Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1204 - Niketas Choniates, byzantinischer Hofbeamter
Die Kreuzfahrer schänden die Hagia Sophia

Konstantinopel

 

Die Feinde aber, da sie unerwarteter Weise keinen bewaffneten Widerstand, sondern alle Gassen und Plätze offen und unbesetzt fanden, und die Leute alle mit Kreuzeszeichen und heiligen Christusbildern, wie bei Processionen und Festversammlungen sich entgegen kommen sahen, ließen sich durch diesen Anblick nicht in ihrer Seele umstimmen, und ihr rasender Andrang und zorniger Blick wurde nicht besänftigt, sondern sie plünderten ungescheut nicht allein den Besitz der Menge, sondern auch das dem Gottesdienst Geweihte, alle mit einem Schwert bewaffnet, einige auch auf geharnischten Schlachtrossen. „Was soll ich nun zuerst, was darauf, was zum Ende erzählen“ [Homers Odyssee 9,14] von den Frevelthaten jener verbrecherischen Menschen? Wie wurden die angebeteten Bilder schimpflich zu Boden geworfen! Wie wurden die Reliquien der für Christus gestorbenen Martyrer an unheilige Örter geschleudert! Und was schauderhaft auch nur zu hören ist, man konnte das göttliche Blut und den Leib Christi verschüttet und zu Boden geworfen sehen! Sie aber nahmen die kostbaren Gefäße desselben und zerbrachen sie theils und steckten dann den daran befindlichen Schmuck ein, theils setzten sie dieselben auf ihre eigenen Tische als Brodkörbe und Weinkrüge, sie, die Vorläufer des Antichrist und seiner gottlosen Thaten Anfänger und Vorboten! Von diesem Volke wurde damals geradezu, wie früher, Christus entkleidet und verspottet, seine Kleider getheilt und über seinem Rock das Loos geworfen, und fast ließ er, wiederum mit der Lanze in die Seite gestochen, Ströme Blutes zur Erde fließen. Was aber in der Hauptkirche [Hagia Sophia] Gottloses geschah, das läßt sich kaum anhören. Denn der Hochaltar, eine Mosaik-Zusammensetzung aus den werthvollsten Stoffen, die im Feuer zusammengeschmolzen waren, und sich zu einer wirklich überaus herrlichen Schönheit vereinigten, die von allen Völkern angestaunt wurde, dieser wurde zerschlagen und unter die Plünderer vertheilt, sowie auch der gesammte unermeßliche und an Glanz unerreichbare Schatz des Heiligthumes. Und da es nöthig wurde, nicht allein die heiligen Geräthe und Kleider von unübertrefflicher Kunst, sondern das reine Silber, welches die Altarschwelle, die Schranken des Altars und die staunenswerthe Kanzel umgab und um sehr viele andere Schmuckgegenstände, selbst wieder mit Gold umgeben, gegossen war, wie gewöhnliche Beutestücke hinausbringen zu lassen, so führte man Maulesel und andere Lastthiere gesattelt bis in das Allerheiligste. Einige von diesen Thieren glitten auf dem spiegelglatten Fußboden aus, wurden mit Messern zum Aufstehen gestachelt und besudelten mit ihrem Blute und Kothe das Heiligthum. Ja sogar ein sündenbeladenes Weib, eine Dienerin der Erynien und Magd der Teufel, eine Werkstätte unsäglicher Zauberkünste, „hochmüthig wider Christum“ (1 Timoth. 5, 11), setzte sich auf den Sitz der Priester, sang ein üppiges Lied und schwenkte sich im Tanze drehend die Beine. Und nicht etwa wurden nur hier und nicht anderwärts, oder nur hier vorzüglich, anderwärts aber weniger, solche Schändlichkeiten vollbracht, nein, einmüthig wurde von Allen Alles Greuelhafte ausgeübt. Wie hätten sie, die gegen das Göttliche selbst so wütheten, ehrbarer Frauen, erwachsener Töchter und der Jungfrauen, die ihr Leben dem HErrn geweiht hatten, verschonen sollen! Vor allem aber war es schwierig, und fast unmöglich, mit Bitten und Wehklagen die barbarischen Gemüther zu gewinnen und wohlwollend zu stimmen, welche so jähzornig, so abgeneigt zu hören waren. Alle Worte reizten nur mehr ihren Zorn und galten als thöricht und lächerlich. Wer nur im Geringsten widersprach, oder dem was ihnen gefällig war, sich entzog, der wurde als ein lästiger Schwätzer gescholten und mußte oftmals den Dolch gegen sich gezückt sehen. Daher war Jedermann in Noth, Wehklagen und Thränen waren auf allen Gassen und Plätzen und in allen Kirchen, Wegschleppung, Knechtung, Gewaltthat überall.

 

Todt, Bernhard
Die Eroberung von Konstantinopel im Jahr 1204. Aus dem Altfranzösischen des Gottfried von Ville-Hardouin unter Ergänzung aus anderen zeitgenössischen Quellen
Halle 1878

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