Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1803 - Domingo Badia y Leblich alias Ali Bey al Abbassi
Ankunft in Methoni
Peloponnes

 

Drei wohlbeleibte Türken empfingen mich am Zollhaus am Meerestrande. Sie waren ausnehmend höflich, luden mich zum Kaffee ein und reichten mir eine von ihren langen Pfeifen, die ich aber ausschlug. Weil keiner von ihnen arabisch oder eine andere mir bekannte Sprache sprach, so konnte ich ihre Höflichkeitsbezeigungen nur durch Zeichen zum Beweise meiner Erkenntlichkeit erwidern. Wir trennten uns allseits recht vergnügt voneinander, und ich ging in die Stadt, wo man für mich in der Hauptstraße ein Haus in Bereitschaft gesetzt hatte.
    Man kann Modon als eine gute Festung ansehen. Die Spanier wie die Venezianer, die sie vormals besaßen, trugen zur Befestigung dieser Stadt bei, und man sieht noch jetzt auf einer großen, von den Venezianer errichteten Bastei das Wappen von Venedig, den Löwen des heiligen Markus.
    Die Stadt wird von Türken bewohnt. Sie mag etwa tausend Familien enthalten. Die Besatzung soll siebenhundert Mann stark sein und wird vom Großherrn bezahlt. Die Soldaten, welche ich sah, schienen mir schön, weiß, wohl gebildet und besonders gut gekleidet und ausgerüstet zu sein. Ihre Waffen bestehen in einem kleinen Karabiner, Pistolen und dem Khanjar oder Messer. Den Karabiner tragen sie an einem Riemen auf dem Rücken. Die wenigen Pferde, die ich sah, schienen mir sehr schlecht zu sein.
    Während meines Aufenthaltes zog die ganze Besatzung aus, um eine große Räuberbande zu streifen, die wenige Tage vorher ein Dorf angegriffen und alle Männer, Weiber und Kinder darin ermordet hatte. Dergleichen Schreckensszenen sind leider nur zu häufig in Morea und beweisen den allmählichen Verfall der türkischen Regierung ganz augenscheinlich.
    Die Stadt hat hohe Mauern und enge, schmutzige Straßen. Sie schien mir ungesund, weil die Luft eingesperrt und von üblen Gerüchen verdorben ist. Ich habe sogar in der umliegenden Gegend wahrgenommen, daß der Ton das Erdreich kotig und widerlich macht; welcher Ursache ich auch das faulige Ansehen, das Gemüse und Obst haben, zuschreibe. Das Brot ist weich, durchaus schwarz, und sieht vollkommen wie ein halb getrocknetes Stück Kot aus, eben dieses ekelhafte Ansehen habe ich auch am Fleisch bemerkt. Indessen sind die Einwohner gesund und haben viel Gesichtsfarbe; vielleicht kann man dies der großen Menge Wein, die da getrunken wird, zuschreiben; sie ist verhältnismäßig, trotz dem Gesetz, beträchtlicher als in irgendeiner europäischen Stadt.
    Es gibt zu Modon kein laufendes Wasser, sondern nur Brunnen, wovon aber das Wasser nicht trinkbar ist. Das Wasser, das man zum Trinken nötig hat, läßt man auf Lasttieren herbeischaffen; es wird aus einem kleinen Bach nicht weit von der Stadt geholt. Vor Alters gab es Springbrunnen; jetzt aber sind die Wasserleitungen zerstört.
    Der größte Teil der Stadtmauer ist von großen Quadersteinen, und die Häuser sind ebenfalls von Stein und auf europäische Art mit Ziegeln gedeckt, auch die Straßen gut gepflastert. Diese Steine sind Schiefer-Varietäten, Kalk- oder grobe Marmorsteine. Die Fußböden in den Zimmern sind aus  Holz. Die Häuser haben viele nach europäischer Art eingerichtete und mit dichten Jalousien versehene Fenster. Einige Tore oder Bogen, welche einige Begriffe von Baukunst verraten, sind ganz in griechischem Stil gebaut, und man sieht durchaus nichts, was auf arabischen Geschmack irgendeine Beziehung hätte.
    Im Ganzen hat die Stadt ein sehr trauriges Ansehen. Die aschgraue Farbe der Häuser, die Ziegel von ebendieser Farbe, die Höhe der Mauern, der Unrat auf den Gassen und der daraus beständig entstehende üble Geruch, die schlechte Beschaffenheit der Lebensmittel, der Mangel an trinkbarem Wasser, die Armut und gänzliche Untätigkeit der Einwohner, welche weder Handel noch Gewerbe treiben, das unter ihnen herrschende Mißtrauen, ihre Uneinigkeiten und die daraus entstehenden Fraktionen, welche immer die Waffen in der Hand haben und jeden Augenblick schlagfertig sind; das düstere, durch alle Stände verbreitete Stillschweigen; die überall sich zeigende Völlerei; mit einem Wort, alles trägt dazu bei, dieser Stadt das Ansehen eines unausstehlichen Aufenthaltsortes zu geben. Indessen kann man sie wohl ihrer Festungswerke wegen als auch in Ansehung ihrer geographischen Lage am südwestlichen Winkel von Morea und an dem Durchgang des Archipelagos in die europäischen Meere für einen Waffenplatz von zweitem Rang halten. Auch befinden sich in ihrer Nähe verschiedene vortreffliche Seehäfen, die sich zu Wareniederlassungen sehr gut schicken würden.
    Während meines Aufenthaltes [Mitte Februar] war es kalt, der Himmel fast immer trübe und es regnete häufig.
    In einiger Entfernung von der Stadt liegt eine kleine Insel, auf welcher sich ein achteckiges, drei Stockwerke hohes Schloß oder Turm befindet, wovon das untere mit Kanonen versehen ist. Der Hafenkapitän wohnt daselbst, und um vom Lande auf die Insel zu kommen, hat man einen Damm oder Molo angelegt.
    Am Seetor war vor Alters noch ein anderer solcher Molo, von dem aber jetzt nur noch einige Ruinen zu sehen sind.
    Das öffentliche Bad ist ärmlich und wird schlecht unterhalten.
    Es gibt auch mehrere Kaffeehäuser, in welchen die Türken nichts tun als trinken, rauchen und Schach spielen.
    In der Hauptstraße sind einige mangelhaft mit Waren versehene, schlecht ins Auge fallende Kramläden.
    Die zu Modon gangbaren Münzen sind die nämlichen wie man sie in der Türkei hat.
    Der Statthalter, dessen Macht und Ansehen aber auf schwachen Füßen steht, heißt Mehemet Aga und war damals krank.
    Der bedeutendste Einwohner von Modon ist ein gewisser Mustapha Schaoux. Er hat ein großes Vermögen, sieht aber wie ein gemeiner Bandit aus. Er trägt beständig ein großes Messer an seiner Seite und zwei ungeheure Pistolen. Eigentümer der öffentlichen Badeanstalt, des großen Kaffeehauses, aller Schenken in der Stadt und Herr der Insel Sapienze, hält er den Aga beinahe in seine Wohnung gebannt. Der Hafenkapitän, welcher sich vor ihm fürchtet, wagt es niemals, in die Stadt zu kommen. Das große Kaffeehaus ist eine Art von Freistätte für jeden Verbrecher; sobald sich ein solcher dahin flüchtet, ist er in Sicherheit, und braucht sich auch solange um keine Gerichtsstelle zu bekümmern, als er sich nicht aus diesen heiligen Mauern entfernt.
    Mustapha Schaoux begünstigt die Seeräuber auf seiner Insel. Es war ein guter Freund von dem Kapitän meines Schiffes und seines Leutnants, welch letzterer mich begleitete, als ich an Land stieg. Sobald er im Zollhause erklärt hatte, daß er mich in eines der Mustapha Schaoux gehörigen Häuser bringe, verbeugte sich jedermann; man war sehr höflich gegen mich und fertigte mich schnell ab.
    Indessen mußte dieser Mustapha kurzer Zeit vor meiner Ankunft mit einer Partei, welche sich gegen seine Tyrannei empört hatte, Krieg führen. Die Feindseligkeiten hatten einige Monate gedauert, und seine zahlreichen Anhänger sich in seine Kaffee- und Wohnhäuser geflüchtet, von wo aus sie auf die Feinde schossen, welche aus ihren Wohnungen auf die Straße gingen. Es gelang ihm endlich, die Oberhand zu behalten und seinen Despotismus aufrecht zu erhalten, der jetzt drückender als jemals ist. Solche Auftritte ereignen sich in den meisten, dem Szepter des Kaisers zu Konstantinopel unterworfenen Provinzen täglich, und man kann leicht denken, dass ein solcher Zustand unmöglich von langer Dauer sein dürfte, sondern daß vielmehr diese beständige Anarchie und die bald da, bald dort ausbrechenden Empörungen der türkischen Macht notwenig den Untergang bereiten müssen.
    Ich wohnte bei Mustapha Schaoux im Hause. Sein Bruder besorgte meine Angelegenheiten, und er selbst machte mir beständig den Hof. Er machte öffentlich bekannt, das Ali Bey Effendi der vorzüglichste Mann auf der Welt sei; womit er ganz begreiflich zu verstehen gab, daß ich mich in meiner Erkenntlichkeit nach den Diensten, die er mir leistete, und nach den Ehrenbezeigungen, die er mir erwies, richten müsse.
    Dieser eine so bedeutende Rolle spielende, unbändige Mensch hat eine Tochter und zwei Söhne, welche eben so tapfere Zecher, eben so wohlbeleibt und von eben so glühender Gesichtsfarbe wir ihr Herr Papa und die sicheren Unterpfänder sind, daß ein so edler Stamm nicht so bald verblühen werde. Seine etwa zwölf Jahre alte Tochter kam ganz allein zu mir, um mir mein Weißzeug zu bringen, sie entschleierte ihr sehr hübsches Gesicht ganz, als sie zu mir ins Zimmer trat. Ich fragte den Mustapha, wie es komme, daß seine Tochter sich so zwanglos benehmen dürfe, und er erwiderte mir: „Lieber gnädiger Herr, wie gehören ja zu einer Familie!“ Natürlich war mir eine solche Auszeichnung, womit er mich zu behandeln beliebt, sehr schmeichelhaft.
    Hinter dem über die Stadt hervorragenden Hügel ist ein griechisches Dorf, welches kaum fünfhundert Einwohner zählt, und dessen Häuser das nämliche Aussehen haben. Indessen hat hier der einzige zu Modon residierende Konsul, nämlich der ragusanische, seine Wohnung aufgeschlagen. Der damalige war ein sehr liebenswürdiger Mann; er hatte einen das Amt eines apostolischen Präfekten von Morea bekleidenden Domherrn bei sich, welche viele Kenntnisse besitzt und sich während eines mehrjährigen Aufenthalts zu Rom den feinen und gefälligen Ton im Umgang, wodurch sich die Bewohner dieser Stadt auszeichnen, ganz zu eigen gemacht hat.

 

Badia y Leblich, Domingo
Reisen in Afrika und Asien in den Jahren 1803 bis 1807
Weimar 1816

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