Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1785 - Sophie von La Roche, Schriftstellerin
Der Hafen von Bordeaux

 

Wir nahmen eine Kutsche und fuhren längs dem Strand nach Hause. Sehr artig war es, alle Pavillons und Flaggen von so viel hundert Schiffen fliegend zu sehen, welches die Feyer des Sonntags andeutete. Die französischen, welche ganz oben im Hafen liegen, haben sehr grosse weiße Flaggen, die biß in den Fluß hinunter hängen. Kaiserlich teutsche Schiffe sah ich zwey, auch weiße Flaggen mit dem doppelten Adler, unten und oben rothe Streifen [österreichisch], Preußische, auch weiß, mit dem einköpfigen Adler, aber rothe Donnerkeule in einer Klaue. Russische, weiße, blaue und rothe Streifen. Schwedische, blau mit einem gelben Kreutz. Irland, grün mit gelber Harfe. Spanien, roth mit einem vielfachen weißen Kreutz. Bremen weiß und roth, halb Würfel, halb Streifen. Boston, blau und weiße Streifen, oben in der Ecke ein blaues Feld mit dreizehn Sternen. Hamburg, roth mit drey weißen Thürmen. England, dunkelroth mit einem blau und weiß durchschnittenen Kreutz. Diese wehenden Flaggen und die gepuzten Matrosen auf den Verdecken waren ein angenehmer Anblick, und Herr Cramer, ein geschickter junger Mann aus dem Bethmannschen Haus, welcher Mademoiselle Flamand und mich begleitete, erklärte uns auch vieles von der Ladung der Schiffe, was sie aus- und einführten.
   Bordeaux giebt ihnen Wein, Mehl, Korn, Brantwein, eingemachte Früchte, dürre Pflaumen, Essig, Pappier, Kork, Pech, Terpentin, Honig, Waffen aller Art nach den Colonien, wohin sie auch wollen Zeug, Leinen, Eisenwerk und Handwerkszeug führen, und überdieß auch auf den Wall- und Stockfischfang auslaufen. Fremde Schiffe bringen ihnen wollene Zeuge, Zinn, Bley, Steinkohlen, Häringe, Thierfelle aller Art, gesalzen Fleisch, Unschlitt, Farbewaaren, Breter, Mastbäume, Hanf, Theer, Kupfer, weißen und rohen Zucker, Baumwolle, Ingwer, Indigo, Cacao. Zucker, Caffee und Baumwolle werden immer nach Millionen berechnet, Indigo, Cacao und Ingwer nach Hunderttausenden. Die Matrosen verdienten im Krieg monatlich 80 Livres, jetzt bekommen sie dreißig.
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   Heute sah ich Schiffe mit vollen Segeln ein- und auslaufen. Es ist ein höchst angenehmer Anblick; aber wenn man auch, wie heute, die Matrosen auf den Segelstangen kleben sieht, wie sie bey der Gefahr des Strandens mit Eile die Strickleiter hinaufklettern und die die grossen Segel aufbinden; so wird einem bey dem Gedanken angst und bange, daß sie dieses mitten auf der See, und mitten im Sturm thun müssen. Die Seiltänzerkunst ist eine sehr verächtliche Sache, gegen den Muth und die nüzliche Seilsteigerkunst der Matrosen. Ich mußte dennoch mein Auge wegwenden, als ich sie das erstemal nur mit der Fläche des Magens auf der Zwerchstange des Segels aufliegen und mit beyden Händen am Tauwerk arbeiten sah, da sie gleichsam mit den untern Rippen allein anklammerten und fest hielten. Artig ists, wie die Segel beym nemlichen Winde die Schiffe auf und ableiten, und die Kunst gewiß bewunderswerth, mit welcher 20 bis 30 Segel regiert und mit alle den vielen Seilen mit Namen genannt werden. Man erzählte dabey als auszeichnend, daß man unter neuen Fremden die Engländer sogleich daran erkenne, daß sie in der ersten viertel Stunde den Schiffswerft besuchen und Stundenweis der Arbeit zusehen. Norden bringt Bordeaux das Schiffsholz und nimmt dagegen Brantwein, dürre Pflaumen und dicken rothen hier untrinkbaren Wein zurück. Nach Rußland gehen der Pflaumen eine erstaunliche Menge, weil sie gerne Suppen davon kochen. Im hohen Languedoc haben sie grosse Wälder von Pflaumenbäumen, und sie sollen auch einen ganz eigenen Vortheil, sie zu trocknen, besitzen, welcher als ein Geheimnis in diesen Gegenden bewahrt wird. Sie schicken aber den Russen auch die abgefallenen und unter den reifen kleine schlechtweg gedörrte, wovon der Centner nur 18 Livres kostet. Von den schönen fetten aber kostet er 30 bis 36 Livres. Doch handelt man nicht gerne mit den Russischen Kaufleuten, denn man sagt, sie hielten nicht genug auf Ordnung und Fleiß. Hingegen sollen 18 bis 20 Englische Häuser den ganzen Hanf, Holz und Eisenhandel dieses Reichs in Händen und in allen Russischen Provinzen Factoreyen haben. Da sie auch allen Vornehmen Geld vorstrecken, ingleichen ihre asiatische Prachtliebe, durch Zuführen fremder Kostbarkeiten, vergnügen; so erhielten sie dagegen unbedingte ausschließende Vortheile, alle Producte dieser großen Monarchie beynahe allein an sich zu ziehen. Bei diesem Anlaß hörte ich auch, daß es Frankreich einst auf immer bedauern würde, daß es der Bewegung einer alten Rachbegierde gegen England gefolgt und die Amerikaner frey gemacht, indem Frankreich nur während dem Krieg einen vorübergehenden Nutzen davon hatte, und jetzo schon den freyen Handel der Amerikaner nach den Insuln mit großem Nachtheil fühle, besonders da ihnen erlaubt würde, Mehl zuzuführen. Die ganze Kaufmannschaft hat bey dem König Vorstellung gethan, und sie hoffen, es werde eine Einschränkung Statt finden.  
   

La Roche, Sophie von
Journal einer Reise durch Frankreich
Altenburg 1787; Faksimile Eschborn 1994

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