1730 - Jane Vigor, Reiseschriftstellerin
Petersburger Schlittenfahrt
Ich will Ihnen von meiner Reise von Petersburg hierher [nach Moskau] einige Nachricht geben. Wir fuhren den 5. März in Schlitten ab; diese sind einer Wiege ähnlich, von Holz und mit Leder überzogen. Man liegt auf einem aufgemachten und mit Pelzwerk bedeckten Bette: es hat nicht mehr als eine Person Platz darinne, welche die Reise sehr unangenehm macht, da man mit niemand reden kann. Wir reisten Tag und Nacht und kamen den 9. hier an.
Sie werden sprechen, daß ich über die Reise schnell weghüpfe, aber was soll ich denn sagen? Unsere Bewirthung unterwegs war ein kleines rauchigtes Gemach, wo wir still hielten, um die Pferde zu wechseln, und aßen, was wir mitbrachten. Die Leute waren über die Maßen höflich gegen uns, aber man sieht hier die menschliche Natur wahrhaftig so tief erniedrigt, und die elenden Menschen sind so arm, daß sie nur bloß die Gestalt menschlicher Geschöpfe zu haben scheinen. Wenn man diese Hütten ausnimmt, die nur bloß zu Wechselung der Pferde in einer gewissen Weite angelegt zu seyn scheinen, so reiset man dem Ansehen nach durch ein unbewohntes Land; man sieht weder Stadt noch Haus, nichts als dicke Wälder: diese waren mit Schnee bedeckt, und gaben einen sehr romanhaften Anblick: ich bildete mir oft ein, daß der Schnee aus den Stumpen der Bäume und dem Gebüsche allerhand Figuren bildete; ich sah Bären, Wölfe, ja Stutzer zwischen den Zweigen der Bäume, und wünschte sie oft bey mir; denn man hätte hier einen gefrornen Liebhaber finden können, für den man nicht Ursache gehabt hätte sich zu fürchten.
O, ich bitte um Verzeihung, daß ich oben sagte, wir kamen durch keine Stadt – wir sind durch Nowgorod und Twer gekommen. Die erste von diesen beyden ist wegen des St. Antonien Klosters berühmt, der, ihrer Erzählung nach, von Padua auf einem Mühlstein dahin geschwommen, und einen so großen Schatz mitgebracht haben soll, daß davon dies Kloster erbaut werden konnte.Die Stadt ist groß, aber schlecht; die Häuser sind alle von Holz, niedrig und klein, die Außernseite des Klosters ist gar nicht schön, von innen hab ichs nicht gesehen. Twer ist eine artige saubere Stadt, an der Seite eines Hügels am Ufer der Wolga gelegen; die Häuser sind von Holz und recht nett.
Vigor, Jane
Briefe über Russland von einem Frauenzimmer, das sich einige Zeit daselbst aufgehalten hat
Leipzig 1775