1880 - Johannes Büttikofer, Zoologe
Ankunft in Monrovia
Liberia
Unter den monotonen Gesängen der Ruderer wurde der kurze Weg flussaufwärts bis zur Faktorei zurückgelegt, und so betraten wir am Morgen des 9. Januar 1880, das Herz voll Freude und kühner Erwartungen, die Küste von Afrika.
Am Eingang der unmittelbar am Flussufer liegenden holländischen Faktorei empfing uns Herr Veldkamp, damals ausser Herr Wigman der einzige holländische Angestellte in Monrovia. Er war nur einige Monate vor uns als Neuling aus Europa angekommen und hatte gerade die ersten Fieberanfälle hinter sich. Wenig dachte ich damals, dass diese kurze Bekanntschaft sich später bei unserm zufällig gleichzeitigen, langen Aufenthalte in Robertsport zu einer dauernden Freundschaft gestalten würde. Nachdem wir unsere nassen Kleider gewechselt und uns durch einen opulenten Lunch gestärkt, besahen wir uns vorläufig die Faktorei, über die ich bei einer spätern Gelegenheit sprechen werde. Dann machten wir in Begleitung von Herr Wigman einen Besuch in der nebenan, ebenfalls am Flussufer, gelegenen Woerman’schen (Hamburger) Faktorei, wo wir den damaligen Agenten, Herrn Romahn, kennen lernten. Dieser, obwohl noch jung, hatte sich ganz in die afrikanischen Verhältnisse eingewöhnt, da er schon seit vielen Jahren sich an verschiedenen Plätzen der Westküste aufgehalten hatte. Die Woermann’schen Handelsagenten wohnen nicht, wie die Holländer, in der Faktorei selbst, wo es wegen der niedrigen Lage und der unmittelbaren Nähe des mit Sumpfwasser gefüllten Flusses ziemlich ungesund ist, sondern haben ein sehr freundliches, für dortige Verhältnisse bequem eingerichtetes Wohnhaus oben in der Stadt, wo es unter dem Einflusse der erfrischenden Seebrise bedeutend gesunder ist.
Da draussen in der Sonne eine versengende Hitze herrschte, blieben wir auf Anrathen unserer neuen Freunde in den kühlen Räumen der Faktorei und giengen erst gegen Abend aus, um in Begleitung von Herrn Wigman einen ersten Gang durch die Stadt zu machen und unser Logis – man hatte in der Faktorei, die gerade umgebaut wurde, keinen Platz für uns – kennen zu lernen.
Monrovia, die Hauptstadt Liberia’s, mit etwa 3000 Einwohnern, liegt in einer Einsattlung des Vorgebirges Messurado, sowie an dessen Nordabhang, und ist sehr weitläufig und auf echt amerikanische Weise angelegt. Breite und geradlinige, parallel in der Richtung des Hügelrückens laufende Längsstraßen werden von zahlreichen Querstrass en rechtwinklig gekreuzt. In den so entstandenen, grosse Rechtecke bildenden Parzellen aber steht nur hier und da ein vereinzeltes Haus oder eine Hütte, gewöhnlich von einem mit üppig wucherndem Gestrüpp und Unkraut bedeckten Yard (einer Art verwildertem Garten) umgeben, aus dem nur selten einige Kokospalmen, häufiger aber prachtvolle Mangobäume emporragen. Je das fünfte oder sechste Haus ist eine Ruine, denn Liberia ist das Land der Termiten par excellence, denen besonders Häuser, die einige Zeit nicht bewohnt sind, unglaublich rasch zum Opfer fallen. (Eigenthümlich ist, dass sämtliche Gebäude auf dem Ufersaume des Flusses vollständig von den Termiten verschont werden. Die Ursache ist wahrscheinlich der Salzgehalt des durch die See und das Brackwasser des Flusses angeschwemmten Sandbodens. Desto mehr hat man aber hier des Nachts von Moskitos zu leiden, die dagegen in dem obern, dem Winde ausgesetzten Stadttheile fast gänzlich fehlen.) Aus diesem Grunde machte die Stadt, die so reizend sie mir auch von der Rhede aus mit ihren im Grün halb verborgenen Häusern erschienen war, durchaus keinen angenehmen Eindruck, als wir aus der Faktorei den steilen, holprigen Weg hinaufgiengen. Da es in Monrovia, wie überhaupt in ganz Liberia, weder Wagen noch Pferde giebt, sind alle Strassen, insofern nicht kahle Blöcke von badeschwammartig durchlöcherten Laterit aus dem Boden hervorragen, dicht mit Gras, stellenweise sogar mit Gestrüpp bewachsen, und dienen einigen schöngebauten Kühen, kurzbeinigen Ziegen, gltatthaarigen Schafen und zahlreichen schwarzen Schweinen als Weidegrund. Nur die Trottoirs zu beiden Seiten der Strassen werden für den Verkehr benutzt und stellenweise etwas von Unkraut freigehalten. Das Traurige dieses verwahrlosten, verfallenen Aussehens wird jedoch zum grossen Theil aufgewogen durch den malerischen Eindruck, den gerade die am ruinenhaftesten aussehenden Gebäude inmitten ihrer grünen Umgebung auf den Neuling machen. Viele der grössern, theils aus Bruchsteinen, theils aus Backstein aufgeführten Gebäude, und die kleinen Holzhäuschen fast sämmtlich, sind zwischen Gruppen von dichtkronigen, schattenspendenen Mangobäumen halb verborgen. Kokospalmen, Guaven-, Limonen- und Orangenbäume stehen vereinzelt oder in Gruppen auf den verwilderten Gartenplätzen, und aus den Fensterlöchern und Mauerspalten eingestürzter und dem Einsturze naher Häuser wächst üppiges Gestrüpp wie in einer Burgruine.
In diesem obern, verhältnissmässig gesunden Stadttheile liegen sämmtliche öffentlichen Gebäude und die Privatwohnungen der besser situierten Bürger. Unter den erstern sind die folgenden besonderer Erwähnung werth: Die sogenannte Governments- oder Representative Hall an der Broad Street, ein einfaches, steinernes Gebäude, hinter dem sich ein sehr grosser, mit einigen Kokospalmen und Mangobäumen besetzter Platz, das sogenannte Government Square, ausdehnt. Mitten auf diesem Platz steht ein Denkmal zur Erinnerung an Rev. Elijah Johnson, den Vater des gegenwärtigen Präsidenten, den begeisterten Patrioten und Gründer der Niederlassung. Das grosse, ehemalige Postgebäude an der Ahmun Street ist jetzt in das schöne und comfortable, auf Staatsrechnung eingerichtete und möblirte Mansion House, die Wohnung des Präsidenten der Republik, verwandelt, während das neue Postgebäude jetzt nahe der Küste, zwischen Monrovia und Krootown, steht. An derselben Strasse befindet sich ein anderes öffentliches Gebäude, in dessen untern Räumen die Senatssitzungen gehalten werden, während die obern für den monatlichen und dreimonatlichen Gerichtshof (monthly und quarterly court) eingerichtet sind. Im zweiten Stock befindet sich das Vereinslokal der Freimaurerloge. Hinter diesem Gebäude liegt das Gefängniss (jail house).
Unter den verschiedenen Kirchen zeichnen sich besonders die der Methodisten, Baptisten und Episcopalen – letztere vor mehreren Jahren abgebrannt und jetzt neu gebaut – aus. Erwähnenswerth ist auch die in 1884 dort gegründete Missionsstation, die erster derartige im Lande. Sie steht unter der Leitung von französischen Missionären der „Congregation du St. Esprit et du Saint-Coeur-de-Marie. (Im Sommer 1888 wieder aufgehoben.) Etwas abseits von der Stadt, auf einer Terrasse, welche einen freien Ausblick auf die weite See gewährt, steht das sogenannte College, eine höhere Unterrichtsanstalt, von der später die Rede sein wird. In der obern Stadt findet man auch das deutsche, das holländische, das belgische und das schwedische Consulat. Bei einem Gang durch die Strassen ist man erstaunt über die Grösse vieler Privatwohnungen, die sich äusserlich, eine fast nie fehlende Piazza (Veranda) ausgenommen, kaum von den Häusern wohlhabender Leute in Europa unterscheiden. Im Innern findet man nicht selten grosse, kühle Säle, deren Möblirung jedoch gar oft viel zu wünschen übrig läßt. Fast alle diese Gebäude datieren aus der Blütezeit Monrovia’s, als durch die Einwanderung von zahlreichen schwarzen, aus Amerika herübergekommenen Kolonisten viel Geld in‘s Land gebracht werden.
Seitdem in den letzten Jahren die Einwanderung stark abgenommen hat, ist es in Monrovia stille geworden, und die schönen, grossen Häuser, deren kostbarer Unterhalt meistens die Kräfte ihrer jetzigen Einwohner übersteigt, gehen meistentheils rasch ihrem Verfalle entgegen.
Büttikofer, Johannes
Reisebilder aus Liberia
Leiden 1890