Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

Um 1840 - Theodor von Kobbe
Der Badebetrieb auf Norderney

 

Die Badezeit beginnt mit dem 1. Juli und endet mit dem 15. September. Zum Baden in offener See sind der West- und der Nordweststrand bestimmt, und zwar der erstere für die Damen, der letztere für die Herren. Beide Badeplätze liegen in geringer Entfernung vom Dorf, der Herrenstrand etwas weiter als der Damenstrand, welch letzteren man von den am entferntesten gelegenen Häusern in sechs Minuten, von den nächstliegenden in zwei Minuten erreichen kann. Des ebenen, sich ganz allmählich vertiefenden Sandbodens Festigkeit ist so groß, daß ein Wagen, der während der Ebbe über ihn fährt, kaum eine merkbare Spur hinterläßt. Man badet hier nur einmal täglich, nämlich zur Zeit der steigenden Flut, weil dann der Wellenschlag das Bad am kräftigsten macht. Der Eintritt derselben ist auf einer öffentlich im Konversationshaus und an den Badeplätzen angeschlagenen Tabelle angegeben und wird außerdem täglich durch das Aufziehen von roten Flaggen angezeigt Da die Flut, welche binnen 24 Stunden zweimal mit der Ebbe wechselt, täglich um etwa 50 Minuten später als am vorhergehenden Tag eintritt, so müssen sich ganz natürlich die Badezeit und das Mittagessen hiernach richten.
   Zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Reihenfolge unter den Badenden ist die Einrichtung getroffen, daß ein jeder bei der Ankunft am Badeplatz sein im Konversationshaus gelöstes Badebillet abgibt, seinen Namen auf eine dazu bestimmte Tafel schreibt und eine Nummer empfängt, welche die Reihenfolge bestimmt. Die Nummern werden der Folge nach laut abgerufen, sobald die Badekutsche leer ist. Um niemand unter der Unachtsamkeit des einen oder des anderen leiden zu lassen, wird die Nummer desjenigen, der bei mehrmaligem Abrufen derselben nicht erscheint, sofort übergangen, und es folgt sogleich die nächste Nummer. Auch ist ein jeder angehalten, sich persönlich auf dem Badeplatz einzuschreiben oder es auch durch einen anderen erst dann tun zu lassen, wenn er selbst auch bereits am Strand sich befindet. - Für die Damen ist die Anordnung getroffen, daß sie eine Nummer auf eine bestimmte Badekutsche erhalten, so daß etwa 3 oder 4 auf eine Badekutsche angewiesen sind; diejenige von ihnen, welche zuerst kommt, kann, wenn diese Badekutsche gerade leer ist, sie sogleich beziehen. Bei der Ankunft mehrerer Damen zur gleichen Zeit bestimmt die Reihenfolge. - Selten hat man nötig, lange zu warten, da die Zahl der Badekutschen sehr groß ist.
   Das war freilich in dem bewegten Jahr 1830 noch nicht der Fall, in dem, als das Schutzdach abgebrochen oder umgeweht war und die Damen oft lange im Regen warten mußten, bis sie in eine Kutsche schlüpfen konnten, unter dem schönen Geschlecht der Hautevolee eine Revolution ausbrach. Einige der Dämchen hatten nämlich, aufgemuntert durch ihre Kammerkätzchen, nicht immer auf dem strengen Weg des Rechts sich der Badekutschen bemächtigt und sogar den großen Nummern durch Auslöschen der ersten Zahl ihren Vorspann gewonnen. Vergebens hatte der damalige liebenswürdige Badekommissär, ein Graf Wedel, diesem Unfug zu steuern gesucht; Die Badewärterinnen weigerten den ferneren Dienst und wenn man ihnen täglich eine Pistole geben wollte. Da fiel Wedel auf ein originelles Mittel. Er postierte einen alten Hirten dicht hinter der letzten Düne, die vor dem Badestrand der Damen liegt - keinen Ludwig an Höflichkeit, keinen Paris an Bestechlichkeit -, mit dem Auftrag, sobald ein Streit unter den Damen entstehe, auf den Ruf der Badewärterin von seiner Höhe herunterzusteigen und den Strandrichter zu machen. Kaum war dieses Edikt bekannt, so vertrugen sich die Damen wieder wie die Engel.

 

Kobbe, Theodor von; Cornelius, Wilhelm
Nordsee und Ostsee
Leipzig 1841; Nachdruck Koblenz 1979

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