Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

Um 1910 - Fritz Kummer
In Osaka
Japan

 

Japan ist das Land der prächtigsten Landschaft und der schmutzigen Städte, die kein anderes Merkmal haben als das, was ihnen Wetter und menschliche Nachlässigkeit gegeben haben. Von Tokio prägt man sich immerhin einige breite Straßen, ausgedehnte Gartenanlagen und klobige Denkmäler ein; von Kioto, der alten Kaiserstadt, nimmt man ein herrliches Landschaftsbild sowie Erinnerungen an seine Schlösser und Tempel mit. Aber Osaka?
   Diese Riesenstadt, das japanische Manchester, ist noch wie es die Feudalzeit schuf. Viel seltener als in Tokio erbarmte sich hier das Feuer der verwitterten Holzbuden und morschen Brücken. Breite Verkehrsadern werden nicht gebieterisch verlangt. Wie Venedig ist Osaka von vielen Kanälen durchzogen, worauf die Erzeugnisse der großen Industriestadt befördert werden. So blieb es, wie es die alte Zeit machte: eng, schmutzig, holperig, eckig. Bloß das Ausländerviertel, dann die Halbinsel am Kanal und die nächste Umgebung des Schlosses weisen europäische Formen auf.
   Die kaiserliche Burg ist ein prächtiges Denkmal feudaler Baukunst. Man staunt, wie eine werkzeuglose Zeit Steinbauten von solcher Mächtigkeit hat errichten können. Granitsteine von zehn Meter Länge und fünf Meter Höhe ohne Beförderungsmittel aus weiter Entfernung herbeizuschaffen und ohne Hebewerkzeuge tadellos aufzuschichten, zeugt von seltenen Fähigkeiten. Von den hohen Wällen läßt sich das Gesamtbild der Handelsstadt am besten überblicken. Unten am Wasserrand steht die kaiserliche Münze, weiter abwärts zwischen zwei Flüssen ragen das Osakahotel, eine Bibliothek und das Museum empor. Das Einerlei des Meeres von Bretterbuden wird angenehm unterbrochen von Tempeln und glänzenden Wasserspiegeln. Höher als Tempel, Steinbauten und Anhöhen sind die Fabrikschornsteine. Ihre große Zahl zeigt, daß hier das Zeitalter der Industrie auf allen Seiten eingezogen ist.
   Das Osakahotel füllte sich allabendlich mit einer kunterbunten Gesellschaft. Japanische Handelsherren übten Gastfreundschaft an ihren Geschäftsfreunden; am Billard spielten greisenhafte Jünglinge, die aus England als Lehrer herbeigeholt waren und nun das Land ihrer Wahl mit saftigen God-damns lobten; im Gastzimmer schleppte ein urchiger Sohn Wilhelm Tells die Last der Vertretung eines unbekannten Weltgeschäfts herum; am Schenktisch versuchte ein für die >Publicité Francaise< reisender Franzose, der es glücklich zur Beherrschung der Muttersprache gebracht hatte, mit einem eingeborenen Seidenkrämer mittels Gebärden und Zungenverrenkungen Geschäfte zu machen. Das Einvernehmen zwischen Fremden und Einheimischen hätte nicht besser sein können. jeden Abend erhielt ich mehr Einladungen zu Betriebsbesichtigungen, als ich erfüllen konnte.

 

Kummer, Fritz
Eines Arbeiters Weltreise
Erstausgabe Stuttgart 1913; Nachdruck Leipzig und Weimar 1986

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!