Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1673 - Jean Chardin, französischer Juwelenhändler
Der heilige Schrein der Fatima
Qom, Iran

 

Diese im ganzen Orient berühmte Moschee hat vier schöne Höfe; der erste ist mit Bäumen und Blumen wie einer der schönsten Gärten versehen; der mittlere Gang ist gepflastert und von Blumenbeeten durch ein Geländer getrennt. An beiden Seiten sind zwei schöne, mit Fliesen bedeckte Erhöhungen. Sie sind so lang wie der Hof und drei Fuß hoch; darüber gibt es zwanzig gewölbte Kammern, neun Fuß ins Geviert, mit einem Kamin und einer verdeckten langen Sommerlaube. Bei der Pforte am Eingang dieses Hofes ist zur linken Hand ein tiefer Wasserkeller, zur rechten aber ein schöner Vogelkäfig; das ist in Wahrheit ein sehr lustiger und angenehmer Ort: es fällt aus einem schönen Kanal ein silberklarer Strom in einen bei dem Eingang erhabenen Kessel, aus welchem er sich wieder in einen anderen mit anmutigem Geräusch ergießt. […]
   Der zweite Hof ist nicht so schön wie der erste, der dritte aber ist eben so schön, gleichfalls rings herum mit zwei Geschossen und wohl ausgezierten Zimmern, langer Sommerlaube und Kanal versehen wie der erste. Mitten darin sieht man ein großes Becken, um das vier dicke Bäume im Viereck gepflanzt sind und es mit ihrem Laube überschatten.
   Man geht von diesem dritten Hof in den vierten und muß eine runde Treppe von zwölf Stufen hinauf steigen; das sich oben befindende Portal ist sehr prächtig und magnific, unten mit weißem, durchsichtigen Marmor, Porphyr und Achat vergleichbar, überzogen. Die Decke ist gewölbt und mit blauen und goldenen Gemälden ausgeziert. Dieser vierte Hof hat unten und seitwärts schöne ausgezierte Kammern und ist gleichfalls mit Spaziergängen und erhabenem Blumenwerk versehen; diese Zimmer dienen den Geistlichen, den Regenten und den von den Renten diese heiligen Ortes lebenden Studenten zu ihrer ordentlichen Wohnung.
   Der Körper des vornehmsten Gebäudes ist eigentlich das Vorderteil und besteht aus drei großen, in einer Linie nebeneinander gebauten Kapellen; die mittlere hat einen Eingang achtzehn Fuß hoch, sehr prächtig und magnific, und dessen ganzes Portal ist mit dem gleichen weißen und durchsichtigen Marmor überzogen. Die Decke, so als ein Dom [eine Kuppel] und Gewölbe mit Schwibbogen versehen ist, ist von außen mit porzellaner Struktur und Gipswerk [Fayencen] zierlich ausstaffiert und gemalt, inwendig aber ganz in blau vergoldet. Die Pforte selbst ist zwölf Fuß hoch und sechs breit, mit dem erwähnten durchscheinenden Marmor gänzlich überzogen. Ihre beiden oberen Flügel sind dicht mit Silber bekleidet und ganz unvergleichlich reich und kostbar ausgeziert. Die Kapelle ist achteckig und gewölbt, der Fußboden ist mit großen Tafeln, die aus marmoriertem Prophyr mit Gold und schönen bunten Blumen besetzt sind, deren lebhafte Schönheit der Menschen Auge erfrischt, allenthalben belegt. Das Oberteil ist von goldenem und blauen Schnörkel- und Gipswerk, das von Gold und Silber glänzt, ausgeziert und der ganze Dom oder die Decke sehr groß und schön, von außen aber wie das Portal gearbeitet. Über dem Portal ist ein zugespitztes Leisten- und Gesimswerk [ein Turmaufbau über der Kuppel] befindlich, auf dem ein halber Mond steht, dessen beide Spitzen verlängert und dann wieder gegeneinander gekehrt sind. Dieses Gesimswerk ist von einer sehr großen Dicke, die aus gewissen schweren, aufeinander gesetzten Kugeln besteht, läßt von unten mehr als zwanzig Fuß sehen und ist von lauter dichtem und feinem Golde gemacht, wie die Perser sagen. Das ist, wenn es sich in der Tat so verhält, außer Zweifel Millionen wert. Dem sei aber wie es sei, es ist doch von unschätzbarem Wert.
   Mitten in dieser Kapelle ist das Begräbnis der Fathmé zu finden, einer Tochter des Mousa Cazem, der einer von den zwölf Kalifen war, welche von den Persern für die rechtmäßigen Nachfolger auf dem Thron Mahomets nach dem Tode Alis, seines Eidams [Schwiegersohns], gehalten werden. Es ist acht Fuß lang, fünf breit und acht hoch, mit lauter porzellanenem Gipswerk ausgesetzt, kunstvoll bemalt und mit einem sich ziemlich weit auf der Erde ausbreitenden goldenen Stoff bedeckt. Es ist mit einem ganz silbernen, acht Fuß hohen, gediegenen Gitterwerk abgetrennt, welches an allen Ecken mit vier großen, aus feinem Golde gearbeiteten Äpfeln geziert ist. Das Begräbnis ist mit diesem Gitter zu dem Zweck abgetrennt, daß es durch des Volkes Berührungen und Beküssungen nicht besudelt und unflätig gemacht werde, weil es für heilig erachtet wird. Vor diesem silbernen Gitter sind an allen Seiten grüne Samtvorhänge gezogen, die verhindern, daß es jeder anschauen kann, und es wird nur aus besonderer Höflichkeit den Fremden oder für Geld gezeigt.
   Das Tafelwerk darinnen ist mit sehr zarten leinenen Tapeten bedeckt, wenn aber Fest- und Feiertage anfallen, wird es mit seidenen, in Gold gewirkten geziert. Über diesem Begräbnis hängen, ungefähr zehn Fuß hoch, viel silbernes Geschirr, das man Candil nennt. Sie sind eine gewisse Art der in solchen Moscheen hängenden Ampeln, darunter einige sechzig Mark [ein Mark entspricht ungefähr 250 g] wiegen; im übrigen sind sie mit den gewöhnlichen Ampeln und Lampen der Kirchen zu vergleichen. Man kann sie aber nicht gebrauchen, weil sie keinen Boden und kein Behältnis haben.
   An dem Gitter sind einige mit Kälberpergament überzogene Tafeln, worauf gewisse Inscriptiones mit goldenen Buchstaben zu lesen sind. In diesen Überschriften ist das Lob der Heiligen und ihres Geschlechts zu finden. Die dem Eintretenden gegenüber stehende Schrift ist das Gebet, das von denjenigen, die ihre Wallfahrt zu diesem Begräbnis getan haben, gebetet und gesprochen wird. Denn wenn der Pilgrim hinein tritt, muß er die Schwelle und das Gitter um dieses Begräbnis dreimal küssen, dann aufrecht mit dem Gesicht gegen das Begräbnis stehen; hierauf erschient ein Mullah von den Priestern, die Tag und Nacht dort aufwarten müssen, und sagt ihm dieses Gebet Wort für Wort vor, welches er nachsprechen muss. Wenn nun der Pilger das verrichtet hat, küßt er das Gitter und Türschwelle wiederum, gibt dem Priester hierauf vier bis fünf Münzen und hebt sich dann wieder von dannen.
   […]
   Übrigens ist zu wissen, daß das Begräbnis dieser Fathmé dreimal wieder von neuem erbaut worden ist. Ihr Vater ließ es nach Com legen, weil die Kalifen zu Bagdad sein Geschlecht und alle diejenigen, welche Ali und seine Kinder für die rechtmäßigen Nachfolger des Mahomet erkannten, gar grausam verfolgten. Er ließ demnach sehr schöne Gebäude in dieser Stadt aufführen und starb daselbst. Das Volk ist von dem abergläubischen Wahn eingenommen, daß Gott sie lebendig zu sich gen Himmel genommen hat und in ihrem Begräbnis keine Gebeine befindlich sind.
   An den Seiten der Kapelle sind die Begräbnisse der zwei letzten persischen Könige zu finden. Deren Portale sind bei weitem nicht so hoch noch so breit als am Begräbnis der Fathmé, aber die zwei Flügel der Pforten sind eben so mit starkem silbernen Überzug versehen. Sie sind gleicher Breite und Höhe, und beiderseits befindet sich ein zwölf Ellen breiter und dreißig Fuß langer überdeckter Gang. Gleich bei dem Eingang ist eine Sakristei, worinnen der Kirchenschmuck nebst andern Mobilien verwahrt wird. Die Kappel, in der Abas begraben, ist ein irreguläres Zwölfeck. Die andere Kapelle, in der der Sefi liegt, ist auch ein irregulärer gevierter Platz. Die Wände der Sakristeien, der überdeckten Gänge und der Kapellen sind mit schönen und kostbaren Teppichen behängt. Die in den Kapellen sind ganz aus Gold und Seide gewirkt. Es gibt nichts schöneres und herrlicheres als diese Mausoleen zu sehen; der Fußboden ist aus großen breiten Tafeln von Porphyr, blau und golden bemalt. Die Schwibbögen sind zierlich und kunstvoll alle mit schönen lebendigen Farben ausgeziert. Gold und Azurblau ist in großer Menge dort aufgetragen. Der Dom ist unten durchbrochen von zwei Reihen mit je vierundzwanzig Fenstern. Sonst gibt es noch eine sehr große und in einen Garten hinausgebaute Kapelle, und dann noch eine kleine ihr gegenüber. Die Fenster sind aus Kristall, mit Gold und Azurblau vielfältig angestrichen und in gediegenem Silber gefasst. [   ]
   Das Begräbnis des großen Abas ist vier Fuß hoch und acht Fuß breit; die drei darüber hängenden Ampeln sind von feinem und klarem Golde, der große ist 24, der kleine aber nur 12 Mark schwer. Es ist mir porzellanem Gipswerk überzogen und mit den trefflichen reichen persischen Brokaten überzogen, von denen die Elle acht- bis neunhundert französische Gulden kostet; ein scharlachfarbener Überzug mit dicken goldenen Fransen bedeckt liegt darüber. Diese Decken sind unten an den Teppichen mit seidenen Schlingen, die durch gediegene goldene Ringe gehen, festgemacht, und die Ösen und Haken an den vier Zipfeln sind von ebendiesem kostbarsten Metall. […]
   Das Mausoleum des Sefi ist so prächtig wie das Begräbnis des Abas. Die darüber schwebende Ampel ist aus purem Golde. Es ist von eben der Gestalt und Größe wie das des Abas, und von ganz wunderbarer und unvergleichlicher Arbeit. Es ist von Elfenbein, Ebenholz und Brasilholz, Aloe und noch anderen wohlriechenden Hölzern, daneben ganz mit Mosaiken bunter und kunstvoller Struktur und Arbeit bereitet und mit einem geblümten Stoff bedeckt. Was sonst an diesem Grabe an Einfassungen, Vernietungen, Handhaben, Haken, Plattenzusammenfügungen und Behältnissen, an Klammern, Schlössern und Riegeln zu sehen ist, die alles zusammenhalten, ist alles von purem, lauterem Golde. Der Fuß des Grabes hat in der Mitte ein Schnitz- und Leistenwerk, darin eine Tafel mit goldenen Buchstaben eingearbetet ist, auf der das 62. Kapitel des Alcorans verzeichnet ist. […]
   Das Begräbnis des Sefi ist gleichfalls wir das des Abas mit einer persischen, mit goldenem Stoff und Scharlach aufs reichste gewirkten Decke versehen. Die gegenüber gesetzten Schreine, Tische und Gesimse sind alle aus wohlriechendem Holz und können zusammengelegt werden. Unweit davon liegen aus goldenem Brokat bereitete Säcke, worinnen die Bücher ihrer Rechte und Gesetze verwahrt werden, und man kann in Wahrheit nichts schöneres oder prächtigeres sehen. Man hat in der Verzierung auch eine anständige Bescheidenheit und Mittelmaß zu beobachten gewußt, und ich kann wohl sagen, daß ich in ganz Persien nichts gesehen habe, was mich so hoch wie eben dieses hätte vergnügen sollen.
   Alle zu diesen Kapellen gehörigen Gefäße und Geschirre sind ganz golden und silbern. Sie bestehen aus schönen großen Ampeln, darunter die meisten 50 bis 60 Mark wiegen, aus Schüsseln, die zur Abspeisung der Armen gebraucht werden, in Feuerpfannen und –zangen, auch andern zur Verwahrung des Wachses, Unschlitts und Rauchwerks gewidmeten Gefässen und Geschirren.
   Das pur goldene Geschirr gebraucht man nur an hohen Festtagen. Abends werden in den Gängen der Mausoleen und Galerien Wachskerzen aufgesteckt, welche die ganze Nacht bis in den Tag hinein brennen müssen. Mitten in der Kapelle und beim Eingang werden auch Wachskerzen angezündet, die unter anderen auf zwei sehr großen, auf hohen, von der Erde erhabenen Leuchtern brennen. Es sind acht Priester dazu bestellt, daß sie Tag und Nacht den Alcoran verlesen; noch zwölf andere Priester bei dem Grab des Sefi und fünfundzwanzig bei dem Begräbnis des Abas eben dergleichen tun und verrichten müssen.
   Hinter diesen Kapellen und an deren Seiten sind sehr schöne Höfe befindlich, deren Zimmer, mit trefflichen Mobilien versehen, an sehr lustige und wohlangelegte Gärten stossen. An der linken Hand ist ein großer Gottesacker, auf 1500 Schritte ins Geviert angelegt, worauf man eine grosse Anzahl alter und neuer Mausoleen und Begräbnisse sieht. Man begräbt auf diesem Kirchhof die von allen Orten des persischen Königsreichs hin gebrachten vornehmen Personen, weil er für ein sonderbares heiliges Land gehalten wird. Auf der rechten Hand dieses Gebäudes ist nichts anderes als eine hohen, von gebackenen Steinen aufgeführte dicke Mauer zu finden, welche dem unten vorbeifließenden Fluß Com, welcher sich öfters gar stark zu ergießen pflegt, als Damm dienen muß.
   Die Perser nennen diesen Ort Massuma, das heißt reine oder unschuldige, weil dort eine von ihren Heiligen begraben liegen soll, dies Wort Massouma hat in der mahometanischen Theologia nachfolgende Bedeutung: darunter wird eine solche heilige Matrone verstanden, die gar keine Sünde getan.
   
Chardin, Jean
Des vortrefflichen Ritters Chardin … Curieuse Persian und Ost-Indische Reisebeschreibung …
Leipzig 1687

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