1847 - Alfred Brehm
Auf Korfu
Auf Korfus Leuchtturm erlosch am 9. Juli eben das Licht, als die »Mamudie« in den engen Kanal einbog, der die größte der lonischen Inseln vom Festlande trennt. Noch lagen beim heraufdämmernden Morgen die zahlreichen Landhäuser, Orangengärten und Weinberge des herrlichen Eilandes im tiefsten Schatten, die Stadt ruhte noch im Schweigen der Nacht, als wir ihr gegenüber Anker warfen. Von einem der Forts auf den kleinen Inseln im Meer donnerten zwei Kanonenschüsse dem jungen Tage entgegen. Fröhliche Waldhornsignale und lärmender Trommelschlag antworteten auf allen Basteien der Festung. Die Purpurwölkchen über den Gebirgskämmen Albaniens verblichen vor den ersten Sonnenstrahlen, die Spitze des Leuchtturms erglühte im hellsten Feuer, Stadt und Meer schienen wie mit Gold überhaucht.
Korfu ist, vom Meere aus gesehen, die schönste Stadt, die man sich denken kann. Auf steilen Felskegeln thronen die gewaltigen Forts. Kaktusfeigen wuchern auf ihren Mauern und Zinnen wie an den unersteiglichen Felswänden. Pflanzen, die wir nur in unseren Gärten sehen, treibt hier die Sonne Griechenlands zu Sträuchern und Bäumen empor, und zwischen den schon ganz orientalisch gebauten Häusern der Stadt blüht und reift die goldene Orange »im dunklen Laube«. Griechische Kirchen mit niederen, durchbrochenen Glockentürmen stehen neben den Wohnungen der auf die Insel übergesiedelten Briten. Die morgenländische Terrasse wechselt mit dem nordischen Ziegeldach. Die Straßen ziehen sich in breiten, aus dem Felsen gehauenen Treppen oder abschüssigen Wegen so steil den Berg hinauf, daß das Haus einer oberen Gasse auf dem einer unteren zu stehen scheint. Kleine Gärtchen sind mit sorgsamem Fleiß überall angelegt worden, wo der Felsen Raum zu einem Blumenbeet übrig ließ. Grünende Gärten und Olivenhaine, schöne Villen und Weinberge rahmen das Zauberbild von beiden Seiten ein.
Das Meer war von unzähligen Fischerbarken belebt, die zwischen den zahlreichen Kriegs- und Handelsschiffen dahinruderten. Einige von ihnen kamen zu unserem Schiffe und luden uns zum Landen ein. Die fremdartig gekleideten Männer wiegten sich auf den Wellen wie die silberweißen, grauröckigen Möwen, die zu Hunderten auf der lasurblauen Flut dahinglitten. Wir bestiegen eine der Barken und ruderten dem Lande zu. Ein rotröckiger englischer Soldat öffnete ein enges Pförtchen im Tore und ließ uns eintreten. Der Europäer glaubt sich im Innern der Stadt von einem Zauber umfangen zu sehen. Alles ist ihm neu, alles ist anders als daheim. Neu sind ihm die Sprachen, die er hört, neu ist alles, was er sieht: die Trachten und Kleidungsstoffe, Basare und Kaufhallen, Kirchen und Gebäude, Menschen und Tiere, Blumen und Früchte.
Wir durchwanderten die Stadt und erstiegen die von den Engländern angelegten starken und ausgedehnten Festungswerke. Von dem höchsten Fort der Festung, wo sich Leuchtturm und Signalmast befinden, hat man einen köstlichen Blick über die Insel. Sie liegt wie ein lachender Garten zu den Füßen des Beschauers ausgebreitet und setzt erst in einiger Entfernung von der Stadt durch ihre eigenen hohen Berge dem Auge Grenzen. Die Vegetation ist rein südlich und wegen der hier noch fallenden Regen sehr üppig. Die Fauna ist die des gegenüberliegenden Gebirgslandes Albanien oder die des nahen Griechenland. Wir besichtigten eine kleine Sammlung ausgestopfter Vögel, die uns dies bestätigte.
Man hört auf Korfu Englisch, Griechisch, Italienisch, Französisch und Deutsch. Ebenso verschieden wie diese Sprachen sind die Bewohner. Zwischen den malerisch und faltenreich gekleideten Griechen und Türken sieht man den Europäer in seinem eng anliegenden Kostüm. Er hebt sich unangenehm von dem ernsten Amtsgewand des griechischen Popen oder dem farbenprächtigen Kleid des albanischen Kriegers ab und zerstört durch seine prosaische Erscheinung das Kolorit des südlichen Bildes.
Brehms Weltreisen zwischen Nordkap und Äquator
Von ihm selbst erzählt
Hg. H. Bode
Mannheim 1956