1785 - Sophie von La Roche, Schriftstellerin
Die Putzmacherin und ihre Kleider
Paris
Nachmittags führte uns Madame Dauphin, welche die berühmteste Modehändlerin in Deutschland ist, zu der in Paris berühmtesten und angesehenen Mademoiselle Bertin, welche alle Kleider der Königin und der vornehmsten Damen bey Hofe macht, und wirklich jetzo alles verfertigt, was der Spanische und Portugiesische Hof für die doppelte Vermählung zwoer Infantinnen braucht. Die Bertin erhielt für 280 verschiedene Kleider fünfmal hunderttausend Livres. Es sind schon viele abgeschickt, aber wir haben die Erlaubnis, alle Tage zu kommen, und die neuern zu sehen.
Mir war der ganze Auftritt merkwürdig. Ein äusserst grosses und wirklich prächtiges, obschon in der Reinlichkeit sehr vernachläßigtes Haus, wo man von einer sehr schönen Treppe in ein Vorzimmer kommt, wo auf einer Seite zween Schreiber beschäftigt waren, auf der andern zwey Ladenmädchen Flor und Bänder ausmassen; von da in einen grossen Saal, in welchem das Bley an den Fenstern vergoldet, das Kamin Marmor und die Stuccatur-Arbeit der Decke sehr schön war. Da saßen an drey langen, die Hauptseiten einnehmenden Tische etliche zwanzig Mädchen, jede mit anderer Phantasie beschäftigt, jede selbst anders geputzt, ausgenommen, daß sie keine Hüte trugen. Quer über den Saal war der Arbeitstisch der Meisterin, welche da alleine in einem erhabenen Lehnsesel sizt, vor niemand aufsteht, worinn sie Recht hat, indem es sie viele Zeit kosten würde; vor und neben ihr hohe Haufen von Blonden, Silberfranzen, Blumengewinden, Flor und Bändern.
Dem Tisch gegen über Kleiderstühle, auf denen gerade zween hübsche Röcke der Prinzessin von Asturien aufgehängt waren, an denen man die Garnituren aufnähte. Madam Dauphin presentierte und nannte uns. Mademoiselle Bertin war höflich, ihre Kleidung bescheiden, aber doch kostbar, denn es war ein Negligé vom feinsten gestickten Mousellin mit breiten Brüßler Spitzen besetzt. Wir bewunderten wirklich die Schönheit der Kleider, wovon eines auf weisen Grund mit Gold-, und Silber-Flittergen, grünen und rothen Folieblätgen gestickt war und mit Falbeln von Flor mit Silber durchzogen und mit Franzen von Lahn besezt wurde, in der Mitte aber ein Streifen von Carmoran-Federn durchging, welche, da sie die höchsten Farben der gelben Schattierung vom Gold bis zum Braunen mit einem ungemeinen Glanz verbinden, dem Rock eine schimmernde Pracht gaben.
Das andere war auf blaßblauem Grund auch mit Folie und Silberlahn in kleinen Vierecken durchstickt und die Garnierung mit Silberspitzen und mit Schnüren, woran grüne und rothe einen halben Zoll große Steine gefaßt waren, besezt, welches aus prächtig ins Auge fiel. Mich freute es, die Person zu sehen, welche an jeden Hof von Europa Befehle schickt, was man für schön und für geschmackvoll halten solle. Ihre tausendfachen Erfindungen verdienen, wegen den Fleiß, welchen sie anwendet, und da sie wirklich oft angenehme Formen hervorbringt, geschäzt zu werden. Madame Dauphin nannte sie den Voltaire unter den Modehändlerinnen, und Bertin erzählte, daß sie zwey tausend Personen beschäftige, indem sie Flor, Bänder, Zeuge, Blonden und Folieblumen nach ihren eigenen Gedanken ausarbeiten lasse, und jährlich mehr als eine Million Livres nach Paris in Umlauf bringe. Phantastische Formen, welche zwey tausend Menschen Lebensunterhalt verschaffen, geben der Person, die sie in Umlauf bringt, ein Gewicht der Nüzlichkeit, wofür man ihr Dank schuldig wird.
Sie soll vierzig tausend Livres Renten haben, welche den Kindern ihrer Geschwister heimfallen, indem sie nie heuratehn will. Eine Art ihr eigener Beredsamkeit giebt durch sie der Sprache zierliche Wendungen, so wie sie das Talent hat, dem Flor und Blumen artige Bügungen zu geben. Immer stehen vor ihrem Hause Kutschen mit hübschen jungen Damen, die sich glücklich schätzen, etwas aus der Hand von Mad. Bertin zu ihrem Putz zu bekommen.
Wenn sie die Stimme erhebt, und Mesdemoiselles sagt, so sind die Gesichter aller Mädgen mit ehrerbietiger Aufmerksamkeit erfüllt. Das Nähen, Drehen, und Biegen der hundertfachen Materialien von Draht, Stroh und Seide und alle Wendungen der Hände und Finger, die dazu erforderlich sind, gab einen angenehmen Zeitvertreib.
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Wieder ein Besuch bey Demoiselle Bertin und neues Staunen über die wunderbaren Erfindungen von tausend Zierrathen, welche gerade nur einen Augenblick schimmern können. Aber wenn ich auf die Erinnerung zurück komme, daß diese Person eine Handlung von zwo Millionen treibt, und so vielen hundert Menschen Lebensunterhalt verschafft, so wird sie mir sehr schätzbar. Warum beugt man in ganz Europa den Nacken unter den Zepter der phantastischen Mode? Warum behält man in allen Dingen so gern seine erste Meynung und hat die unbegreifliche Folgsamkeit für seine Kleidung? Mademoiselle Bertin schickt in den Kleidern für die zwo Infantinnen wieder einen guten Theil Silber nach Spanien zurück, welches in Stangen nach Frankreich kam; denn die großen Blumen und ihre Blätter, welche aus farbiger Folie gemacht werden, sind alle aus feinem geschlagenen Silber, nebst den Quasten von Lahn, den Flittergen und den Einfassungen der großen Glassteine. Meine Unterredung mit dieser Person war sehr artig. Sie sprach von ihren Unterhaltungen mit der Königin, von ihrem Briefwechsel mit der Großfürstin von Rußland, von ihren schlaflosen Nächten, in welchen sie auf neue Verbindung der Farben in Flor und Bändern, auf neue Formen für Hauben und Hüte, für Kleider und Garnirungen denkt, und dann ihre ausgedachten Erfindungen den Fabrikanten und den Blondenklöpplerinnen zeichnet und angiebt, Namen dazu schafft, und ihren Secretairs die Befehle ertheilt, ihren auswärtigen Correspondenten davon Meldung zu thun. Es war mir äußerst interessant, sie sprechen zu hören.
[…]
Im Wagen der Königin saßen sechs Damen, alle in spanischer Kleidung. Die Zeuge meist von weisem Grund, in Gold, Silber und Folie gestickt, welches sehr schimmert, aber nur einen Tag dauert, indem die Gold- und Silberflittergen durch das Biegen der Falten die Seide absprengen, womit sie angenäht sind, und die farbigen Folien abfallen.
La Roche, Sophie von
Journal einer Reise durch Frankreich
Altenburg 1787; Faksimile Eschborn 1994