1829 - Friedrich Parrot, baltischer Naturforscher
Die die erste Ersteigung des Ararat
Türkei
Als der Morgen dämmerte, rafften wir uns auf, und begannen um halb sechs Uhr unsere Wanderung fortzusetzen. Die letzten Trümmerabhänge waren in der Zeit von einer halben Stunde überschritten und wir betraten wieder die Grenze des ewigen Schnees ungefähr an der nämlichen Stelle als das vorige Mal [hier wird vom dritten Anlauf zur Ersteigung berichtet], nachdem wir noch einen Teil entbehrlicher Gegenstände an den letzten Steinmassen zurückgelegt hatten. Die Schneeregion hatte aber eine für uns nicht günstige Veränderung erfahren; durch die eingetretene größere Wärme war der frischgefallene Schnee, dessen Gegenwart uns bei dem früheren Versuche etwas zustatten gekommen war, angeschmolzen und vergletschert, so daß schon gleich von unten auf, trotz der geringen noch geringen Neigung des Abhanges, das Aushauen von Stufen beginnen mußte. Dies erschwerte das Fortkommen und nahm unsere Kräfte gleich anfangs in vollem Maße in Anspruch. Einen der Bauern hatten wir schon beim Nachtlager zurücklassen müssen, weil er sich unwohl fühlte; zwei andere wurden nacheinander beim Ersteigen des Gletscherabhanges marode, blieben anfangs liegen, zogen sich aber später auch zum Nachtlager hinab. Ohne uns dadurch im geringsten aufhalten zu lassen, verfolgten wir die Übrigen, durch die überwundenen Schwierigkeiten mehr ermutigt als niedergeschlagen, rastlos unser Ziel. Bald kamen wir auch wieder an den großen Spalt, welcher den oberen Rand des großen Gletscherabhanges bezeichnet, auf dem wir hinangestiegen waren, und um zehn Uhr befanden wir uns schon wieder da, wo wir das vorige Mal um die Mittagsstunde gewesen waren, nämlich auf der großen Schneefläche, welche die erste mächtige Stufe auf dem Eishaupte des Ararat bezeichnet. Wir sahen aus der Entfernung von etwa einer Werst [1 Werst = 1,07 km] das am 19. September errichtete Kreuz, aber es erschien mir, vielleicht eben seiner schwarzen Farbe wegen, so ungewöhnlich klein, daß ich wohl daran verzweifeln mußte, es aus der Ebene des Araxes mit einem gewöhnlichen Fernrohr wieder zu finden und zu erkennen.
In der Richtung zum Gipfel hatten wir einen kürzeren aber steileren Abhang vor uns als den zurückgelegten, und zwischen ihm und der der äußersten Kuppe schien mir nur noch ein kleiner Anberg zu liegen. Nach einer kurzen Ruhe überschritten wir stets mit Hilfe ausgehauener Stufen den ersten Abhang, den steilsten von allen und nach ihm auch noch die nächste Erhöhung; statt aber nur das allendliche Ziel unserer Mühen unmittelbar vor uns zu sehen, hatte sich noch eine ganze Reihe von Hügeln entwickelt und uns sogar den Blick auf die den Gipfel verdeckt. Dies schlug unseren Mut ein wenige nieder, der keinen Augenblick gewankt hatte, so lange wir die zu überwindenden zu überblocken glaubten und unsere Kräfte von der harten Arbeit an den Stufen mitgenommen, schienen der Erreichung des unsichtbar gewordenen Zieles kaum mehr gewachsen. Doch ein Überschlagen des Getanen und dessen, was noch zu tun übrig sein konnte, die Nähe der hintereinander hervortretenden Erhöhungen, ein Blick auf meine rüstigen Gefährten, verscheuchten die Sorgen, und mutig vorwärts! Klang es in meiner Brust. Wir überschritten ohne Aufenthalt noch ein paar Hügel; da wehte Gipfelluft; ich trat hinter einem der Schneebuckel des Abhanges hervor und – der äußerste Kegel, die höchste Kuppel des Ararat lag unverkennbar vor meinen freudetrunkenen Blicken. Noch ein letztes Aufgebot unserer Kräfte war nötig, nur noch eine Eisfläche mittels Stufen zu ersteigen, und wir standen auf dem Gipfel des Ararat um ein Viertel nach drei Uhr des 27. Septembers 1829!
Mein erstes Streben wund Genießen war Ruhe; ich breitete meinen Mantel unter mir aus und setzte mich nieder. Ich befand mich auf einer schwach gewölbten, fast kreisförmigen Fläche von ungefähr 200 Schritt im Umkreis, die am Rande nach allen Seiten hin ziemlich steil abfiel, besonders aber gegen Süd- und Südost; es war das starre, von ewigem Eise gebildete, durch keinen Felsen, keinen Stein unterbrochenen Silberhaupt des alten Ararat. In der Richtung gegen Osten lief dieser Gipfel sanfter aus als nach irgendeiner anderen, und stand hier mittelst einer flachen, jedoch gleichfalls vom ewigen Eis bedeckten Einsenkung mit einem zweiten, um etwas niedrigeren Gipfel in Verbindung, dessen Entfernung von demjenigen, auf welchem ich mich befand, fast eine Werst zu betragen schien, nach Herrn Fedorovs [Expeditionsmitglied] trigonometrischer Messung aber nur 187 Toisen oder etwas über eine Drittel Werst ausmacht. Von der Ebene des Araxes aus kann man diese sattelförmige Vertiefung auch mit bloßem Auge erkennen, nur zeigt sie sich von hier aus dem Beobachter in verkürzter Richtung und da die kleinere Erhöhung vorwärts, die größere zurück liegt, erscheint jene eben so hoch und selbst höher als diese, die von manchen Punkten aus, auch wohl ganz unsichtbar wird. Herr Fedorov hat durch seine aus der Ebene des Araxes in nordöstlicher Richtung veranstaltete Winkelmessung die vordere Erhöhung um sieben Fuß niedriger gefunden als den rückwärts oder westlich gelegenen Hauptgipfel; mir ist von letzterem aus der Unterschied viel bedeutender vorgekommen. Die zwischen beiden liegende sanfte Vertiefung stellt eine nach Süden mäßig geneigte Schneefläche dar, auf der man leicht von einer Erhöhung zur andern gelangen kann, und die, wenn irgend ein Punkt des Gipfels selbst dafür angenommen werden soll, wohl derjenige sein mag, auf welchem Noahs Arche sich niedergelassen hat; denn an Raum dazu würde es daselbst nicht gefehlt haben. Da die die Arche, wenn sie auch nach Genesis 6,15 dreihundert Ellen lang und fünfzig Ellen breit gewesen ist, noch nicht den zehnten Teil dieser Vertiefung eingenommen hätte. […]
Frägt man nun nach der Möglichkeit von Überresten der Arche auf dem Ararat, so kann die Physik eine solche Möglichkeit nicht verwerfen, falls wir nur annehmen, daß der Gipfel des Ararat bald nach der Sündflut wieder angefangen habe, sich mit unvergänglichem Eis und Schnee zu bedecken, was zu bezweifeln kein triftiger Grund vorhanden ist, besonders wenn man erwägt, daß Eis- und Schneedecken von hundert und mehr Fuß Tiefe in großen Gebirgen gar nichts Ungewöhnliches sind, also auch wohl in der Vertiefung auf dem Gipfel des Ararat leicht so viel Eis liegen mag, als nötig ist, die dreißig Ellen hohe Arche zu bedecken.
Von dem Gipfel aus hatte ich einen weit ausgedehnten Gesichtskreis, in welchem aber, der ungeheuren Distanzen wegen, nur größere Massen deutlicher unterschieden werden konnten. Das ganze Tal des Araxes deckte ein grauer Nebelduft, durch welchen Erivan und Sardarabad nur als dunkle handgroße Flächen erschienen; deutlicher zeigten sich im Süden die Hügel, hinter denen Bajased leigen sollte. In Nord-Nordwest prangte das zackichte Haupt des Alaghés, in seinen Vertiefungen mit bedeutenden Schneemassen bedeckt – eine wahrscheinlich unerreichbare Felsenkrone. Zunächst um den Ararat, besonders in Südost und weit entfernt auch gegen West eine Menge kleiner Berge, meist von kegelförmiger Zuspitzung, und mit Vertiefungen in der Mitte, ehemaligen kleinen Vulkanen nicht unähnlich; dann in Ost-Südost der kleine Ararat, dessen Haupt sich hier nicht mehr als die einfache Spitze eines Kegels zeigte, wie es von der Ebene aus erscheint, sondern wie die Fläche einer abgestutzten viereckigen Pyramide, auf den Ecken und in der Mitte mit größeren und kleineren Felsenerhebungen versehen. Was mich aber zu sehen überraschte, war ein großes Stück des Sees Goktschai, das als schöne dunkelblau schimmernde Fläche in Nordost hinter der hohen Bergkette sehr deutlich hervortrat, die den See von Süden her unmittelbar einschließt, und so hoch ist, daß ich nimmer geglaubt hätte, vom Gipfel des Ararat über sie hinweg in den von ihr verdeckten Wasserspiegel blicken zu können.
Nach diesen Betrachtungen sah ich mich unter meinen Gefährten um, und vermißte den treuen Abowian; „er richtet das Kreuz auf“, hieß es. Das hatte ich selbst zu tun mir vorgenommen, und zwar in der Mitte des runden Platzes, wo es am sichersten stände und an der würdigsten Stelle. Abowian aber hatte im heiligen Eifer sich der Sache angenommen, und für das Kreuz am nordöstlichen Rande der Gipfelhöhe einen Standpunkt ausgesucht, weil es, wie er richtig in der Mitte stehend, aus der Ebene gar nicht sichtbar sein würde, da es nur etwa fünf Fuß hoch war. Er hatte, um so weit zu kommen, daß das Kreuz nicht nur aus der Ebene, sondern auch aus Arguri und St. Jacob gesehen werden könne, sich mit Lebensgefahr an dem steilen Abhange des Rands so weit hingewagt, daß er wohl dreißig Fuß tiefer stand als die Mitte der Fläche, und daher von mir nicht bemerkt worden war; dort sah ich ihn daran arbeiten, ein Loch ins Eis zu hauen, um das Kreuz darin zu befestigen. Augenscheinlich war es, daß dieser Standpunkt für die Errichtung des Kreuzes der ungünstigere war, denn bei der starken Neigung der Fläche muß man annehmen, daß das Eis hier einen öfteren Wechsel in Massen, einem Fortrücken abwärts, oder auch wohl einem plötzlichen Hinabstürzen unterliegen mag, wie man es bei den Gletschermassen aller Gebirge wahrnimmt, und daß vielleicht schon nach wenigen Jahren dies einzige Merkmal unserer Gegenwart vom Gipfel verschwunden sein würde. Doch gewann bei mir der Gedanke die Oberhand, daß dieses Zeichen wohl vielleicht lange vergeblich auf die Ankunft eines Reisenden warten dürfte, und daß es dagegen für uns nicht weniger ehrenvoll wäre, wenn schon jetzt gleich ein aus der Ebene sichtbares Signal für die Unternehmung zeugen könnte, das wir zu vollbringen so glücklich gewesen waren; vorzüglich aber ward ich bestimmt, das Kreuz an diesem Punkte zu lassen, weil ich hoffte, es bei Herrn Fedorovs trigonometrischer Messung des Berges benutzt zu sehen. Ich ließ den Diakon [aus einem armenischen Kloster] also machen, und schritt selbst zur Beobachtung meines Barometers, das ich gerade im Mittelpunkte des Gipfels aufrichtete; sein Quecksilber stand nicht höher als 15 Zoll und ¾ Lin pariser Maas bei einer Temperatur von 3,7 Cent. Grad unter dem Gefrierpunkte. Durch den Vergleich diese Beobachtung mit derjenigen, welche Herr Fedorov so gefällig war, gleichzeitig in dem Kloster zu machen, findet sich die Höhe des Gipfels über dem Kloster 10,272 pariser Fuß und nach der Höhenbestimmung des letzteren hat der Gipfel des Ararat über dem Meer eine senkrechte Erhebung von 16.254 Fuß oder beinahe fünf Werst. [5.280 m, nach modernen Messungen 5.137 m.]
Parrot, Friedrich
Reise zum Ararat
1. Band, Berlin 1834