Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1859 - Henry Dunant
Nach der Schlacht von Solferino

[Im Krieg Sardiniens und Frankreichs gegen Österreich wurden in der Schlacht bei Solferino Zehntausende getötet oder verwundet. Dunants Berichte führte zur Gründung des Roten Kreuzes.]

 

Die ersten Sonnenstrahlen des 25. [Juni] beleuchteten eines der furchtbarsten Schauspiele, das sich dem Auge darzubieten vermag. Überall war das Schlachtfeld mit Menschen- und Pferdeleichen bedeckt; auf den Straßen, in den Gräben, Bächen, Gebüschen, auf den Wiesen, überall lagen Tote umher, und die Umgebung von Solferino war im wahren Sinne des Wortes damit übersät. Die Felder waren verwüstet, Frucht und Mais niedergetreten, die Garten- und Feldeinfassungen zusammengerissen, die Wiesen durchfurcht, und überall sah man größere und kleinere Blutlachen. Die Ortschaften waren verlassen und zeigten überall Spuren der Gewehrchargen, der Stückkugeln, Raketen, der Bomben und Granaten: die Mauern sind zerrissen, von Kugeln durchbohrt, welche weite Brechen öffneten; die Häuser sind durchschossen, in ihren Fundamenten erschüttert zeigen ihre Mauern weite Risse. Die seit einem Zeitraume von nahe an 20 Stunden versteckten und geflüchteten Bewohner beginnen nach und nach die Keller zu verlassen, in welche sie sich, ohne Licht und Lebensmittel mitzunehmen, eingesperrt hatten; ihr verstörtes Aussehen zeigt von dem Schrecken, den sie ausgestanden. In der Umgebung von Solferino und besonders bei dem Kirchhofe des Ortes lagen massenweise Gewehre, Patronentaschen, Gamaschen, Tschakos, Dienstmützen, Käoppis, Gürtel, kurz alle Arten von Montustücken umher, darunter selbst zerfetzte und blutbefleckte Kleidungsstücke und zerstrümmerte Waffen.
   Die Unglücklichen, wleche während des Tage aufgeladen wurden, waren bleich, eingefallen, vollkommen erschöpft: die Einen, und insbesondere die arg Verstümmelten, schauten scheinbar stumpfsinning drein, sie verstanden nicht, was man zu ihnen sagte, ihr Augen blickten stier ihre Retter an, aber dennoch zeigten sie sich nicht unempfindlich für Schmerzen; andere waren unruhig, ihr ganzes Nervensystem zeigte sich erschüttert und sie zuckten convulsivisch zusammen; diejenigen mit offenen Wunden, bei denen bereits die Entzüdung um sich gegriffen, waren wütend vor Schmerz; sie verlangten, daß man ihrem Leiden durch einen schnellen Tod ein Ende mache, und mit verzerrtem Antlitze wanden sie sich im letzten Todeskampfe.
   Wieder an andern Stellen lagen Unglückliche, welche nicht allein von Kugeln und Bombenstücken getroffen, sondern deren Glieder auch noch von den Rädern der Geschütze, welche über sie hinwegfuhren, zerschmettert oder weggerissen worden waren. Der Anprall der zylindrischen Kugeln zersplitterte die Knochen nach allen Seiten, so daß die dadurch verursachte Wunde stets sehr gefährlich wurde; allein auch die Bombenstücke und die konischen Kugeln verursachten solche schmerzhaften Knochenzerschmetterungen und große innere Verletzungen. Splitter jeder Art, Knochenstücke, Teile von Kleidern, der Ausrüstung oder der Fußbekleidung, Erde und Stücke Blei machten die Wunden gefährlicher durch den geübten Reiz und vermehrten dadurch die Qualen der Verwundeten.
   Derjenige, welcher diesen ausgedehnten Schauplatz des Kampfes vom vorherigen Tage durchwanderte, traf auf jedem Schritte und inmitten einer Verwirrung ohnegleichen unausprechliche Verzweiflung und Elend in allen Gestalten.

 

Dunant, Henry
Eine Erinnerung an Solferino
Basel 1863

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