Um 1762 - Johann Joachim Winckelmann
Essen am antiken Schanktisch
Pompeji
[Aus einem Brief an Bianconi, Hofrath in Dresden und Resident am päpstlichen Hof.]
Heute will ich Sie von einigen andern Örtern unterhalten, die zwar kein Herculanum sind, die uns aber beinahe eben so schöne Denkmäler als jene liefern.
Zuerst von Pompeji, welches nicht durch die Lava überschwemmet, sondern durch kleine Steine und Asche bei dem bekannten unglücklichen Ausbruche des Vesuvs verschüttet wurde.
Pompeji lieget an der salernitanischen Straße, sieben italiänische Meilen von Portici, und dreizehn von Neapel. Auf meiner Umherreise und Besuchung derjenigen Örter, wo gegraben wurde, als: Herculaneum, Stabia, Resina, u.s.w. habe ich zu Pompeji den Beschluß gemacht. Diese Stadt war größer als die übrigen alle. Nur acht Menschen arbeiteten daran, eine ganze verschüttete Stadt vom Schutte zu reinigen und an das Tageslicht zu bringen; und in allen vier benannten Örtern sind überhaupt fünfzig Mann, theils Tagelöhner, theils Sklaven aus der Barbarei angestellet. Auf diese Art werden Jahrhunderte erfordert, um alle unterirdischen Schäze auszugraben. In meiner Gegenwart ward zu Pompeji eine Sonnenuhr von Marmor ausgegraben, deren Linien mit Menig roth gefärbt waren, und man arbeitete daran, in einem Zimmer, das mit Viereken bemalet war, welche von gemaleten Rohrstäben durchkreuzt wurden, die Erde und versteinerte Asche loszumachen. An der Wand war ein antiker Schenktisch angemachet, über welches stufenweise zwei Absäze, jeder einen Palm [Handbreit] hoch, angebracht waren, um Schüsseln, Teller und dergleichen darauf zu sezen. Das Fußgestelle war von einer Art Peperino oder Breccia beleget, mit einen rings umhergehenden Streifen von Verde antico, die Absäze waren auf gleiche Art bekleidet.
Ich blieb den ganzen Tag dabei, um es abzuwarten, daß der ganze Schenktisch dem Auge sichtbar wäre. Der Director des Museums und ich hielten unser Mittagsmahl von dem, was für uns in Portici zubereitet worden, auf selbigem: die Asche war aber zu fest und zu hartnäkig, so daß wir das Ende nicht abwarten konnten.
Wir gingen in die Hauptstraße der Stadt, die mit Lava gepflastert war, welche die Alten nicht kannten, die aus einigen um den Vesuv herum gefundenen Stüken Bimsstein urtheileten, daß sich dieser Berg in alten Zeiten einmal entzündet haben müßte, da man doch den Bimsstein in den pompejischen Gebäuden mit verarbeitet findet. Die Kunst zu beobachten ward bei den Alten eben nicht sehr geübet, und darüber haben sie die schönsten Entdekungen vernachläßiget. Auch die Straßen des alten Herculanums sind mit Lava gepflastert.
Der Schenktisch ist nach meiner Abreise ganz heraus und nach Portici gebracht worden.
Johann Winckelmanns sämtliche Werke …
Band 2, Donauöschigen 1825