1906 - Korvettenkapitän Lübbert
Das Forschungsschiff Planet auf den Malediven
Die Ansteuerung des Riffgürtels erforderte mangels zuverlässigen Bestecks grosse Vorsicht. Das niedrige Atoll konnte sich nur wenig abheben; so kam es, dass das Schiff bei Hellwerden am 29. Juni nur eine Seemeile vom Riff entfernt stand. Infolge von Stromversetzung etwas zu nördlich am Westrand. Es wurde zunächst entlang des Riffes gefahren, um die an der Südseite gelegene Einfahrt nach dem Dorfe Gadu zu gewinnen. Die Inseln an der SW-Seite sind im Gegensatz zu denen der 0-Seite breite Flächen, und reichen zungenartig weit in das Binnenwasser des Atolls hinein, ein richtiges Inselgewirr. Alle schienen dicht bewaldet mit schwer durchdringbarem Unterholz, von einer Üppigkeit, die man auf den Koralleninsel der Südsee nur ausnahmsweise antrifft. Und doch waren die Pflanzen, wie es sich bald zeigte, in der Hauptsache dieselben, Kokospalmen, Pandanus, Hibiscus, Barringtonien, Scaevola, Tournefortia, Morinda, Fragraea u.s.w. neben den Kleingewächsen, die der englische Botaniker Gardner bei einem längeren Aufenthalte auf der lnselgruppe näher beschrieben hat. Auch die Riffe selbst sind mannigfacher gestaltet als anderswo. Während die Atolle in der Südsee in der Regel nur einen einfachen Riffkranz haben, ist dieser hier häufig in mehrere Teile geteilt, ja, man kann in mehreren Fällen von Atollen im Atoll sprechen.
Als das Schiff am Aussenriff entlangfuhr, war zu erkennen, dass die Riffplatte an der Aussenseite der Inseln bei Niedrigwasser nicht ganz trocken fallen kann, wie dies bei vielen Atollen der Südsee der Fall ist. Es war hier eine Lagune, ähnlich der der Küstenstrandriffe vorhanden.
Gegen 9h war das Schiff vor der Einfahrt; von einem grossen Eingeborenenboot, das längsseit kam, um einen Lotsen anzubieten, wurden alsbald zwei ältere Männer an Bord genommen. Die Boote sind ohne Ausleger, breit und geklinkert; achtern ist eine Plattform zum Stehen und eine geschweifte Pinne sitzt an einem schief eingesetzten, vielfach geschmückten Ruder. Besonders schön gearbeitet ist der Bug des Bootes, an dem ein hoher Vorsteven, ähnlich den nordischen Wikingerfahrzeugen, emporragt.
Nicht weit von der grossen Einfahrt nach Osten zu liegt der vielbesuchte Platz Gadu, an dessen Strand eine ganze Flotte der genannten schönen Boote aufgeholt lag. Das Dorf mutete eigenartig an; Gassen führen zwischen den blattbedeckten Häusern hin, die häufig von einem festen Zaun umgürtet sind. Man wird erinnert an mohammedanische Vorbilder, und wirklich sind die Bewohner der Malediven islamitische Inder, die vor nicht allzulanger Zeit diese Inselgruppe besiedelt haben. Die Frauen und Mädchen, mit teilweise schönen Gesichtern, hielten sich im allgemeinen sehr im Hintergrund; nur gelegentlich gelang es, mit ihnen in Berührung zu kommen, hauptsächlich bei der Weberei. Die Maledivenmatten, deren Muster und Ordnung an orientalische Gebetsteppiche gemahnen, sind höchst eigenartig. Auch ihre Herstellung erinnert an jene, indem die Schussfäden in die Kette nicht mit einem Schützen eingeschossen, sondern mit den Händen eingeflochten werden, wie ja die Knüpfung auch mit den Händen erfolgt. Dabei finden aber doch typische Fachbildungen statt, und zwar eine derselben mit einem geknüpften Stock, babana genannt, der ganz ähnlich ist dem fangulea von Madagaskar. Noch deutlicher wird die Verwandtschaft mit jenem Platze angezeigt durch die Benennung des Schaftes, hier hara genannt, dort haradsa, nur dass dieser bei den Maledivianern nicht aufgehängt wird wie bei den Betsimisaraka.
Sollten die Malediven eine Wanderstation der Indonesier auf ihrem Wege nach Madagaskar gewesen sein? Die erwähnten Spuren sind freilich sehr gering. Aber man muss bedenken, dass eine neue, kräftige Kultur die alte urwüchsige stets vernichtet und auslöscht. Immerhin wäre ein neuer Forschungsversuch in dieser Richtung vielleicht nicht unlohnend.
Die Bewohner der Malediven sind gute Seefahrer, und jährlich einmal fahren sie die Strecke von einigen hundert Seemeilen nach Ceylon, um ihren Tribut an Früchten und Matten dorthin zu bringen und um Tauschgeschäfte zu machen. Auch mit der Malabarküste - 330 Sm entfernt - steht besonders die Insel des Sultans der 1000 Inseln, Male, in beständiger Verbindung. Nach Male, im Singhalesischen die "Blume", haben diese Inseln ihren Namen, während Suvadiva kurzweg nur "Südinsel" heisst. Dass die Bewohner früher arge Seeräuber waren, ist bekannt. Aber die englische Oberhoheit hat auch hier schon deutlich sich bemerkbar gemacht, und man darf die Inseln jetzt im allgemeinen als ungefährlich bezeichnen. Doch wird Vorsicht angeraten.
Bemerkenswert waren die grossen Wasserzisternen, die in den Kalkboden eingelassen und ausgemauert waren; sie sollen bei entsprechender Witterung genügend Wasser aufnehmen können. Auch ein turmartiger Bau von 4 m Durchmesser erregte Interesse. Schön sind die Begräbnisplätze, nach mohammedanischer Art mit zahlreichen Grabsteinen und islamitisch verziert. Der kurze Aufenthalt gestattete keine eingehenden Beobachtungen.
Forschungsreise S.M.S. Planet 1906/7
1. Band Reisebeschreibung, bearbeitet durch Korvetten-Kapitän Lübbert
hrg. vom Reichs-Marine-Amt
Berlin 1909