Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1865 - David Bremner
Im Industriegebiet
Coatbridge bei Glasgow

Schottland

 

Coatbridge ist zwar ein sehr interessanter Industriestandort, aber alles andere als schön. Dichte Rauchwolken rollen unaufhörlich darüber hin und lassen alle Gebäude auf besondere Weise schmuddelig aussehen. Eine schwarze Schmutzschicht bedeckt alles, und nach ein paar Stunden stellt der Besucher fest, dass sich sein Teint deutlich zum schlechteren verändert hat; das liegt an den Rußflocken, die die Luft erfüllen und sich auf seinem Gesicht niederlassen. Um Coatbridge schätzen zu lernen, muss man es bei Nacht besuchen, wenn es ein außergewöhnliches und, wenn man es zum ersten Mal sieht, bestürzendes Spektakel bietet. Vom Turm der Kirche aus, die auf einem ziemlich hohen Hügel steht, kann man die Flammen von nicht weniger als fünfzig Hochöfen sehen. Im Tageslicht sind diese Flammen blass und unauffällig, aber wenn die Nacht kommt, erscheinen sie kräftiger, und es entwickelt sich ein düsterer roter Schein wie bei einer Feuersbrunst. Um jede Gruppe von Hochöfen ist die Gegend bis auf einen halben Kilometer so hell erleuchtet, als ob Vollmond wäre, und die Leute von Coatbridge haben so ihre Straßenbeleuchtung ohne Kosten oder Aufwand. Es liegt etwas Großartiges schon im Anblick der Öfen von weitem, aber der Eindruck verstärkt sich noch, wenn man sich ihnen bis auf etwa 100 m nähert. Dann wird man von den Feuern in den Bann geschlagen. Kein Feuerwerkstechniker kann etwas konstruieren, das diesen wilden Wirbeln gleichkommt. Die Formen ändern sich ununterbrochen und die Bewegungen variieren endlos. Jetzt schießen sie hoch empor, brechen ab und gehen im Rauch unter; weiten sich aus, wälzen sich über den Rand und schießen durch die Öffnungen, als ob sie sich entschieden hätten, nicht an dem ihnen zugewiesenen Platz zu bleiben. Dann sinken sie zurück, kommen wieder mit erneuerter Kraft als große Feuerzungen, die vorwärts und rückwärts schnellen, als ob sie in wildem Eifer etwas suchen, was sie verschlingen können.
   Die ausgedehntesten Eisenfabriken in Schottland sind die der Firma Baird & Co. Dazu gehören 42 Hochöfen, 9.000 Männer und Jungen als Beschäftigte und eine Produktion von etwa 300.000 Tonnen Roheisen pro Jahr, was etwa einem Viertel der Gesamtproduktion nördlich des Tweeds entspricht. 26 dieser Öfen liegen an mehreren Orten in Ayr, die restlichen 16 in Gartsherrie in der Nähe von Coatbridge. Das Werk von Gartsherrie ist das größte in Schottland, und es wird behauptet, in ganz Großbritannien gäbe es nur eine Fabrik mit mehr Öfen. Hier werden 100.000 Tonnen Roheisen hergestellt, und daran arbeiten 3.200 Männer und Jungen. Innerhalb von 24 Stunden werden mehr als 1.000 Tonnen Kohle verbraucht. Es ist der Erwähnung wert, dass von dieser Kohle 19/20 aus einem Umkreis von weniger als einem halben Kilometer um die Öfen stammen – das zeigt, wie gut der Standort gewählt ist. Ein Kohlenbergwerk liegt sehr nahe an den Öfen und ist in Betrieb, seit die Fabrik vor 40 Jahren ihre Arbeit aufgenommen hat. Die Kohle erreicht die Öfen über eine automatische Rutsche. Der größte Teil des Eisenerzes wurde früher in der Nachbarschaft gefördert, aber nun muss es über eine Entfernung zwischen drei und 30 km herbeigeschafft werden, ein Eisenbahnnetz verbindet Erzgruben und Fabriken. Das Eisenbahnnetz misst etwa 80 km, der Transport wird von sechs Lokomotiven und einer ungeheuren Anzahl von Wagen bewältigt. Die Anlagen sind mit den großen Eisenbahnstrecken des Landes verbunden und haben zusätzlich noch Transportmöglichkeiten auf einem Stich des Monklands Canal, der durch das Zentrum der Fabrik führt. Auf dem Kanal gibt es 18 Leichter mit einem Fassungsvermögen von je 60 Tonnen, acht davon sind Schraubendampfer. Ein großer Teil des produzierten Eisens wird über den Kanal weggeschafft.
   Da die Eisenwerke von Gartsherrie einen weithin bekannten Ruf für hohe Qualität in der Produktion haben und zu den am besten organisierten Fabriken im Lande gehören, ist eine Beschreibung wohl von Interesse.
   Die Hochöfen, 16 an der Zahl, stehen in zwei Reihen zu beiden Seiten an und in etwa 40 m Entfernung von den Ufern des Kanals. Da man mit einem konstanten Nachschub and Kohle und Erz rechnen kann, gibt es nur wenig Vorratshaltung. Die Züge mit den Rohstoffen laufen mit unfehlbarer Regelmäßigkeit und die Fracht wird für den sofortigen Gebrauch abgeladen. Deshalb gibt es kein überflüssiges Herumschaufeln und es entstehen auch keine Kosten für den Aufbau von Halden. Die angelieferten Mengen von Eisenerz, Kohle und Kalkstein entsprechen im Mengenverhältnis genau dem, was in der Produktion gebraucht wird. Körperliche Arbeit ist durch eine Anzahl erfindungsreicher Geräte auf ein Minimum reduziert und Abfall entsteht nur in winzig kleinen Mengen. Alles läuft nach einem wohldurchdachten System ab, und nichts, was mit dem Werk in Zusammenhang steht, wird als so unwichtig angesehen, dass es keine Aufmerksamkeit verdient. Müll darf sich nicht ansammeln, kein Eisen, keine Schlacke liegen herum, jeder Winkel und jede Ecke in diesem Riesenkomplex sind so sauber und aufgeräumt, wie es überhaupt nur möglich ist. Die Arbeiter werden großzügig behandelt, müssen aber sorgfältig und gut arbeiten. Nachlässigkeiten und Unregelmäßigkeiten werden ohne Ausnahme bestraft, gute Arbeit aber auch belohnt. Alle Arbeiter an den Öfen und auch die Heizer und Ingenieure werden nach Menge und Qualität des produzierten Eisens bezahlt. Dieses Verfahren gilt als sehr gute Methode, da jeder weiß, dass er nicht nur Geld in die Taschen seiner Kollegen schaufelt, sondern auch seinen eigenen Verdienst erhöht, wenn er sorgfältig arbeitet.

 

Bremner, David
The industries of Scotland
Edinburgh 1869
Übersetzung: U. Keller

Abgedruckt in:
Ulrike Keller (Hrg.)
Reisende in Schottland seit 325 v. Chr.
Wien 2008

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!