1800 - Wilhelm Heinse
Im Pantheon
Rom
Es war schon gegen Abend, als ich mit meinem Felleisen im Wirtshaus am Spanischen Platz in Ordnung war. Ich konnte keinen Augenblick länger bleiben und ging sogleich aus, kaufte mir einen Plan von Rom; zog ohne alles weitere Geleit durch die Spazierfahrt der Kutschen im Corso, strich über den schönen Platz Colonna, über Monte Citorio und kam noch im seligen Licht der untergehenden Sonne an und in die Rotunda [Pantheon].
Der Raum darin allein reißt ohne Wort und Feier einen Menschen von Gefühl zur Anbetung hin und entrückt ihn aus der Zeit in die Unermeßlichkeit. Sobald man hineintritt, fängt man an zu schweben, man ist in der Luft, und die Erde verschwindet. Das Licht, das einzig oben durch die blaue heitere himmlische weite Rundung in die reine Form hereinleuchtet, hebt auf Flügeln mit schauriger Leichtigkeit in die Höhe. Kein Tempel je hat so etwas süßes banges erquickend Unendliches in mir erregt; ich sehnte mich frei zu sein und oben in Genuß und Ruhe. Der hohe Kreis korinthischer Säulen umgab mich wie jungfräuliche Schönheit; und Raffaels Brustbild und Annibal Carraccis Brustbild, die hier begraben liegen, und unsers Mengs seins blickten mich an wie Unsterblichkeit.
Ich wäre so gern die ganze Nacht da geblieben, aber man wollte schließen, und ich mußte fort. Kurz, es ist der Vatikanische Apollo unter den Tempeln, und nach ihm macht keine Kuppel mir mehr viel Freude; sie kommen mir alle als tote Nachahmungen vor ohne Zweck. Der Porticus mit sechzehn hohen Granitsäulen aus einem Stück und dem schroffen Dreieck von Wetterdach davor ist ganz Majestät, so wie das Inwendige mit den schlanken schönen Marmorsäulen alle aus einem Stück lauter Himmel ist. Es ist das vollkommenste Kunstwerk unter allen Gebäuden, die ich kenne, und die erhabenste Idee eines Sterblichen. - Ärgern muß man sich nach der Lust über die Kindereien, daß die Päpste die Balken von Bronze davon weggenommen und Kanonen daraus gegossen und dafür ein paar Türmchen darauf gekleistert und achtundzwanzig Wagen Märterknochen hineingefahren haben. Gegen alle Götter mußte freilich wenigstens eine Legion Heiligen einquartiert werden. - An dem Hauptaltar ergänzte man gerad das Kapital an einer Säule, das der Blitz voriges Jahr abgeschmettert, der oben zur Öffnung hereingefahren, eben als der Priester daran Messe las. Ich wünschte bei dem großen Schlag und Schauspiel unter allen den erschreckten wegfahrenden Gestalten zugegen gewesen zu sein.
Heinse, Wilhelm
Sämtliche Werke
Hrg. von Carl Schüddekopf
Band 10, Leipzig 1910