vor allen Nachstellungen geschützt zu sein. Von dem einen Boote, das sich inzwischen bis auf einige Schritte dem Ufer genähert, hielt man ihnen Stücke Tabak entgegen und gab ihnen zu verstehen, sie möchten sich denselben holen. Arglos wateten sie heran, wurden aber ohne weiteres ergriffe und ins Boot gezogen, das mit seiner Beute davonfuhr. Vergebens erhoben die Insulaner, die den Vorgang aus ihrem Versteck mit angesehen hatten, ein großes Geschrei; die beiden Geraubten wurden als „angeworbene“ Arbeiter nach Mioko gebracht, doch meldete der Missionar Rooney auf Duke of York, was seinen Zöglingen widerfahren, und auf dessen Reklamation, die von der Drohung begleitet war, den Fall an das Generalkonsulat in Samoa zu berichten, sah sich der Kapitän des Schoners gezwungen, seinen Raub wieder herauszugeben. Andere auf solche oder ähnliche Art „Angeworbene“ sind leider nicht so glücklich, einen Missionar zum rettenden Fürsprecher zu haben.
Parkinson, Richard
Im Bismarck-Archipel. Erlebnisse und Beobachtungen auf der Insel Neu-Pommern (Neu-Britannien)
Leipzig 1887