1865 - Otto Kersten
Das Ende der Expedition des Barons von der Decken
Am Juba, Somalia
[Ziel der Expedition war die Erforschung mehrerer ostafrikanischer Flüsse; mit einem Dampfer wurde der Juba befahren bis über die Somali-Hauptstadt Bardera hinaus; eine Stromschnelle macht die Weiterfahrt unmöglich.]
Der Dampfer sollte Nachmittags 2 Uhr dicht am linken Ufer des Flusses hinauffahren, weil hier eine verhältnißmäßig geringere Strömung war. Brenner [Forstmann, Präparator und Waffenmeister] wurde mit einigen Negern ausgeschickt, um einige überhängende Bäume umzuhauen und andere sichtbare Hindernisse der Fahrt thunlichst zu entfernen.
Zur bestimmten Zeit wurden die Anker gehoben. Die Spannung im Kessel betrug anfangs dreißig Pfund, ging aber bald mehr und mehr zurück. Dennoch bewegte der Welf sich langsam vorwärts. Unmittelbar vor der Schnelle angelangt, fühlte man plötzlich einen Stoß. Das Kommando „Halt!" erschallte sofort, aber im nächsten Augenblicke schon, als der Strom das Schiff eben rückwärts trieb, stieß es mit dumpfem Krachen von Neuem auf. Ein leises Zittern durchlief das Fahrzeug und - es saß fest, trotz Strömung und Dampfkraft.
Noch schien nicht alle Hoffnung verloren, denn der Welf war ja schon öfter auf Grund gerathen und doch immer wieder losgekommen. Bald jedoch wurde es Allen klar, daß zwischen dem früher und dem jetzt Geschehenen ein großer Unterschied obwalte. Aus dem Maschinenraume drang ein Rufen und Lärmen empor: das Wasser drang mit Macht in den Raum! Schon bedeckte es den Boden, und mit unglaublicher Schnelligkeit stieg es immer höher, bis es innerhalb in gleiche Höhe mit der Fläche des Stromes stand I
Wie in allen solchen Fällen bewahrte auch hier der Baron [von der Decken] eine bewundernswerthe und unerschütterliche Ruhe. Gelassen und mit Umsicht ertheilte er die nöthigen Befehle zur Bergung der Güter, bestimmte am rechten Ufer des Flusses einen kleinen, ringsum von Wald begrenzten Platz zum Lager und ließ die Ladung in den Booten dorthin schaffen; dann ließ er die Lecke genauer untersuchen und erwog die Möglichkeit, das Schiff wieder flott zu bringen. Vier große, spitzige Steine hatten sich in den Schiffsboden eingedrückt und ragten nun vier bis fünf Zoll weit in den Raum hinein; auf ihnen saß der Welf wie festgenagelt. Er hatte sich in dem Maße, wie das Wasser eindrang, immer tiefer in das Riff gedrückt. Hätte er, wie die Nilboote, vorn geringeren Tiefgang gehabt als hinten, so hätte er in dieser Weise niemals festfahren können oder wäre wenigstens leichter von der Untiefe wieder ab gekommen - ein Umstand, welcher künftighin bei dem Bau von Dampfschiffen für Befahrung unbekannter Flüsse sorgsam beachtet werden sollte.
Um die nicht ohne Mühe aufgefundenen Lecke zu dichten, mußten diesmal ungewöhnlicheMittel ergriffen werden. Man befestigte, sobald die Güter in Sicherheit gebracht waren, über jedem der eingedrungenen Steine einen hölzernen Kasten, über den Längsrissen aber filzbeschlagene Bretter, und zwar vermittelst Stangen, welche sich gegen die Deckwand stützten. Deppe [Ausbilder der Askaris] und Bringmann [Tischler] nebst einigen Negern hatten mit dieser Arbeit drei volle Tage zu thun, zumeist bis an den Leib im Wasser stehend. Dann wurde an das Fortschaffen des eingedrungenen Wassers gegangen. Durch Menschenkraft hätte sich dieses kaum bewerkstelligen lassen; es wurde daher der Kolben der Maschine von der Hauptwelle abgekuppelt und eine Verbindung der Schaufelräder mit den Pumpen hergestellt, so daß eine Art Schiffsmühle entstand. So gaben die hurtig arbeitenden Räder dem Wrack einen Schein von Beweglichkeit und Leben, während es doch hülfloser war als je.
Inzwischen waren am Lande fünf Zelte aufgeschlagen worden. In dem größten wurden Zeugballen, Gewehre und Schießbedarf untergebracht, in einem zweiten die Instrumente, Arzeneien u. s. f.; die Geschütze und andere Gegenstände, welche durch Regen nicht verdorben werden konnten, blieben im Freien am Strande stehen, erstere ohne Laffetten. An eine Befestigung des Lagers durch einen Dornverhau dachte man nicht sogleich, weil dringlichere Arbeiten vorderhand alle Kräfte in Anspruch nahmen, übrigens fürchtete man Nichts weniger als einen Angriff; hatte man doch schon mehrere Male die Waaren an Land geschafft, ohne eine Feindseligkeit erfahren zu haben, wie ja auch auf den verschiedenen Jagdstreifereien Niemand in Gefahr gekommen war. Man fühlte sich eben vollkommen sicher und ergriff keine Vorsichtsmaßregeln weiter, als daß man die Nacht über einige Mann an Land schlafen ließ und an beide Enden des Lagers je eine Wache mit scharfgeladenem Gewehre stellte.
Der Baron hatte sich schon am Tage nach dem Unfalle entschlossen, in seinem Boote nach Bardera zurückzufahren, um neue Lebensmittel einzukaufen ; denn der ganze Vorrath für dreißig Mann bestand nur noch in einigen Säcken Mtamakorn, vier Faß Schiffszwieback, zwei Ziegen und etwas eingemachtem Fleisch und Gemüse in Blechdosen. Link [Expeditionsarzt], Abdio [einheimischer „Schutzherr“], die Führer oder Dolmetscher Baraka und Kero nebst vier der anscheinend zuverlässigsten Neger sollten ihn begleiten; Brenner sollte diesmal zurückbleiben, damit das Lager nicht ohne Aufsicht wäre, indeß die Anderen im Schiffe arbeiteten. Sie nahmen zwei Doppelgewehre nach Lefaucheux, je vierzig Patronen, zwei Revolver und scharfe Haumesser mit; die Neger aber erhielten vier Karabiner mit fünfundsiebzig Stück Kugelpatronen. Als Tauschmittel hatte Decken mehrere Ballen Zeuge, Perlen u. dgl. zurechtgelegt, dazu eine Summe von sechshundert (?) Thalern, theils in Gold, theils in Silber. Er wollte möglichst bald von der Stadt aus Lebensmittel schicken und einen Brief mit Maßregeln über das weitere Verhalten der Expeditionsmitglieder, während er selbst zu Lande nach Ganane ginge, um dort alles Nöthige für die Weiterreise vorzubereiten.
Für den Fall, daß der Wels nicht wieder flott zu bringen wäre, sollte aus dem Holzwerke des Schiffes ein Boot oder Floß gebaut werden. Mit den Worten: „Leben Sie wohl, ich denke, in vierzehn Tagen sehen wir uns wieder!" bestieg er am 2. September vor Tagesanbruch die Gig, winkte noch einmal zum Abschied nach dem Welf hinüber und verschwand dann hinter der nächsten Biegung des Flusses. Keiner der zurückgebliebenen Europäer hat ihn je wiedergesehen.
Am 30. September waren die Arbeiten am Schiffe und im Lager größtentheils beendet. Der folgende Tag, ein Sonntag, wurde der Erholung gewidmet. Die Jäger gingen Vormittags auf die Pirsch, wobei sie das Glück hatten, unter anderem Wilde ein großes Flußpferd zu erlegen; nach Tische sollte das Lager mit einer Verschanzung umgeben werden.
Es war gegen 1 Uhr Mittags; die Europäer halten es sich im Schatten der Zelte und des Gebüsches umher bequem gemacht, und die Neger erfreuten sich nicht minder des süßen Nichtsthuns. Da rief auf einmal Trenn [Maler], welcher am obern Rande des Lagers hinter einem Tische saß und las: „Herr von Schickh [Kapitän des Dampfers], sehen Sie doch, drüben am andern Ufer sind eine Menge Eingeborne! Was mögen die wollen?" Der Kapitän erwiderte: „Ah, das werden die Boten vom Baron sein, die den versprochenen Brief und das Schlachtvieh bringen."
Jetzt ertönte von drüben der Ruf herüber: „Hohohoi, dore Ken (bringt ein Boot!) ". Infolge dessen wurde das Großboot bemannt, und Sereng, ein mit dem Landungsdienste betrauter arabischer Mischling, erhielt den Befehl, nach dem anderen Ufer zu fahren und zu fragen, was die Leute wollten, doch unter keinen Umständen Jemand in das Boot zu lassen. Da Sereng sich drüben in allzulange Unterhandlungen verwickelte, wurde er zurückgerufen. Er berichtete, daß zweihundert bewaffnete Somali da wären mit der Botschaft, angeblich vom Sultahn von Bardera, daß die Ladung des Schiffes auf das andere Ufer geschafft werden möchte, weil auf dem rechten ein Angriff der Galla zu befürchten wäre; vom Baron selbst brachten sie keine Nachricht. Dieser Bericht wurde in so verworrener Weise gegeben, daß man erst nach mehrfacher Wiederholung daraus klug werden konnte.
Das klang sehr befremdend, denn, war der Baron noch in Bardera, so hätte er jedenfalls einige Zeilen geschickt, und hatte er die Stadt schon verlassen, so mußte doch die erwartete Sendung da sein. Wegen dieser Ungewißheit, und da die Somali, von denen zuerst drei, dann nochmals drei auf eine Sandbank oberhalb des Welf gewadet waren, wiederholt nach dem Boote riefen, schickte der Kapitän noch einmal Sereng mit dem Auftrage hinüber, einige der Leute, aber nicht mehr als sechs, nach dem Lager zu bringen, damit man Näheres von ihnen erführe. Kaum war das Boot an der Sandbank angelangt, als die sechs Somali dort sich auf dasselbe stürzten, die darin befindlichen Leute in die Flucht schlugen und sich des Fahrzeugs bemächtigten - die überrumpelte Mannschaft suchte sich durch Schwimmen zu retten. Zu gleicher Zeit ertönte ein Hornsignal aus der Schar der Somali,und darauf hin stürzten am linken Ufer zwanzig bis dreißig Krieger mit geschwungenen Lanzen zwischen Büschen und Zelten von Süden her lautlos in das Lager.
Die Aufmerksamkeit der Europäer wurde erst dadurch erregt, daß die Neger der Expedition, laut heulend, mit entsetzten Gesichtern an ihnen vorüber sprangen oder sich in den Fluß warfen. Deppe, welcher einen günstigen Stand hatte und Alles übersehen konnte, schrie nun mit gellender Stimme: „Zu den Waffen! Zu den Waffen!" Aber, die am Strande Befindlichen Trenn, Schickh, Bringmann und Kanter, waren durch den plötzlichen Überfall von den Waffen abgeschnitten; nur Letzterer hatte von der Morgenjagd her noch sein Doppelgewehr bei sich. Theiß und Deppe konnten schnell noch jeder einen Karabiner ergreifen. Der Einzige, welcher eine einen wirksamen Hinterlader und genügenden Schießbedarf zur Hand hatte, war Brenner. Ehe er aber noch Zeit gefunden, sich zu erheben, war das fliehende Getümmel schon an ihm vorüber; ihnen nach durcheilten furiengleich, und mit langem, fliegenden Haar und hochgeschwungenen Speeren, die dunklen Gestalten der Somali den offenen Platz im Nu. Brenner fühlte weder Furcht noch Mut; nur das deutliche Bewußtsein durchzuckte ihn, daß es jetzt zum Sterben ginge. Mit der Linken packte er die mit Posten geladene Doppelflinte, mit der Rechten that er einen Griff in die neben ihm stehende Munitionskiste, nahm zwei Patronen zwischen die Zähne und schob die übrigen unter das offenstehende Hemd, sprang dann mit mächtigem Satze ins Freie und überflog mit einem Blicke die einzelnen mordenden und plündernden Gruppen. Ein wüstes Traumgesicht schien ihn zu necken: Kanter [Maschinenmeister], welcher seine zwei Schüsse bereits abgegeben hatte, floh nach dem Flusse zu, anscheinend schwer verwundet. Fast gleichzeitig taumelte Trenn kaum zehn Schritt entfernt vorüber ; er hielt die Hände weit vorgestreckt und wollte den Speer, welchen ein baumlanger Somali über ihm schwang, von sich abwehren - das Eisen aber senkte sich in die Brust des Wehrlosen, er stürzte zusammen und blieb liegen, ohne sich mehr zu rühren. Da erfaßte eine namenlose Wut den wie gelähmt Dastehenden. Sein erster Schuß galt dem Mörder des lieben Kameraden - er streckte ihn neben sein Opfer nieder. Dies lenkte die Aufmerksamkeit der Angreifer auf den Schützen. Einer warf seinen Speer nach ihm, aber ein wenig zu hoch; ein anderer zog eben die Sehne seines Bogens straff, doch er ward tödtlich getroffen, und der Giftpfeil fiel machtlos zur Erde. Nun kamen auch Theiß [Koch] und Deppe zum Feuern; aber was konnten sie mit Perkussionsgewehren ausrichten, bei denen das Laden soviel kostbare Zeit in Anspruch nahm? Hätte ihr Gefährte nicht eine so herrliche Waffe gehabt, welche ihn in Stand setzte in fast ununterbrochenem Feuer zu liegen, sie wären Alle verloren gewesen. Mit furchtbarer Hast schob Brenner Patrone um Patrone in den abgeschossenen Lauf. Er feuerte in kurzen Zwischenräumen noch sechs bis sieben Mal.
Ein dritter Schuß traf einen Somali, der eben Kanter ermordet hatte. Ein älterer Mann mit geschorenem Haupte, anscheinend ein Häuptling, erhielt aus nächster Nähe eine Ladung aus freier Hand, weil keine Zeit zum Zielen war; einem anderen Anführer, welcher mit dem Säbel vordrang, durchbohrte Theiß mit einer Kugel die Brust. So war noch Mancher gefallen, als die Angreifer, wie dies fast alle Halbwilden thun, wenn sie kräftigen Widerstand finden, sich einer nach den andern zurückzogen. Das ganze Blutbad hatte nicht zehn Minuten gedauert.
Jetzt sammelten sich die Übriggebliebenen, fünf Europäer und zwei Neger, am offenen Strande. Ihre ersten Worte betrafen die Lage des Barons und des Doktor Link, die sich offenbar in größter Gefahr befanden, vielleicht schon nicht mehr lebten, denn die Mörder waren ja als Barderaleute erkannt worden. Dann wurde die Möglichkeit erörtert, das Lager zu halten. Da indessen die Meisten keine Munition mehr hatten, und da die zurückgeschlagenen Feinde jeden Augenblick ihren Angriff erneuern konnten, galt es vor Allem, sich ein Boot zu verschaffen. Brenner sandte deshalb einen wohlgezielten Büchsenschuß nach der Sandbank, wo die oben erwähnten sechs Somali das Großboot besetzt hielten. Fünf der so bedrohten Feinde flohen, der eine aber legte sich flach auf den Boden des Bootes, welches langsam den Strom hinabtrieb, bis es am linken Ufer hängen blieb. Das letzte Rettungsmittel war also die Jolle, welche am Dampfer angebunden war. Brenner, ein vorzüglicher Schwimmer, entschloß sich, sie zu holen, trotz aller Gefahren des Wassers, und obwol er nicht wissen konnte, ob das Schiff nicht schon vom Feinde besetzt war. Einer der Neger kam ihm nachgeschwommen, und mit dessen Hilfe brachte er die Jolle nach dem rechten Ufer, wo die Anderen sofort einstiegen. Sie steuerten nach dem wieder im Besitz der Somali befindlichen Großboote, vertrieben die Insassen durch einige Schüsse und bestiegen es, als die überladene Jolle eben unter ihnen sank. Darauf legten sie sich mit dem Boote quer vor den Lagerplatz und deckten Brenner, welcher in Begleitung ewiger Neger ausstieg, um Munition zu holen, mit schußfertigem Gewehre. Auf dem Rückwege von den Zelten sah sich Brenner noch die gefallenen Kameraden an: Trenns Antlitz war wachsbleich, die Augen hatten den unverkennbaren Ausdruck des Todes angenommen, es war längst jede Spur des Lebens von ihm gewichen; Kanter lag dem Flußufer näher, mit dem Angesicht auf der Erde, eine große, klaffende Wunde im Rücken und ebenfalls völlig todt. -
Für die Vertheidigungsfähigkeit der Geretteten war also gesorgt; was aber sollten sie nun thun? Sollten sie das Lager vertheidigen? Oder sollten sie nach Bardera fahren, um sich Gewißheit über das Schicksal des Barons und Links zu verschaffen? Ersterer Gedanke mußte bald als unausführbar aufgegeben werden. Die Feinde auf dem rechten Ufer waren über zweihundert Mann stark, und die auf dem linken Ufer setzten sich bereits mittelst der Jolle, welche sie aufgefangen hatten, mit ihnen in Verbindung. Gegen solche Übermacht konnten fünf Europäer und die acht allmählich zurückgekommene Neger, von denen übrigens zwei verwundet waren, Nichts ausrichten; von ihrer Beihilfe mußte übrigens, wie die Erfahrung gelehrt hatte, vollständig abgesehen werden, da bei dem Angriffe vorher Keiner ein Gewehr zur Hand genommen hatte, mit Ausnahme eines einzigen, und dieser hatte ein Hinterladungsgewehr ergriffen, welches er nicht gebrauchen konnte, weil er dessen Einrichtung nicht kannte. Ebensowenig schien es thunlich, sich auf dem Wrack des Welf zu halten, denn dieses wurde von dem höher liegenden rechten Ufer aus, von welchem es etwa zehn Schritte entfernt stand, vollständig beherrscht, konnte auch mit leichter Mühe ohne Boot vom Lande aus erreicht werden. Eine Landung in Bardera konnte gleichfalls zu Nichts führen; für einen feindlichen Angriff erschienen die Entkommenen zu schwach, und eine friedliche Erkundigung war schon deshalb unmöglich, weil keiner von ihnen - die beiden Dollmetscher waren ja mit dem Baron gegangen - die Somalisprache verstand. Übrigens wußte Niemand, in welchem Theile der Stadt die beiden Europäer zurückgehalten wurden; daß sie aber mindestens ihrer Freiheit beraubt waren, konnte keinem Zweifel mehr unterliegen. Waren jedoch der Baron und Link noch am Leben, was höchst zweifelhaft erschien, so mußten, wenn die Anderen entkamen, die Barderaner Bedenken tragen, sich an Jenen zu vergreifen, weil sie dann ein Rachegericht zu fürchten gehabt hätten; fielen Alle zum Opfer, so war es ein Leichtes, durch Tödtung auch der zwei Letzten den Verdacht der Schuld oder Mitschuld von sich weg auf Andere zu wälzen, etwa auf die als räuberisch bekannten Galla. Daher schien es dringend geboten, so schnell als möglich den Rückzug anzutreten, und zwar noch vor Eintritt der Nacht. In Sansibar angelangt, konnte man dann mit verstärken Kräften versuchen, was sich weiter thun ließe. Diese Möglichkeiten wurden sorgfältig bedacht und erwogen; wir stimmten überein, daß man vor der Hand schleunigst nach Sansibar zurückkehren müsse. –
So war denn ein folgenschwerer Entschluß gefaßt. Ihm gemäß wurde Alles zur Reise vorbereitet. Das Boot fuhr nach dem Wrack des Welf, wo Deppe die Papiere, Gelder und Werthsachen des Barons sammelte, Brenner Waffen und Munition zurechtlegte und Theiß Lebensmittel für die Fahrt. Die schönen Instrumente konnten wegen Mangel an Platz nicht mitgenommen werden, ebensowenig die Sammlungen von Naturgegenständen.
Um fünf Uhr verließ das Häuflein der Übriggebliebenen die Unglücksstätte, nachdem sie noch alle überflüssigen Waffen in das Wasser geworfen hatten. In traurigster Stimmung ließen sie sich stromabwärts treiben; zwei Mann, welche immer abwechselnd ruderten, vermehrten die Geschwindigkeit der Fahrt. Einige hundert Schritt unterhalb des Lagers sahen sie im Gebüsche die Jolle angebunden und nicht weit davon einen Eingeborenen, welcher ausgewaschene blutige Lappen aufhängte. Es wurde der Vorschlag gemacht, die Jolle mit zunehmen oder zu vernichten; allein es that Eile Noth, wenn man einem Hinterhalt zuvorkommen wollte, und man fuhr ohne Aufenthalt weiter. Nach neun Uhr kamen sie bei prächtigem Vollmondscheine in die Nähe von Bardera. Da hier ein lebhafter Gegenwind einsetzte, so wurden acht Ruder in Thätigkeit gesetzt; wer nicht mit Rudern beschäftigt war, hielt das gespannte Gewehr in der Hand und lugte ringsum, ob nichts Verdächtiges sich zeigte. Die Stadt war jedoch wie ausgestorben, kein Laut sich hören, keine menschliche Gestalt erschien; die Gig des Barons, nach welcher man besonders aufmerksam ausspähete, war nirgends zu sehen. Später blieben wieder wie vorher nur zwei Neger an den Rudern; sie wurden allstündlich, der steuernde Europäer aller zwei Stunden abgelöst. An Schlaf konnte, schon wegen der Enge des Bootes, nicht gedacht werden.
[Die fünf überlebenden Weiße der Expedition konnten sich nach Sansibar retten. Von der Decken und Dr. Link sind nach Berichten Einheimischer kurz nach der Havarie des Dampfers in Badera erstochen und in den Fluß geworfen worden.]
Carl Claus von der Deckens Reisen in Ost-Afrika in den Jahren 1859 bis 1865
Bearbeitet von Otto Kersten
Band 2, Leipzig/Heidelberg 1871