1497 - Arnold von Harff, Pilger vom Niederrhein
Ablass in Rom
In Rom gibt es sieben Hauptkirchen, die wir vier oder fünf Mal besuchten; da kann man großen Ablass verdienen.
Die erste ist Sankt Johann im Lateran [San Giovanni in Laterano], die oberste Kirche der Christenheit. Sie war ein Palast des Kaisers Konstantin; in dieser Kirche gibt es eine goldene Pforte, die nur in einem gnadenreichen [Heiligen] Jahr geöffnet wird. Es gibt auch drei andere Pforten nebeneinander, und da man nicht weiß, welches die rechte ist, geht man durch alle drei. Wer das mit Andacht und Reue tut, dem werden alle Sünden vergeben. Man kann auch für Seelen [von Toten] da durch gehen und sie so erlösen.
Nicht weit davon ist ein Stein, auf dem Sankt Silvester gestanden hat, als er Konstantin und seinem Volk den Christenglauben predigte. In diesen Stein sind die Worte gehauen: Aures audiencium [Die Ohren der Zuhörer].
Über dem Hochaltar ist ein eisernes Gatter, darin stehen die zwei Häupter, von Sankt Peter und Sankt Paul, den Aposteln.
Unter dem Hochaltar ist das Grab Sankt Johannes‘ des Evangelisten. Als er sich selbst da hinein gelegt hat, gab es eine helle Wolke um das Grab. Als sie vergangen war, fand man himmlisches Brot an der Stelle liegen. Vor diesem Altar werden alle Sünden vergeben.
Nahe dabei steht ein Altar, der Maria Magdalena zu Ehren geweiht ist. Über dem Altar ist ein Purpurkleid, das Christus anhatte, als Pilatus sprach: Ecce homo, siehe welch ein Mensch, und derselbe Schleier, den ihm seine liebe Mutter umlegen ließ, als er vom Kreuze kam. Auch ein Hemd Christi und die Handtücher, mit denen er seinen Jüngern am Gründonnerstag zu Jerusalem auf dem Monte Syon die Füße getrocknet hat, und viele Heiltümer der Heiligen Maria Magdalena. Zu Ostern sahen wir diese Heiltümer.
In der Sakristei ist der Altar, wo Sankt Johann Messe gelesen hat. Auf dem Altar ist die Arche des Alten Testaments und über der Arche ist der Stab Moses, der zu Jerusalem im Tempel Salomos gewesen ist. Auch ist über der Arche ein Stück von dem Tisch, an dem Christus unser Herr am Gründonnerstag mit seinen Jüngern gegessen hat.
In der Nähe des Ganges zu der Goldenen Pforte gingen wir in eine Kapelle. Darin ist ein Altarstein, auf dem um die Kleider Jesu Christi gespielt worden ist, und man sagt auch, dass Unsere Liebe Frau darauf gesessen habe, als ihr der heilige Leichnam vom Kreuz gebracht worden sei. In dieser Kapelle sind drei Pforten, durch die Christus zu Jerusalem zu der Stätte seiner Martyrien gegangen ist. Wer da durch geht mit Andacht, dem sind alle Sünden vergeben, wie ich vorher schon geschrieben habe.
Hier vor der Kirche sahen wir einen großen metallenen Mann auf einem metallenem Pferde sitzen, was zu Ehren eines Bauern gemacht ist, der vorzeiten in Rom ein Hauptmann gewesen ist und durch den Gesang eines Kuckucks die Stadt von den Feinden befreit hat, die sie kräftig belagert hatten.
Dann kamen wir in eine Kapelle, in der ein Altarstein ist, auf dem die Zeichen von fünf Fingern stehen. Auf dem Stein ist die Mutter Gottes in Ohnmacht gefallen, als ihr verkündigt wurde, dass ihr Kind gefangen wäre; da hast sie sich an dem Stein festhalten wollen, und die Abdrücke der Hand sind darauf stehen geblieben.
In derselben Kapelle über der Tür steht ein hölzernes Kruzifix, von dem es heißt, es sei als erstes gemacht worden zu Ehren der Martyrien Jesu Christi.
Bei dieser Kapelle kamen wir an eine steinerne Marmortreppe, die 28 Stufen hoch ist und zu Jerusalem an Pilatus‘ Haus gestanden hat, auf der Christus zu Pilatus geführt und verurteilt wurde. Wir krochen diese Treppe auf unseren Knien hoch, auf jeder Stufe ein Paternoster sprechend. Auf einer Stufe steht ein Kreuz, mit Eisen umgattert. Hier ist Christus in Ohnmacht auf seine Knie gefallen. Man sagte uns, wer die Treppe hoch ginge, der verdiene auf jeder Stufe neun Jahre Ablass, und wer sie hinaufkröche, der erlöse eine Seele aus dem Fegefeuer.
In der Nähe gingen wir in eine Kapelle, die heißt Sancta Sanctorum. Auf dem Altar ist ein gemaltes Bild unseres Herrn Jesus, das Sankt Lukas konterfeit hat. Weiterhin gibt es in dieser Kapelle viele Heiltümer und große Gnade. Hierin darf niemand Messe lesen als der Papst allein. Wer hier hereingeht in Andacht, seine Sünden bereuend, dem werden alle Sünden vergeben, die Strafe wie die Schuld. Man läßt keine Frauen in diese Kapelle unter Strafe des Bannes. Der Ablass in dieser ersten Hauptkirche ist unbeschreiblich groß.
Groote, E. von (Hg.)
Die Pilgerfahrt des Arnold von Harff …
Cöln 1860; Faksimile Hildesheim/Zürich/New York 2004