1204 - Gottfried von Villehardouin, Kreuzfahrer
Die Kreuzfahrer machen maßlose Beute in Konstantinopel
Die Nacht verging und es kam der Morgen des Dienstag, da waffnete sich das ganze Heer, Ritter und Knechte, und jeder ging zu seinem Heerhaufen. Sie zogen aus dem Lager und gedachten den Feind zahlreicher als am Tage zuvor zu finden, denn sie wußten nichts davon, daß der Kaiser entflohen war. Und da fanden sie Niemand sich gegenüber!
Der Markgraf Bonifacius von Montserrat ritt den Strand entlang, gerade auf den Palast Bukoleon zu und als er dorthin kam, wurde ihm derselbe übergeben unter Gewährung von Leib und Leben derer, die darin waren. Da befand sich eine große Zahl hoher Frauen, welche sich in das Schloß geflüchtet hatten; da war die Schwester des Königs von Frankreich (Agnes), welche Kaiserin gewesen war, und die Schwester des Königs von Ungarn, welche auch Kaiserin gewesen war, und viele andere. Von den Schätzen, welche man in diesem Palast fand, ist nicht Noth zu reden; es gab deren ohne Maaß und Ziel.
Ganz ebenso, wie dieser Palast dem Markgrafen, wurde der von Blachernä an Heinrich, den Bruder des Grafen Balduin von Flandern, mit Gewährung für Leib und Leben für die darin Befindlichen übergeben. Auch dort wurden sehr große Schätze gefunden, nicht weniger wie im Bukoleon. Jeder besetzte mit seinen Leuten das ihm übergebene Schloß und ließ den Schatz bewachen. Die andern in der Stadt zerstreuten Kreuzfahrer gewannen auch viel, und die Beute an Gold und Silber, an Tafelgeschirr und Edelgestein, an Seide und Brokat, an edlem Pelzwerk, gesprenkelt, grau und Hermelin, kurz an allen Reichthümern, die es auf Erden gibt, war so groß, daß kein Mensch sie in Zahlen angeben könnte. Und es bezeugt Euch Gottfried von Ville-Hardouin, der Marschall von Champagne, nach bestem Wissen und Gewissen, daß, so lange die Welt steht, nicht so viel in einer Stadt erbeutet worden ist.
Todt, Bernhard
Die Eroberung von Konstantinopel im Jahr 1204. Aus dem Altfranzösischen des Gottfried von Ville-Hardouin unter Ergänzung aus anderen zeitgenössischen Quellen
Halle 1878