1497 - Arnold von Harff, Pilger vom Niederrhein
Felsendom und Al-Aqsa-Moschee
Jerusalem
Dann kamen wir zum Tempel Salomos [Felsendom], der 160 Schritte vom Tempel Christi [Grabeskirche] entfernt steht. Dort wurde ich mit einer Abgabe und großer insgeheimer Hilfe von einem Mameluken in diesen Tempel geführt, in den kein Christ oder Jude gehen oder sich ihm nähern darf, weil sie sagen und meinen, daß wir schnöde Hunde und nicht würdig sind, die heilige Stätte zu betreten; es gilt die Todesstrafe, worüber ich erschrak. Doch unterwies mich der Mameluk, daß er mich in den Tempel führen wolle, wenn ich mit ihm eines Abends nach seiner Gestalt gekleidet gehen wolle; falls ich erkannt würde, sollte ich sollte ich einem Heiden mit der Sprache antworten und auch die Wörter und andere Zeichen, die ich in Gazera zwangsweise sagen mußte; davon habe ich schon geschrieben. Dann würde der Heide mir Ehre entbieten und mich gehen lassen, wie das oft geschah.
So holte mich der Mameluk eines Abends aus dem Kloster Monte Syon in sein Haus, damit es aussah, als ob ich bei ihm die Nacht geschlafen hätte, und dort rüstete er mich mit Kleidern und anderem wie ein Mameluk. Uns so betaten wir beide gegen Abend den Tempel Salomos, der durch seine Aufforderung aufgeschlossen wurde und gleich wieder zu, damit wir nicht überlaufen würden; ich mußte dafür vier Dukaten bezahlen.
Dieser Tempel Salomos ist eine runde, schöne, hohe Kirche, mit Blei gedeckt, und um diese Kirche geht ein offener Kirchhof, der auch mit weißen breiten Marmorsteinen gepflastert ist. Diese Kirche habe ich innen ausgemessen. Lang ist sie 72 Schritte, 40 breit. In diesem Tempel stehen 32 schöne Marmorsäulen, die das Gewölbe der Kirche halten. Im Ostteil steht ein kleines rundes kleines Tabernakel oder Kapellchen, fünf Fuß lang und breit, auf zwölf Säulen gesetzt, wie ein Spieß hoch über der Erde; darauf halten jetzt die Heidenpriester ihre Gebete und Gottesdienste; sie halten es in sehr großer Ehre und für eine heilige Stelle, an der immer viele Leuchter brennen. Dieses Tabernakel oder Kapellchen haben vorzeiten die Juden in großer Ehre gehalten; sie nannten es eine Stelle des Heils, denn darauf stand die Bundeslade, in der ihr Heiligtum beschlossen war, namentlich die zwei Tafeln, die Gott der Allmächtige Moses auf dem Berge Horeb gegeben hat und auf denen die zwölf Gebote geschrieben standen. Auch waren da Aarons Stab, auch die Worte Gottes, auch der Stab, mit dem Moses das Rote Meer schlug, das sich voneinander trennte, mit vielerlei andern Heiligtümern, die die Juden vor Christi Geburt in großer Ehre hielten.
Unter diesem Tabernakel steht ein kleines Steinstück, mit Eisen umgittert, der Heilige Fels genannt, weil darauf viele Wunder und Gottes Mirakel geschehen sind. Namentlich hat Melchisedech, der Priester, Wein und Brot auf diesem Felsen Gott vom Himmelreich geopfert. Auch lag Jakob, der Patriarch, mit schlafendem Haupt auf diesem Stein, als er von diesem Felsen eine Leiter bis in den Himmel gehen sah, auf der die Engel Gottes auf und ab stiegen. Als er erwachte, sprach er: Wahrlich, diese Stätte ist heilig und ich wußte es nicht. Auch sah König David einen Engel mit einem gezückten bloßen Schwert auf diesem Felsen stehen. Auch haben jüdische Priester ihre Opfer Gott vom Himmelreich auf diesem Felsen gebracht. Auch hat Herr Jesus viele Wunder auf diesem Felsen getan, wovon der Mameluk mir eigentlich nichts zu sagen wußte, und die Heiden halten diesen Felsen in großer Verehrung, weil da herum sehr viele Lampen brennen.
Zur linken Hand in diesem Tempel steht ein Altar, beinahe nach unserer Weise, denn er steht ringsherum frei, auf dem vorzeiten die Juden ihre Opfer, Tausende von Hühnern und Turteltauben, Gott vom Himmelreich zu opfern pflegten. Aber jetzt haben die Heiden auf dem Altar einen Kompass gemacht, auf dem sie nach ihrer Weise die Uhrzeit erkennen können. Bei diesem Altar wurde Sankt Zacharias getötet.
Dieser Tempel Salomos hat vier Türen, durch die man gehen kann. Die Türen sind aus altem Zypressenholz gemacht, mit alten eingeschnittenen Historienbildern. An der Tür nach Norden steht eine viereckige Zisterne, wo sich die Heiden täglich den Körperteil waschen, mit dem tags oder nachts gesündigt haben; sie glauben, sich so die Sünden abzuwaschen; das tun sie, bevor sie beten wollen, weil sie glauben, ihr Gebet wäre sonst Gott vom Himmelreich nicht angenehm. Dies ist die Zisterne oder der Brunnen, von dem die Heilige Schrift sagt: Ich habe das Wasser ein und ausgehen sehen. Ich sah in diesem Tempel keine gemalten Bilder oder Figuren, wie wir in unseren Kirchen haben, aber einen schönen Tempel mit vielen brennenden Lampen, wohl 500; das wurde mir gesagt und das habe ich mit meinen Augen gesehen.
In diesem Tempel Salomos hat auch unser Herr Jesus oft den Hebräern gepredigt, gelehrt und ihnen Wunder getan. Auch hat er die Käufer und Verkäufer vertrieben, weil sie ihren Sabbat nicht recht einhielten. Hier ist auch unser Herr Jesus vom Satan versucht worden und hat sich von ihm auf die Höhe des Tempels Salomos führen lassen. Und die Juden haben den jüngeren Sankt Jakob von der Höhe dieses Tempels zu Tode geworfen.
Von diesem Tempel nach Süden, wo wir von der Stadt auf den Platz kamen, gingen wir durch ein Tor, das wir Christen Porta speciosa nennen, und durch die Sankt Peter und Sankt Johannes gegangen sind, und wo Sankt Peter einen Krüppel gesund gemacht hat, wie uns das Evangelium sagt.
Wir gingen von diesem Tempel ostwärts um die 26 Schritte in eine sehr schöne große Moschee oder Kirche, Porticus Salomonis [Al-Aqsa Moschee] genannt. Als die Christen Jerusalem inne hatten, da hieß die Kirche Zu Unserer Lieben Frau, weil sie dort lange zur Schule gegangen ist. Diese Kirche Porticus Salomonis ist viel größer als der Tempel Salomos, auch schön gebaut und mit Blei gedeckt, und hat innen 42 Säulen aus Marmorstein, und 800 Lampen, die täglich darin brennen, weil die Heiden diese Kirche in großer Ehre halten; es darf kein Christ oder Jude dieser Kirche nahe kommen.
Dann gingen wir an einer Stelle dieser Kirche eine große Treppe hinab in ein Gewölbe, das ein Marstall des Sultans oder der Mameluken war; darin möchten wohl 600 Pferde stehen, weil die Kirche unten ein ganzes Gewölbe ist, und wir sahen wohl an der Gestalt, daß dort zu Christenzeiten eine Krypta gewesen ist, wo man die Messe gelesen hat, weil man dort noch viele Altäre sieht.
Groote, E. von (Hg.)
Die Pilgerfahrt des Arnold von Harff …
Cöln 1860; Faksimile Hildesheim/Zürich/New York 2004