1806 - François-René de Chateaubriand
Von Methoni nach Koroni
Peloponnes
Mit Ungeduld erwartete ich den Augenblick, wo ich die Küsten von Griechenland erblicken sollte. Ich suchte sie am Rand des Gesichtskreises und sah sie in einem Nebelschleier. Am 10. [August] morgens war ich vor Sonnenaufgang auf dem Verdeck. Als die Sonne dem Meer entstieg, sah ich in der Ferne die dunklen Umrisse hoher Gebirge. Es waren die Berge von Elis. Der Ruhm muß doch wohl nicht bloß etwas Eingebildetes sein, da er das Herz dessen, der nur darüber berichten kann, so mächtig erhebt. Um 10 Uhr kamen wir bei Navarini, dem alten Pylos, vorüber, das von der Insel Sphakteria (oder Sphagia) verdeckt wird. Beides gleich berühmte Namen, der eine in der Fabel, der andere in der Geschichte. Um Mittag warfen wir Anker von Modon, dem alten Methone in Messenien. Um ein Uhr stieg ich an Land. Ich betrat griechischen Boden, ich war zehn Stunden von Olympia, dreißig von Sparta, auf dem Wege, den Telemach nahm, um sich bei Menelaos nach Odysseus zu erkundigen, und kaum war seit meiner Abreise von Paris ein Monat verflossen.
Unser Schiff hatte eine halbe Stunde vor Modon in einem durch das feste Land die die Inseln Sapienzia und Cabrera gebildeten Kanal Anker geworfen, Von diesem Punkt aus betrachtet, erscheinen die Küsten des Peloponnes gegen Navarini hin traurig und öde. Weiter landeinwärts von diesen Küsten erheben sich in einiger Entfernung Berge, die aus einem weißen Sand zu bestehen scheinen und mit welken Pflanzen bedeckt sind, und waren dies der Berg Aegalon, an dessen Fuß Pylos lag. Modon gleicht einer Stadt aus dem Mittelalter und ist mit gotischen, halb verfallenen Befestigungswerken umgeben. Kein Schiff sieht man im Hafen, keinen Menschen am Ufer, überall Stille, Verödung und Verfall.
Ich stieg mit dem Schiffshauptmann in unsere Schaluppe, um an Land zu fahren. Wir näherten uns der Küste, und ich war im Begriff, auf das einsame Ufer zu springen und das Vaterland der Künste und des Genies zu begrüßen, als man uns aus einem der Stadttore zurief. Wir mußten umwenden und nach dem Schloss von Modon steuern. Schon von fern sahen wir Janitscharen, ganz gewaffnet, und neugierig herbei kommende Türken auf der Spitze des Felsens stehen. Sobald wir nahe genug waren, um sie vernehmen zu können, riefen sie uns italienisch ihr Willkommen! zu. Nach echt griechischer Ansicht zog ich aus diesem ersten auf der Küste von Messenien gehörten Worte eine gute Vorbedeutung. Die Türken warfen sich ins Wasser, um unsere Schaluppe an Land zu ziehen, und halfen uns den Felsen zu erklettern. Alle sprachen zugleich und taten an den Schiffshauptmann tausend Fragen in griechischer und italienischer Sprache.
Wir gingen durch das halb verfallene Stadttor. Dann kamen wir in eine Straße, die das Ansehen eines Feldlagers hatte, und mich an den schönen Ausdruck des Herrn von Bonald erinnerte: Die Türken sind gelagert in Europa. Man glaubt nicht, wie treffend dieser Ausdruck in jeder Rücksicht ist. Diese Tataren von Modon saßen mit übereinander geschlagenen Beinen vor ihren Türen auf einer Art von Buden oder hölzernen Tischen, unter elenden Leinwandtüchern, die von einem Hause zum anderen gespannt waren. Sie rauchten Tabak, tranken Kaffee, lachten, schwatzten und machten viel Lärm, ganz gegen meine Erwartung, da ich die Türken still und schweigsam zu finden geglaubt hatte.
Wir begaben uns zu dem Aga, einem armen Schlucker, der auf einer Art von Feldbett in einem Schuppen kauerte. Er empfing mich ziemlich herzlich. Man erklärte ihm die Absicht meiner Reise. Seine Antwort war, er wollte mir Pferde und einen Janitscharen geben, um mich nach Koron zu dem französischen Konsul, Herrn Vial, zu bringen, und ich würde ungehindert durch Morea reisen können, da die Wege sicher wären, seit man einigen hundert Räubern die Köpfe abgeschlagen hätte.
Die Geschichte dieser drei- bis vierhundert Räuber muß ich mit wenigen Worten erzählen. Es hatte in der Gegend des Berges Ithome ein Haufe von etwa 50 Räubern die Wege unsicher gemacht. Der Pascha von Morea, Osman Pascha, begab sich dahin und ließ die Dörfer umzingeln, wo sich die Räuber gewöhnlich aufhielten. Für einen Türken wäre es zu langwierig und zu langweilig gewesen, den Schuldigen von den Unschuldigen zu unterscheiden, man ließ also wie wilde Tiere erschlagen alles, was der Pascha eingeschlossen hatte. Die Räuber kamen freilich um, aber mit ihnen auch dreihundert griechische Bauern, die nichts mit ihnen zu schaffen hatten.
Aus dem Haus des Aga begaben wir uns in die Wohnung des deutschen (österreichischen?) Vizekonsuls. Frankreich hatte damals keinen Agenten in Modon. Er wohnte in dem Flecken der Griechen außerhalb der Stadt. In allen Orten, welche Militärposten sind, wohnen die Griechen abgesondert von den Türken. Der Vizekonsul bestätigte, was mir der Aga über den Zustand von Mores gesagt hatte. Ich nahm seine gastfreundliche Einladung, die Nacht bei ihm zuzubringen, gern an, und fuhr zuvor auf einen Augenblick zu dem Schiff in einem Galeerenboot, das mich nachher wieder an die Küste bringen sollte.
Ich ließ Julian, meinen französischen Bedienten, an Bord. Er sollte mich mit dem Schiff an der Spitze von Attika oder zu Smyrna erwarten, wenn ich das Schiff verfehlte. Ich band einen Gürtel um mich, der alles enthielt, was ich an Gold besaß, versah mich wohl mit Waffen und nahm einen Mailänder namens Joseph, der als Zinnhändler zu Smyrna wohnte, in meine Dienste. Dieser Mann sprach ein wenig neugriechisch und ließ sich für eine bedungene Summe bereit finden, mir als Dolmetscher zu dienen. Ich nahm Abschied von dem Schiffshauptmann und stieg mit Joseph wieder in das Galeerenboot. Der Wind war heftig und widrig. Wir brauchten fünf Stunden, um den Hafen wieder zu erreichen, wovon wir nur eine halbe Stunde entfernt waren, und zweimal standen wir in Gefahr umzuschlagen. Ein alter graubärtiger Türke mit lebhaften Augen, die tief unter dicken Augenbrauen lagen, und blendend weißen Zähnen, lenkte das Ruder, bald still, bald ein wildes Geschrei ausstoßend. Der Vizekonsul erwartete mich am Strande. Während wir zum Flecken der Griechen gingen, bewunderte ich die türkischen Gräber, die von hohen Zypressen beschattet waren, an deren Fuß sich die Wogen des Meeres brachen. Ich sah unter diesen Gräbern weiß verschleierte Weiber, Schatten ähnlich, und nur dieser Anblick allein konnte mich an das Vaterland der Musen erinnern. Der Begräbnisplatz der Christen grenzt nahe an den türkischen. Er ist verfallen, ohne Grabsteine, ohne Bäume. Die Wassermelonen, welche hier und da auf diesen verlassenen Gräbern wachsen, gleichen Menschenschädeln, welche man sich nicht die Mühe genommen zu begraben. Man kann sich nichts Trauriges denken als diese beiden Begräbnisplätze, wo man selbst nach dem Tode, der alles gleich und frei macht, noch den Unterschied zwischen Zwingherrn und Sklaven sieht.
…
Der Vizekonsul, der in einer erbärmlichen Hütte von Gips wohnte, bot mir mit willigem Herzen ein Abendessen dar, das aus Wassermelonen, Rosinen und schwarzen Brot bestand. Man muß nicht wählig im Essen sein, wenn man in der Nähe von Sparta ist. Ich begab mich darauf in die Kammer, die man mir bereitet hatte, aber ich konnte kein Auge schließen. Ich hörte das Bellen der Hunde Lakoniens und das Brausen des Windes von Elis. Wie hätte ich da schlafen können! Am 11. um drei Uhr früh kündigte mir die Stimme des Janitschars an, daß es Zeit wäre, nach Koron aufzubrechen.
Wir stiegen sogleich zu Pferde. Ich will die Ordnung des Zuges beschreiben, weil dieselbe auf der ganzen Reise unverändert so blieb.
Voran ritt der Führer oder der griechische Postillon mit einem Handpferd, das zum Ersatz bestimmt war, wen einem von den Pferden der Reisenden ein Unfall zustoßen sollte. Darauf kam der Janitschar, mit dem Turban auf dem Kopf, zwei Pistolen und einem Dolch im Gürtel, einem Säbel an der Seite und einer Peitsche in der Hand, um die Pferde des Wegweisers anzutreiben. Ich folgte ihm, ungefähr ebenso bewaffnet, und hatte überdies noch eine Jagdflinte. Joseph beschloß den Zug. Dieser Mailänder war ein kleiner blonder Mann mit einem dicken Bauche und einer blühenden Gesichtsfarbe und sehr freundlich. Er war ganz in blauen Samt gekleidet, hatte zwei lange Sattelpistolen in einem engen Gürtel, wodurch seine Weste so seltsam gehoben wurde, daß ihn der Janitschar nie ohne Lachen ansehen konnte. Mein Gepäck bestand aus einem Teppich, worauf ich mich setzte, einer Pfeife, einem Kaffeetopf und einigen Shawls, womit ich mir nachts den Kopf umwickelte. Auf das gegebene Zeichen des Wegweisers brachen wir auf. Wir erstiegen in schnellen Trabe die Berge und ritten dicht am Rande von Abgründen im Galopp hinab. Man muß sich, gern oder ungern, dazu entschließen, denn die türkischen Krieger kennen keine andere Art zu reiten, und wer im mindesten Furcht oder nur Vorsicht blicken ließe, würde sich ihre Verachtung zuziehen. Man sitzt überdies auf Mameluckensätteln mit breiten kurzen Steigbügeln, welche den Reiter nötigen, die Knie zu biegen, ihm den Fuß drücken und den Pferden dies Seiten zerreiben. Bei der geringsten falschen Bewegung stößt der Reiter mit der Brust an den hohen Sattelknopf, und wenn er sich zurückbiegt, zerschlägt er die Rippen an der hohen Rückenlehne des Sattels. Man findet aber bald diese Sättel sehr zweckmäßig, weil der Reiter, besonders bei so gefahrvollen Ritten, sehr fest darin sitzt.
Man reitet acht bis zehn Stunden mit denselbigen Pferden. Auf der Hälfte des Weges lässt man sie ausruhen, ohne sie zu füttern, dann steigt man wieder auf und setzt die Reise fort. Abends kommt man zuweilen in einen Khan (Herberge), ein ödes verfallenes Gebäude, wo man unter allen Arten von Insekten und Gewürmen auf einem verfaulten Fußboden sein Lager nimmt. Der Reisende erhält gar nichts in einem solchen Khan, wenn er nicht einen Post-Firman hat; er muß sich so gut er kann seine Lebensmittel beschaffen. Mein Janitschar ging in den Dörfern auf die Jagd und brachte mir zuweilen einige junge Hühner, die ich durchaus bezahlen wollte. Wir brieten sie bei dem Feuer von grünen Ölbaumzweigen oder kochten sie mit Reis, um einen Pilau davon zu machen. Auf der Erde um unser Mahl sitzend, zerrissen wir das Geflügel mit den Fingern, und nach dem Essen gingen wir zum nächsten Bache, um uns Bart und Hände zu waschen. So reist man jetzt in dem Land, wo Alkibiades und Aspasia lebten.
Es war noch Nacht, als wir Modon verließen. Ich glaubte in Amerikas Einöden zu irren; dieselbe Einsamkeit, dieselbige Stille. Wir zogen, nach Mittag unseren Weg nehmen, durch einen Wald von Ölbäumen. Bei Anbruch der Morgenröte befanden wir uns auf den platten Gipfeln der ödesten Gebirge, die ich je gesehen habe. Wir brauchten zwei Stunden, um hinüber zu kommen. Diese von Gießbächen gefurchten Berggipfel gleichen verlassenen Brachfeldern. Meerbinsen und eine Art stachligen welken Heidekrauts wachsen hier in einzelnen Büschen. Dicke Ableger von Lilien, deren Wurzeln von den Regengüssen entblößt waren, zeigten sich hier und da an der Oberfläche der Erde. Wir sahen das Meer gegen Morgen durch einen lichten Ölbaumwald schimmern. Darauf stiegen wir in einen Talgrund hinab, wo wie einige mit Gerste und Baumwolle besäte Felder sahen. Wir kamen über einen ausgetrockneten Gießbach, dessen Bett voll war von Lorbeerrosen und Keuschbaum (Votex agnus castus), einem Strauch mit sehr langen blassen und dünnen Blättern, dessen lilafarbige, ein wenig wollige Blume sich spindelförmig verlängert. Ich erwähne diese beiden Gesträuche, weil man dieselben fast überall in Griechenland findet; sie zieren fast allein diese einst so lachenden, fröhlich geschmückten Gegenden, die jetzt nackte traurige Einöden sind. Bei Gelegenheit dieses ausgetrockneten Wassers will ich erinnern, daß ich in dem Lande, das der Ilissus, der Alpheus und der Erymanthus durchströmten, nur drei Flüsse gesehen habe, die nicht trocken waren, den Pamisus, den Cephissus und den Eurotas. Man muß mir verzeihen, wenn ich zuweilen die berühmtesten wohllautendsten Namen mit einer Art von Gleichgültigkeit oder Unerehrbietung niederschreibe, in Griechenland wird man unmerklich vertraut mit Themistokles, Epaminondas, Sophokles, Platon, Thukydides, und man muß mit sehr frommer Verehrung der Vorzeit gedenken, wenn nicht über Cithäron, den Menallus oder Lycäus wie über gewöhnliche Berge wandern soll.
Als wir aus dem Tal kamen, das ich vorhin erwähnt habe, mussten wie wieder neue Berge ersteigen. Mein Wegweiser nannte mir mehrmals unbekannte Namen, aber nach der Lage zu urteilen, mußten diese Berge ein Ast des Berges Temathia sein. Bald nachher kamen wir in einen Wald von Ölbäumen, Loberrosen, Keuschabäumen und Kornelbäumen. Über diesem Wald erhoben sich felsige Gipfel. Als wir die letzte Spitze erstiegen hatten, entdeckten wir den messenischen Meerbusen, der überall von Bergen eingefasst ist, unter welchen sich der Ithome durch seine beiden spitzigen Gipfel auszeichnete. Ich begrüßte diese berühmten Berge mit allen schönen Versen zu ihrem Lobe, die mir einfielen.
Ein wenig abwärts vom Gipfel des Temathia, nach Koron hinabsteigend, bemerkten wir eine elende griechische Meierei, deren Bewohner bei unserer Annäherung flohen. Als wir weiter hinab kamen, sahen wir unter uns die Reede und den Hafen von Koron, wo einige Schiffe vor Anker lagen. Das Geschwader des Kapudan Pascha lag an der anderen Seite des Meerbusen nach Kalamata hin. In der Ebene am Fuß der Berge, die sich bis ans Meerufer erstreckt, ließen wir rechts ein Dorf liegen, in dessen Mitte sich eine Art von festem Schloss erhob. Das Ganze, Dorf und Schloß, war mit einem großen türkischen Kirchhof umschlossen, der mit alten und jungen Zypressen bedeckt war. Mein Wegweiser nannte diese Bäume Parissos. Ein Messenier aus dem Altertum würde mir die ganze Geschichte des Jünglings von Amyklea (Kyparissos) erzählt haben, wovon die heutigen Messenier nur den halben Namen noch kennen, aber dieser Name, so entstellt er war, auf dem klassischen Boden selbst, beim Anblick einer Zypresse und der Gipfel des Taygetos ausgesprochen, erweckte ein Vergnügen in meiner Seele, das Dicher mir nachempfinden werden. Ein Blick auf die Gräber der Türken gab mir Trost, denn sie erinnerten mich, daß die barbarischen Eroberer Griechenlands in der Erde, welche sie verwüstet hatten, auch ihre letzte Ruhestätte fanden. Diese Gräber sind übrigens sehr freundlich. Die Lorbeerrose wuchs am Fuße der Zypressen, welche hohen schwarzen Obelisken gleichen, weiße Turteltauben und blaue Tauben flatterten und ruchseten in diesen Bäumen. Gras wehte um die kleinen Trauermäler, welche mit einem Turban gekrönt waren, und ein von einem Scherif gebauter Springbrunnen ergoß sein Wasser für den durstigen Wanderer. Man hätte wohl gern auf diesem Begräbnisplatz verweilen mögen, wo der griechische Lorbeer und die morgenländische Zypresse, welche diesen beschattete, das Andenken von zwei Völkern zurückriefen, deren Asche hier ruhte.
Von diesen Kirchhof bis nach Koron hat man noch etwa zwei Stunden. Wir gingen durch einen ununterbrochenen Ölwald, der mit halb abgemähtem Weizen besät war. Der Boden, welcher von fern ganz eben zu sein scheint, ist durch tiefe, ungleiche Regengräben zerrissen.
Herr Vial, damals französischer Konsul in Koron, empfing mich mit der Gastfreundschaft, wodurch sich die Konsuln in der Levante auszeichnen. Ich überreichte ihm einen von den Empfehlungsbriefen, welche mir Herr von Talleyrand auf Bitte des Herrn von Hauterive an die französischen Konsuln in der Levante gegeben hatte.
Herr Vial war so gütig, mir eine Wohnung in seinem Hause anzubieten. Er sandte meinen Janitschar nach Modon zurück und gab mir einen von seinen eigenen, der m ich auf meiner Reise durch Morea begleiten und nach Athen bringen sollte. Da der Kapudan Pascha im Kriege mit den Manioten war, so konnte ich meine Reise nach Sparta nicht über Kalamata machen. Ich musste mich also zu einem langen Umweg entschließen.
…
Herr Vial war so gütig, mir Koron zu zeigen, das nur ein Haufen neuer Trümmer ist. Er zeigte mir auch die Stelle, vn welcher aus die Russen die Stadt im Jahre 1770, in jenr für Morea so unglücklichen Zeit, beschossen. Seitdem haben die Albaner die Volksmenge noch mehr aufgerieben. Zu der Zeit, als Pellerin reiste (1715 und 1719) gehörten zu Koron gegen 80 Dörfer, und ich glaube nicht, dass sich jetzt in diesem Bezirk fünf oder sechs befinden. Der Überrest dieser verheerten Felder gehört Türken, welche drei- oder viertausend Ölbäume besitzen und in einem Harem zu Konstantinopel das Erbe des Aristomenes verzehren. Die Tränen kamen mir in die Augen, wenn ich sah, wie die Hände des griechischen Sklaven, nutzlos für ihn, von dem Öle trieften, das den Armen seiner Väter die Kraft gab, Tyrannen zu besiegen.
Das Haus des Konsuls erhob sich über den Meerbusen von Koron. Ich sah aus meinem Fenster das messenische Meer im schönsten Himmelblau glänzen; vor mir, auf dem anderen Ufer dieses Meeres, erhob sich die hohe Kette des schneebedeckten Taygetos, die Polybius treffend mit den Alpen vergleicht, aber mit den Alpen unter einem schöneren Himmel. Zur Rechten dehnte sich das offene Meeer aus, und links in Hintergrund des Meerbusens stand der Ithome einsam, wie der Vesuv und mit verstümmeltem Gipfel wie dieser. Ich konnte dieses Anblicks nicht müde werden. Welche Gedanken erweckt der Anblick dieser öden Küsten Griechenlands, wo man nichts hört als das ewige Heulen des Windes und das Seufzen der Wogen! Einige Kanonenschüsse, die der Kapudan Pascha zuweilen gegen die Felsen der Manioten richtete, unterbrachen allein dies traurige Geräusch durch ein noch traurigeres. Man sah auf dem ganzen weiten Meer nichts als das Geschwader dieses Barbaren-Anführers. Es erinnerte mich an jene amerikanischen Seeräuber, welche ihr blutiges Panier auf eine unbekannte Küste pflanzten, indem sie von einem bezaubernden Land im Namen der Knechtschaft und des Todes Besitz nahmen; oder ich glaubte Alarichs Schiffe zu sehen, welche sich von dem verbrannten Griechenland entfernten und die Schätze der beraubten Tempel, die Trophäen von Olympia, die zerbrochenen Bildsäulen der Freiheit und der Musen mitnahmen.
Chateaubriand, F. R.
Reise von Paris nach Jerusalem …
Band 1, Leipzig 1811