Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1836 - Ludolf Wienbarg
Britisches Helgoland

 

Der Gouverneur, Sir King, ehemaliger englischer Offizier, hat ein rothes, frisches Gesicht, einige Ähnlichkeit mit dem höchstseligen King George. Bei Waterloo holte er sich ein steifes Bein, das ihm auf diesem krüppeligen Eilande zu Statten kommt. Er trägt Civilkleider, einen blauen Leibrock mit gelben Knöpfen, feine Wäsche, einen Kastor, den er selten zieht und eine Lorgnette, die er häufiger in Anspruch nimmt. Er ist der einzige Repräsentant von England auf dieser Insel, seitdem die Besatzung zurückgezogen worden, eine Maßregel, welches des sparsamen Herrn Humes desfalsigen Antrag im Parlament veranlaßte. Die Besatzung war in der That überflüssig. Bei ausbrechendem Kriege kann man leicht einige Dutzend Soldaten wieder hinaufwerfen. Helgoland ist übrigens keine militärische Position und in seinem jetzigen Zustande mehr negativ bedeutend. Aber Helgoland nehmen will, muß erst die englische Flotte nehmen, um ruhiger Besitzer und Nutznießer der vortheilhaften Lage der Insel zu werden. Freilich, besäße Helgoland einen Hafen, wo Kriegsschiffe vor Anker gehen könnten, dann würde jede Flagge, die von Helgoland wehte, stolz und verächtlich auf ihre Gegnerin herabsehen dürfen: Helgoland wäre das Malta der Nordsee. Welchen Nachdruck hätte Napoleon im Besitze dieses Felsens und eines solchen durch die Kanonen desselben geschützten Hafens seinem furchtbaren, aber nur zu sehr durch Hollands und Helgolands Schmuggelei durchlöchertem Dekret von Berlin verleihen können! Wir sicher wäre eine Abtheilung der dänischen Flotte unter Helgoland dem gemeinsamen Schicksale vor Kopenhagen entronnen! Mit dem Gelde, was ein paar von den weggenommenen Linienschiffen kosteten, hätte der König von Dänemark hier einen Kriegshafen und damit einen militärischen Punkt in der Nordsee sich schaffen können, der ihm die Elbe und die ganze Westküste des Königreiches gesichert und ihm eine respektable Neutralität zu behaupten vergönnt hätte. Das jetzige Helgoland befindet sich am besten in den Händen der Engländer; sie allein können es brauchen und haben die Macht, es zu schützen. Den Dänen war die Insel eine Last, sie haben niemals Vortheile daraus gezogen. Die Abgaben, die sie daraus erhoben – ich glaube, dieselben beliefen sich auf 2000 Rthlr. – verzehrten die Beamten und die rotröckigen Schlucker, die hier in Garnison lagen, Soldatensträflinge von Glückstadt, die man hieher wie in ein Korrektionshaus schickte. Was dagegen die Helgoländer selbst betrifft, so können sie, den jetzigen Verhältnissen nach den Wechsel der Herrschaft nur bedauern. Es ist ihnen im Grunde einerlei, ob der Gouverneur dänisch oder englisch spricht, sie betrachten sich darum weder als Dänen, noch als Engländer. Aber es kann ihnen nicht gleichgültig sein, ob ihr Lootsenwesen Schutz oder Vernachlässigung, ihre Rechtsbeschwerden Gehör oder nicht finden. Unter Dänemark waren sie dänische Staatsbürger, gleich allen übrigen. Unter England sind sie Kolonisten, gleich den Bewohnern von Jamaika und Bombay.
   Die juristische Stellung des Gouverneurs zu den Beamten und Einwohnern auf Helgoland ist mir indeß nicht klar geworden. Ist der Gouverneur nur ein Kommandant ohne Besatzung, ist er nur ein Fahnenträger von Englands Herrschaft; oder bekleidete er ein obrigkeitliches Amt, und welchen Umfang hat dieses, durch welche Grenzen ist es markiert und von der Willkür geschieden? Kein Helgoländer weiß mir hierauf eine Antwort zu geben. Wie sollten sie auch. Niemand hat bisher die Vollmacht gesehen, kraft deren Sir King in Englands Namen auf Helgoland residiert, geschweige daß Einer sich rühmen könnte, die Instruktionen desselben in Augenschein genommen zu haben. Eine englische Brigg setzte einen Herrn an’s Land, der sich als den Nachfolger von Sir Hamilton ankündigte und als solcher das Gouvernementshaus bezog. Das war alles.
   In der That berühre ich da große Mißstände in der englischen Verwaltung. Sie verhängt über Helgoland einen Zustand der Rechtsunsicherheit, der viel schlimmer ist als das einzelne Unrecht, das geschehen mag. Dieser Zustand ist leider nur zu sehr geeignet, die Stärke der Charaktere zu brechen und dem unabhängigen Rechtssinn, des Stolze freier Friesen, einen gefährlichen Stoß beizubringen. Helgoland ist nicht England und alles Haar auf den Köpfen der Helgoländer wiegt sich so viel als ein einziges Härchen auf dem Haupte des Briten, das nicht ausfällt oder ausgerupft werden darf, ohne den Willen des Gesetzes.
   Dennoch möchte ich Helgoland für’s erste in keinen anderen Händen sehen, als in großbritannischen. Hannover wäre der Insel vielleicht nützlicher durch Befreiung vom Stader Zoll, Dänemark durch Züglung der Blankeneser Lootsen, auch Hamburgs Oberherrlichkeit wäre nicht zu verachten, das sie vielleicht zu einer Regelung des Helgoländer Lootsenwesens in Übereinstimmung mit der Hamburger Lootsenei von der rothen Tonne an wirksamer als sonst veranlassen möchte. Aber England! England! Wenn auch nicht for ever, doch für jetzt, aufgespart für die möglichen Chancen einer deutschen Zukunft!
   Im Übrigen ist England stets bereit, einige Guineen für Helgoland springen zu lassen. Es schenkt den armen Heoloändern eine Treppe, besoldet den Gouverneur und nimmt keinen Pfennig von der Insel. Das Einkommen des Gouverneurs von Seiten der Helgoländer beseht in der ersten Schnepfe, welche geschossen wird, der sogenannten Gouverneursschnepfe.

 

Wienbarg, Ludolf
Tagebuch von Helgoland
Hamburg 1838

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