Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1435 - Aeneas Sylvius Piccolomini (Papst Pius II.)
Über Schottland

 

Hier in Schottland verbrachte ich einst einen Winter; zu dieser Jahreszeit bescheint die Sonne die Erde nur wenig mehr als drei Stunden. Damals war James König, ein widerstandsfähiger Mensch, aber behindert durch seine ungeheure Leibesfülle.
   Ich hatte vorher schon gehört, dass es in Schottland einen Baum gäbe, der an Flussufern wüchse und Früchte in Form von Gänsen hervorbringe. Wenn sie reif seien, fielen sie von allein ab, manche auf die Erde und manche ins Wasser. Die auf der Erde verrotteten, aber die, die ins Wasser gefallen seien, erwachten zum Leben, schwämmen unter Wasser und erhöben sich dann in die Lüfte mit Federn und Flügeln. Als ich mich nach dieser Geschichte erkundigte, merkte ich, dass dieses Wunder immer anderswo, immer weiter weg, stattfinden sollte, und dass es diesen bemerkenswerten Baum nicht in Schottland selbst, sondern auf den Orkneys gäbe.
   In Schottland sah ich, wie die Armen fast nackt an Kirchentüren bettelten und sich mit freudigem Gesicht entfernten, wenn sie ein Stück Stein als Almosen erhielten. Dieser Stein wird anstelle von Holz, von dem es nicht viel gibt, zur Feuerung benutzt.
   Die Städte sind nicht umwallt, und die Häuser zum größten Teil ohne Mörtel gebaut. Auf dem Land bestehen die Dächer aus Torf, und die Türen der bescheideneren Wohnungen sind aus Ochsenhaut gemacht. Die gemeinen Leute sind arm und es mangelt ihnen an jeder Kultiviertheit. Sie leben von Fleisch und Fisch, Brot ist für sie nur ein gelegentlicher Leckerbissen.
   Die Männer sind klein von Gestalt, verwegen und temperamentvoll; die Frauen von heller Gesichtsfarbe, anmutig und angenehm, aber nicht gerade von besonderer Zurückhaltung. Sie geben bereitwilliger Küsse als Italienerinnen die Hand.
   In diesem Land gibt es keinen Wein, nur importierten. Alle Pferde sind von gemächlicher Art und kleiner Statur.
   Häute, Wolle, gesalzener Fisch und Perlen werden nach Flandern ausgeführt.
   Nichts macht den Schotten mehr Vergnügen, als kräftig auf die Engländer zu schimpfen.
   
Hume Brown, Peter
Early travellers in Scotland
Edinburgh 1891
Übersetzung: U. Keller

Abgedruckt in:
Ulrike Keller (Hrg.)
Reisende in Schottland seit 325 v. Chr.
Wien 2008

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!