1785 - Elizabeth Lady Craven, englische Schriftstellerin
Der Sultan und die Frauen von Konstantinopel
Ich bezog als meine Wohnung im Hotel der Französischen Gesandtschaft. [… Es] hat das Ansehen eines schönen französischen Hotels, und ist von guten Steinen und Holz gebaut, welches hier ein seltenes Bauzeug ist. Aus meinen Fenstern sah ich den Sultan auf einem silbernen Polsterbette sitzen, während seine Boote und andere, die ihn begleiten sollten, an dem Ufer des Gartens hielten – ein wahrhaft prachtvoller Anblick. Mit unsern Fernrohren sahen wir deutlich die orientalische Pracht. Des Sultans Bart war schwarz gefärbt, um ihm das Ansehen von Jugend zu geben, und in einer gehörigen Weite hätte man ihn für jung halten können; dieser Bart aber machte einen seltsamen Contrast mit seinem gelben, bleichen Gesicht. Der Kiosk, worin er auf seinem silbernen Polster saß, war nicht sehr groß und zeichnete sich in nichts vor den andern dort befindlichen aus.
Die Frauen, deren es eine große Anzahl gab, glichen wandernden Mumien. Ein langes loses Kleid von dunkelgrünem Zeug bedeckt sie vom Nacken bis zu den Füßen; darüber tragen sie ein breites Stück Musselin, um Schultern und Arme gewickelt, und ein anderes, das Kopf und Augen bedeckt. Alle diese Hüllen entstellen Gestalt und Bildung so sehr, daß jeder Rang darunter verborgen wird. Ich kenne kein Land, wo die Frauen einer größeren Freiheit, geschützt gegen jeden Vorwurf, genießen, als hier. Ein türkischer Ehemann, der ein Paar Pantoffeln an der Thüre seines Harems sieht, darf nicht hieneingehen; seine Achtung für das Geschlecht hindert ihn hineinzutreten, wenn eine Fremde hier zu Besuch ist. Wie leicht ist es nur, daß ein Mann als Frau verkleidet sich zu einem solchen Besuch hineinschleicht!
Wäre ich geneigt gewesen, auf die Straße zu gehen, so hätte ich sicher eine gleiche Kleidung getragen; hätte man mich auch erkannt, so hätte das nichts zu sagen gehabt, denn die türkischen Weiber reden sich nie bei ihrem eigenen Namen an.
Wenn ich ausging, hatt ich stets des Botschafters Sänfte, die von vier Türken getragen wird, und unsern Tragsesseln ähnlich ist, nur daß sie stark vergoldet und bemalt war. Zwei Janitscharen gingen voraus mit hohen Pelzmützen, denn alle Gesanften erhalten von der Pforte Janitscharen, zu ihrer Sicherheit. Ich fürchtete jeden Augenblick von den Türken niedergeworfen zu werden, so tölpisch waren die Kerls.
Craven, Elizabeth
Denkwürdigkeiten der Markgräfin von Anspach in zwei Bänden
Band 1, Stuttgart 1826