Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1842 - James David Forbes
Über die Sennhütten und die Senner
Wallis, Schweiz

 

Die geringen Bequemlichkeiten, welche die in den höheren Theilen des Gebirges gelegenen, wenig besuchten Hütten bieten, sind überall so ziemlich dieselben. Gewöhnlich sind es zwei Baulichkeiten, die sich wesentlich unterscheiden, die eine ist für den Tag, die andere für die Nacht bestimmt. Der Leser möge jedoch nicht glauben, daß dieselben auch nur die entfernteste Ähnlichkeit mit den Einrichtungen unserer Wohn- und Schlafzimmer gewähren; erstere enthält keine Tische und Stühle, letztere keine Matratzen und Kissen. Das Wohnzimmer gleicht mehr einer Käse- und Butterfabrik als einem zur Bequemlichkeit der Menschen bestimmten Raum. Das Feuer wird unterhalten, um die Milch zu erhitzen, die sich in kupfernen Kesseln befindet, deren Größe, Gewicht und Glanz einen seltsamen Gegensatz zu dem Mangel der gewöhnlichsten Bedürfnisse bieten. Den größten Theil des Platzes in dem spärlichen Raume nehmen Gefäße zur Aufbewahrung des Rahms und der Milch ein. Der Boden besteht aus Erde, ist uneben, aber mit Ausnahme von Piemont, nicht unreinlich. Der Platz für das Feuer ist eine Höhle im Boden; zur Feuerung werden Wacholdersträucher oder Holz von Lerchenbäumen benutzt; und eine Art beweglicher hölzerner Krahnen, an welchem das kupferne Gefäß hängt, gehört zu den wenigen Luxusartikeln. Kamine gibt es keine; das Feuer wird gewöhnlich in der Nähe der Thüre gemacht; auch sind keine eigentlichen Fenster da. Als Licht bedienen sie sich des Fettes, das mit einem Docht in einem kleinen Gefäße brennt, oder auch nur eines Spahnes von harzreichem Fichtenholz. Tische gibt es nicht, wenn nicht gerade ein Faß zu diesem Zweck hingestellt wird; eben so wenig finden sich Stühle, außer einem einfüßigen Melkstuhl – eine unbequeme Ruhestätte für den erschöpften Reisenden.
   Morgens, Mittags und Abends denken diese Hüttenbewohner nur an Milch; es ist ihre erste, ihre letzte, ihre einzige Sorge; sie leben nur von aus Milch bereiteten Speisen, ihre alleinigen Gefährten sind die Thiere, welchen sie ihre Nahrung verdanken. Geld ruft bei ihnen keinen Luxus hervor – sie zählen ihre Reichthümer nach Käsen.
   Überraschend und im höchsten Grade befremdend ist der gänzliche Mandel an Küchen-Geräthschaften. Das einzige ist ein kupferner Topf, um die Milch zu wärmen, bisweilen auch ein Eisen-Gefäß; aber mit Ausnahmen gewisser hölzerner Schaumlöffel, die fast viereckig sind und deren Mündung fünf oder sechs Zoll weit, ist auch weiter nichts dergleichen von Gefäßen, Geschirren, Tellern, größeren oder kleineren Löffeln vorhanden. Wo die Civilisation schon etwas weiter vorgerückt ist – wie z. B. in Torembec – findet man hölzerne Schalen. Der Mangel aller gewohnten Bequemlichkeiten gewährt uns nur Vergnügen; der Reis, den wir bei uns hatten, ward mit Milch und Salz (was für das Vieh hier vorräthig) in dem eisernen Topf gekocht; es gab ein nahrhaftes und nicht unschmackhaftes Gericht für fünf hungerige Männer, bei einer geringen Abnahme unseres Vorrathes.
   Unsere Abendmahlzeit ward geendigt; früh begaben wir uns zur Ruhe. Das Schlafgemach ist, wie ich erwähnte, gewöhnlich eine besondere Hütte, ohne Fenster, Feuer oder Kamin, auf Steinblöcken erbaut, mit einer drei Fuß hohen Thüre; der Boden ist mit mehr oder weniger trockenem Gras bedeckt. Wir streckten uns alle, gleichsam in Reih und Glied, darauf hin, reichlich mit Heu bedeckt. Es war zu hoffen, daß wir hier den Schattenseiten eines schlechten Bettes, dem Ungeziefer, entgehen würden; jedoch genossen wir die Unannehmlichkeiten des Heu-Geruchs ohne den Vorteil der Reinlichkeit. Während der Nacht stand ich einmal auf, schritt über die Körper meiner regungslosen Gefährten und erquickte mich in der freien Luft, die ungemein mild war.
   Um fünf Uhr erhoben wir uns. Aber – allgemein gesprochen – der eilige Aufbruch aus einer Hütte verzögert sich ebenso, wie aus einem vornehmen Gasthofe. Es war halb sechs vorbei, ehe wir gefrühstückt und unser Gepäck in Ordnung gebracht, und nachdem wir unseren Wirthen unsere Erkenntlichkeit beweisen, bewegte sich die Karawane den vor uns liegenden Gletschern zu.
   Ehe wir die Hütten ganz verlassen, möchte ich noch einen Rückblick auf den Charakter von deren Bewohnern werfen. Ich habe immer – sowohl in der Schweiz als in Savoyen – eine angenehme, freundliche und uneigennützige Aufnahme in den Hütten gefunden, und gerade an den Grenzen der Civilisation, wo ein noch so bescheidenes und einfaches Nachtquartier für den Wanderer ein unschätzbares Gut ist. Diese einfachen Naturkinder unterscheiden sich – es hat mich freilich überrascht – von den Bewohnern desselben Thales, ja von ihren eignen Verwandten, die sich während der geschäftigen Handelszeit in Dörfern aufhalten; freilich schleichen sich bei diesen auch die Grundsätze der größern Welt Eigennutz und Selbstsucht, ein. Aber der eigentliche „Vater der Alpen“ ist eine der einfachsten, edelsten und ehrwürdigsten menschlichen Naturen. Ich habe unter denselben Charaktere gefunden, die eine zauberische, unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich ausübten. Eine unbeschreibliche Einheit der Gedanken füllt dieser Männer Gemüth; während der schönen, regsamen Zeit des Jahres leben sie in dem stillen Frieden ihrer erhabenen Alpennatur, kaum sehen sie ein fremdes Antlitz, ja nur wenig Bekannte und immer dieselben. So leben sie dahin mit ihren treuen, stummen Gefährten – ihren Heerden; an alle Entbehrungen gewöhnt, unbekümmert um das Schicksal ganzer Völker und seiner Herrscher, kein Traum spiegelt ihnen Bilder des Überflusses und Wohllebens vor. Und doch sind sie keineswegs roh oder unfreundlich. Sie zeigen eine natürliche Scheu im Umgange mit den Fremden und eine uneigennützige Sorgfalt, indem sie Alles, was nur in ihrer Macht steht, zu der Bequemlichkeit derselben aufbieten. Ihre Gastfreundschaft tragen sie weder zur Schau, noch ist sie durch die Nothwendigkeit bedingt. Willig geben sie, was sie haben, ohne für das Mangelnde Apologien zu halten.


Forbes, James David
Reisen in den Savoyer Alpen und in anderen Theilen der Penninen-Kette nebst Beobachtungen über die Gletscher
Stuttgart 1845

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!