Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

847 - Alfred Brehm, Naturforscher
In Athen – Nachtleben

 

Die Fahrt von Syra nach Athen dauert nur wenige Stunden. Wir sahen schon am folgenden Morgen die Spitzen des griechischen Festlandes vor uns und lagen nach anderthalb Stunden im Piräus. Von hier ist es noch eine Stunde nach Athen. Das wußte ich noch aus jener Zeit her, wo Cornelius Nepos den lernbegierigen Knaben mit dem Land und den Taten seiner Helden bekanntgemacht hatte. Wir nahmen in dem Hafenstädtchen einen Wagen und fuhren auf einer guten, neuerdings angelegten Landstraße der Hauptstadt zu. Unser Weg führte durch einen Olivenwald, der die ganze Ebene bedeckte. Die Berge zu beiden Seiten waren öde und kahl. Hitze und Staub quälten uns entsetzlich.
   Ein Hügel hatte uns lange die Aussicht genommen. Wir umfuhren ihn und kamen zu den Ruinen des Theseustempels. Die Akropolis lag vor uns, ein lange ersehnter Anblick. Dann fuhren wir in die Stadt. Mir kam sie wie ein elendes Bauerndorf vor, das sich um eine gut erhaltene, stolze Ruine gelagert hat. Die Häuser Athens sind mit Ausnahme der von deutschen Baumeistern errichteten königlichen Gebäude erbärmlich schlecht. Die Straßen der Stadt sind krumm, eng und unregelmäßig, das Pflaster fehlt entweder oder ist so mangelhaft, daß man es kaum begehen kann.
   Wie ganz anders erscheinen dagegen die Tempel der Akropolis! Wir besuchten sie am folgenden Tage, klommen auf der Nordseite den steilen Felsberg hinan, wandten uns dann westlich und gelangten durch den einzigen, von einem Invaliden gehüteten Eingang in den Tempelhof. Man geht nun durch die Propyläen nach dem Parthenon, dem schönsten Gebäude in der schönsten Lage der Welt. Es macht einen mächtigen Eindruck, den die Meister der Baukunst, die alten Griechen, noch dadurch erhöhten, daß sie den Weg zu ihm nicht waagrecht, sondern unter einem Winkel von fünfundzwanzig Grad in die Höhe führten, wodurch das edle Bauwerk sich in seiner ganzen Pracht vor dem Auge des Beschauers entfaltet. Wie klug hatten die Alten diese herrliche Lage genutzt und die Verhältnisse des Tempels geordnet! So stehen die Säulen unter anderem nicht auf einer waagrechten Basis, sondern auf einem Kreisbogen, der zwar nur äußerst wenig über die Waagrechte erhaben ist, dem Tempel aber doch jenen klassischen Zauber verleiht, den alle neueren Baumeister vergeblich nachzuahmen versuchten. Es kann nicht meine Absicht sein, die Akropolis beschreiben zu wollen, zumal da schon jeder Stein der Tempel durch Baukünstler und Maler gemessen und beschrieben wurde. Ich begnüge mich, zu sagen, daß unsere Erwartungen aufs höchste gespannt gewesen waren und dennoch übertroffen wurden.
   Kleine Turmfalken bewohnten den Felsen, auf dem die Akropolis gegründet wurde, und horsteten in den Mauern der Burg, zutraulich sogar in den Wohnungen der Griechen. Wir jagten sie und hatten in kurzer Zeit mehrere erlegt. Auch in einem nahen Olivenwald gab es für uns manches Neue, doch konnten wir bei der uns kärglich zugemessenen Zeit nicht auf eine genaue Untersuchung der dort vertretenen Tierwelt eingehen.

Hier bemühten wir uns, das eigentümliche Leben der Hauptstadt Griechenlands kennenzulernen. Es zeugt von einer Verschmelzung des Morgen- und Abendlandes. Viele Sitten und Gebräuche der Griechen sind ganz die der Orientalen, andere ähneln denen der Mitteleuropäer. Die Laster von beiden sind von den Griechen angenommen worden. Bei Tage sind die Straßen Athens ziemlich verödet. Erst gegen Abend beginnt das wahre Leben, dauert aber auch bis tief in die Nacht hinein. Dann beleben sich die Balkone der bei Tag fast unzugänglichen Häuser mit den bisher eifersüchtig verborgen gehaltenen Frauen. Die morgenländischen Kaufhallen, Basare genannt, sind erleuchtet, die Straßen werden lebendig. Da sieht man den zierlich gekleideten vornehmen Griechen elastischen Schrittes durch die Menge eilen. Finster und ruhig lehnt das schroffste Gegenstück dazu, ein in Lumpen gehüllter Hirte mit rostigen Pistolen im schmutzigen Lendengurt, an einer Ecke - der eine das vollendete Bild eines aalglatten, sich überall durchwindenden Gauners, der andere das eines Räubers. Aus dem Basar ertönt das Geschrei eines Verkäufers. In den Straßen bieten barfüßige Malteser dem Fremden zudringlich ihre Dienste an - sie ähneln den vielen herrenlosen Hunden, die bei Nacht ebenfalls in den Straßen herumlaufen und jedermann ankläffen. In den Kaffeehäusern sieht man bereits die brennende Wasserpfeife der Türken.  Mehrere junge Leute tanzen nach der Musik einer Gitarre, oder einer von ihnen singt dazu. Der Himmel bewahre aber jeden Fremden davor, das mitanhören zu müssen. Griechischer Gesang ist eine wahre Verhöhnung aller Musik. Erst nach Mitternacht wird es in den Straßen ruhig. Dann findet man viele der Armen mitten auf dem Wege liegen, wo sie schlafen.

 

Brehms Weltreisen zwischen Nordkap und Äquator; Von ihm selbst erzählt
Hg. H. Bode
Mannheim 1956

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!