Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

Um 1803 - Stephan Schütze, Reiseschriftsteller
Fensterln auf Fehmarn

 

Über die auf der Insel Fehmarn alt hergebrachte Sitte des Fensterns, die sich trotz alles Gegenredens und Schreibens, und selbst strenger landesherrlicher Strafgesetze nicht abstellen lassen will, habe auch ich einiges auf dem Herzen und meinem Journale oder Reise-Portefeuille. Das Fenstern, Nachtfenstern, besteht darin, daß ehelustige Jünglinge oder Witwer sich zur Nachtzeit vor den Fenstern der Schlafzimmer mannbarer Landestöchter oder Witwen einfinden und, gewöhnlich mit der Formel: Lütt Mäderken, mak aapen! Kleines Mädchen, mach offen! um Einlaß und freyes Entree als Freiwerber bitten. Wird deren einer (nie mehrere zur Zeit) durchs Fenster eingelassen, so geht es an ein Plaudern und Dahlen mit dem Mädchen oder der Wittfrau im Dunkel des Zimmers, das nur etwa durch den Blitz des zum Rauchen der Pfeife angeschlagenen Feuerzeugs des Nachtvogels und Werbers zuweilen unterbrochen wird.
   Diese alte Gewohnheit hat, wie manche ähnliche, ihr für und wider. Für sich die Entstehung, wider sich ihre Ausartung und den Mißbrauch. Sie entstand aber daher, weil die jungen Leute beiden Geschlechts sich ehemals selten anders als bei Hochzeiten und Taufhandlungen zu Gesicht und miteinander zur Sprache kamen, und ein Korb für schimpflich gehalten ward, der auf diesem Wege im Schleier der Nacht und Dunkel des Geheimnisses einen Trost wenigstens dem Empfänger übrig ließ.
   Daß diese Sitte durch Ausartung zu Exzessen, Schwängerungen und Wollüsteleien führt, ist ausgemacht; eben so ist ausgemacht, daß sie in der Regel mit einer Art von Zucht und Anstand betrieben wird, die sich schon der geringen Anzahl unehelicher Geburten auf der Insel einigermaßen abnehmen läßt. Dieser Weg alles Fleisches, wie jemand das Fensterwesen und Unwesen sehr naiv nannte, hat freilich mitunter zur Folge, daß Hochzeit und Entbindung auf einen Tag fallen; doch ist es mir wenigstens problematisch, ob nicht mehr glückliche als unglückliche Ehen dadurch zu Stande gebracht werden. Sehr übel ist, daß der jungen Leute mehrere als einer bei einem Mädchen fenstern, und es scheint wenig dadurch gebessert  zu werden, daß, sobald die Schöne einen unter den mehrern Fensterern erkoren und ihm die Ehe zugesagt hat, nur er noch, mit Ausschluß der übrigen, zum Fenster eingelassen, seine Nachtvisiten fortsetzen darf. Der verstorbene sehr würdige Probst Stresow auf Fehmarn hat der Mißbräuche halber die als eine sündliche Gewohnheit abzustellende Sitte in einer eigenen Schrift ernstlich aber ohne Erfolg bestritten. Manche unter den Fensterern meinen es (heißt es unter anderem darin) nicht ehrlich, sie suchen durch unbemerkte Einschleichung ins Haus zur Abendzeit oder Ausnehmung der Fensterscheiben sich Eingang zu verschaffen – zu erschleichen, kommen unangemeldet, ohne die Grußformel, bestechen die Magd des Hauses, sagen nicht, wer sie sind, geben sich auch wohl falsche Namen. Diese Abweichungen, Einbrüche, sind Gewaltthaten, die, wie die Nothzucht, von der Zucht verschieden sind. Daß manche junge Leute noch itzt die Pferde ihrer Nachbarn von der Weide oder aus den Ställen rauben, um damit den Ritt auf die Freite nach einem weit entfernten Fenster zu machen, wurde mir kund und bestätigt, als ich eines Abends in Burg bei Tafel sitzend, ein starkes Galoppieren mehrerer Pferde durch die Gasse lärmen hörte. „Das sind unsere Fensterer“; sagte einer aus der Gesellschaft. „Sie kommen daher aus einem entlegenen Dorfe, um bei einer und der anderen Burgerin und Bürgerin, Citoyenne, ihren nächtlichen Cursus zu machen.“
   Ich will es dem Leser nur gleich gestehen, daß ich selbst ein wenig Lust hatte (wozu hat ein Lustreisender nicht alles Lust!) und sogar äußerte, einmal von einer solchen Parthie zu seyn. Ja, ich war keck genug, meine Tischnachbarin, ein niedliches, blühendes, kerngesundes und lustiges Mädchen, die meinen Augen wohl behagte, ganz gesetzt um die Erlaubniß anzusprechen, einmal bei ihr – fenstern z u dürfen. Sie nahm diesen Antrag (denn sie hatte Geist) im mindesten nicht übel, sondern erwiderte lächelnd:
   „Daran ist nicht zu denken. Ein Fremder wie Sie findet durch kein Fehmarnsches Fenster den Durchweg.“
   Ich: „Wenn ich aber so herzlich und melodisch als möglich, meine Serenade ‚Lüth Mäderken! Oder lütj Moddersch (Muhme) mak aapen‘ anstimmte, würden Sie so grausam seyn?“
   Sie: „Ich würde so melodisch als möglich erwidern: ‚Gaat wider ich vermag ju nig‘ (geht weiter, ich mag Euch nicht, das ist die Abweisungsformel) und würde hinzusetzen: ‚Weil Du ein Fremdling im Lande bist.“
   Ich. „Da hätt ich ja einen Korb in bester Form?“
   Sie: „trösten Sie sich: Ich bin Braut und bei mir ward nie gefenstert. Auch sagte ich ja: Weil Sie ein Fremdling im Lande sind.“
   
Schütze, Stephan
Humoristische Reisen durch Mecklenburg, Holstein …
Hamburg 1812

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