Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1928 - Friedrich Wilhelm Kurze
Angmagsalik, Ost-Grönland

 

Da plötzlich lichtet sich an einer Stelle der Nebel. »Eisberg voraus!«, ruft der Ausguckposten. Wie ein Torbogen tut sich die Nebelwand vor uns auf. Blauer Himmel leuchtet hindurch, im strahlenden Sonnenschein glitzert ein weißer Berg. Mehr Eisberge werden gemeldet. Nun stößt Meteor fast ohne Übergang aus dem Grau des Nebels in blendende Helle und Sonnenschein. Voraus eine unabsehbare Kette schneegekrönter Bergriesen. Die Sonne malt tiefblaue Schlagschatten auf das ewige Hochlandeis und weite Gletscherfelder.
    Das ist Grönland!
    Wer so Grönland erlebt, wird es nie vergessen. Nicht satt schauen kann man sich an dem herrlichen Bilde. So schön hat sich wohl keiner in seinen kühnsten Träumen unsere Ankunft an Grönlands Küste vorzustellen gewagt, nach allem, was uns an Sturm und Nebel beschieden war.
    Unser Kurs führt auf Angmagsalik. Aber wenn überhaupt, so kann ein Schiff es nur in den ersten Augusttagen wagen, in das dünne Treibeis hineinzugehen und Angmagsalik anzulaufen. Während des ganzen übrigen Jahres machen die großen Treibeismengen, die ständig die Ostküste Grönlands belagern, jeden Schiffsverkehr unmöglich. So bietet auch uns jetzt etwa 50 Seemeilen vor der Küste eine dicht geschlossene Eisbarre Halt. Aus dem riesigen Feld durch- und übereinander geschobener Eisschollen, die sich durch die anlaufende Dünung in ständiger Bewegung befinden, ragen hier und da einzelne größere Eisberge hervor. Der Seegang hat aus manchen Eisblöcken wunderliche Formen herausgewaschen. Einige gleichen Pilzen, andere zeigen richtige Grotten und Torbögen.
    Dicht an der Eisgrenze wird die nächste ozeanographische Serienmessung vorgenommen. Auch der Meteorologe kann sich mal anders als durch unerfreuliche Wettermeldungen bemerkbar machen und lässt fröhlich seine Pilotballons steigen. Südwärts geht es an der Eisgrenze entlang. Bei einbrechender Dunkelheit noch eine Station und dann wird während der Nacht etwas östlicher gehalten, um vom Eise gut frei zu bleiben. Von einem schwimmenden Eisblock ragen nur etwa drei Zehntel aus dem Wasser heraus und seine Unterwasserteile können wesentlich größere seitliche Ausdehnung haben als das über Wasser sichtbare Stück. Aus Rücksicht auf die verletzlichen Schiffsschrauben muss sich Meteor daher stets in respektvoller Entfernung von größeren Eisblöcken halten.
    Mit Hellwerden wird wieder die Eisgrenze angesteuert, die auch weiterhin scharf abgesetzt ist. Nur verhältnismäßig wenig Eisschollen treiben sich einzeln herum. Ihnen kann leicht ausgewichen werden. Umivik wird von weitem gesichtet; von dort trat Nansen 1888 seine berühmte Überquerung des Inlandeises von Ost nach West an. Die große Kälte, die von den Treibeismassen des Ostgrönlandstromes ausstrahlt, wird kaum empfunden, während uns die Sonne vom wolkenlosen Himmel lacht. So den ganzen Tag mit Blick auf Grönlands wunderbare Gebirgswelt ist es die reine Rivierafahrt.

 

Kurze, Friedrich Wilhelm
Nordmeerfahrten der Reichsmarine. Mit dem Vermessungs- und Forschungsschiff Meteor nach Island, Grönland und Jan Mayen
Berlin 1935

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