Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1521 - John Major
Über wilde und sesshafte Schotten

 

In Schottland sind die Häuser der Landbevölkerung klein wie Hütten, und der Grund dafür ist folgender: Sie haben kein dauerndes Bleiberecht, sondern mieten oder pachten Land für vier oder fünf Jahre, wie es dem Grundherrn gefällt. Deshalb trauen sie sich nicht, gute Häuser zu bauen, obwohl es Stein im Überfluss gibt. Sie pflanzen auch keine Bäume oder Hecken um ihre Gärten und düngen auch den Boden nicht. Und das bedeutet keinen kleinen Verlust für das ganze Reich. Wenn die Grundherren das Land auf Dauer vergeben würden, könnten sie doppelt und dreifach über das profitieren, was sie jetzt erhalten, und zwar aus folgendem Grund: Die Leute auf dem Land würden ihren Boden unvergleichlich viel besser kultivieren, sie würden reicher und würden schöne Häuser bauen, die dem Land zur Zierde gereichen würden. Und es würden auch nicht die Schlachtereien stattfinden, die der Vertreibung von Pächtern folgen. Wenn der Grundherr jemandem anders die Hofstelle eines unangenehm aufgefallenen Mannes übergibt, wird der Vertriebene den angreifen, als ob er der Busenfreund des Grundherrn wäre. Die Herren müssten auch nicht befürchten, dass ihre Vasallen nicht mehr mit ihnen gegen ihre Feinde streiten würden; diese Furcht ist unbegründet. Für König und Reich ist es viel besser, wenn ein Vasall nicht auf ein bloßes Kopfnicken seines Herrn auszieht, sondern wenn mit Gerechtigkeit und Gelassenheit alle Fälle überlegt behandelt werden. Man kann auch Gesetze erlassen, nach denen unter Androhung des Verlustes der Pacht ein Vasall sich an den Streitigkeiten seines Herrn beteiligen muss. Die Bereitwilligkeit der Vasallen, einen Streit des Herrn zu ihrem eigenen zu machen, endet häufig in Wahrheit damit, dass der Stammesherr selbst im Exil endet.
   In beiden britischen Königreichen beruht die kriegerische Stärke der Nation auf dem gemeinen Mann und der Landbevölkerung. Die Bauern pachten ihr Land von den Grundherren, bestellen es aber durch ihre Bediensteten und nicht mit eigener Hand. Sie verfügen über ein Pferd und Waffen und sind bereit, sich für jede gerechte oder ungerechte Sache eines mächtigen Herrn einzusetzen, wenn sie ihn nur schätzen, und wenn es sein muss, kämpfen sie bis in den Tod. Die Bauern haben noch einen anderen Fehler: Dass sie ihren Söhnen kein Handwerk beibringen. Schuhmacher, Schneider und alle diese Leute verachten sie und halten sie des Kriegshandwerks für unwürdig. Deshalb erziehen sie ihre Kinder dazu, bei den hohen Adligen in Dienst zu gehen oder wie ihre Väter auf dem Lande zu leben. Auch Stadtbewohner halten sie nicht für den Krieg geeignet. Und es ist wahr, dass sie selbst darin besser sind und sich als viel kühnere Soldaten erweisen. Auch wenn sie ihr Land nicht selbst bebauen, so haben sie doch ein aufmerksames Auge auf Bedienstete und Haushalt und reiten aus mit den benachbarten Adligen.
   Der Adel hat nach meiner Meinung zwei Fehler. Der erste ist, dass, wenn zwei Adlige gleichen Ranges nächste Nachbarn sind, Streitigkeiten zwischen ihnen und sogar Blutvergießen an der Tagesordnung sind, und auch ihre Gefolgschaft kann nicht ohne Streit leben. Der zweite ist, dass die Kinder weder in Hinsicht auf Wissen noch auf Moral erzogen werden. Sie sollten nach gelehrten Männern suchen, die etwas von Geschichte verstehen und ein aufrechtes Wesen haben, und diesen die Erziehung ihrer Kinder anvertrauen, sodass die schon in zartem Alter die rechten Gewohnheiten entwickeln und im reiferen Alter wie vernünftige Männer handeln können. Mit Gerechtigkeitssinn, Mut und allen Formen der Besonnenheit für das tägliche Leben sollten sie bestehen, und die entgegengesetzten Untugenden als niedrig und gemein ablehnen. Adlige Nachbarssöhne würden es dann nicht mühsam finden, in Frieden zusammenzuleben. Sie würden die Ruhe des Staates nicht stören und sich im Krieg als nicht weniger tapfer erweisen.
   Weiterhin finden wir genau so wie zwei verschiedene Sprachen zwei verschiedene Lebensweisen. Denn manche sind geboren in den Wäldern und Bergen des Nordens, und diese nennen wir Leute des Hochlandes, und die Anderen sind die Leute des Unterlandes. Ausländer nennen die Ersteren die wilden Schotten, die Letzteren die sesshaften Schotten. Erstere benutzen die irische Sprache, Letztere die englische. Die Hälfte Schottlands spricht irisch, und zusammen mit den Inselbewohnern zählen wir sie zu den wilden Schotten. Nach Kleidung und den Äußerlichkeiten ihres Lebens und nach ihrer Geisteshaltung zum Beispiel kommen sie nach den sesshaften Schotten, sie sind aber nicht weniger bereit, eher williger, zu kämpfen. Wegen ihrer Herkunft aus nördlichen Gegenden und aus Bergen und Wäldern ist ihre Natur kämpferischer. Bei den sesshaften Schotten findet man die Regierung und Leitung des Reiches, denn sie verstehen staatliches Wesen besser oder zumindest weniger schlecht. Ein Teil der wilden Schotten ist reich an Rindern, Schafen und Pferden; dieser Reichtum und der Gedanke an dessen möglichen Verlust macht sie gehorsam gegenüber Recht und König. Ein anderer Teil lebt für Jagd und Muße. Ihre Häuptlinge folgen schlechten Männern, wenn es nur nicht mit Arbeit verbunden ist. Da sie sich keine Mühe geben, ihren Lebensunterhalt selber zu verdienen, leben sie von anderen und folgen lieber nichtsnutzigen und tollkühnen Herren bei deren bösen Taten, als einem ehrenwerten Gewerbe nachzugehen. Sie streiten dauernd, und Krieg ist eher der normale Zustand als der Frieden. Die schottischen Könige haben nur unter Schwierigkeiten Übergriffen dieser Männer standhalten können.
   Von der Mitte des Beines bis hinunter zum Fuß sind sie unbekleidet. Ihre Oberbekleidung besteht aus einem losen Tuch und einem safrangelben Hemd. Sie sind bewaffnet mit Pfeil und Bogen, Breitschwert und kleiner Hellebarde. Im Gürtel tragen sie immer einen Dolch mit einseitiger Klinge, der aber sehr scharf ist. Im Krieg bedecken sie ihren ganzen Körper mit einer Rüstung aus Eisenringen, und darin kämpfen sie. Der normale Soldat unter den wilden Schotten geht in die Schlacht mit einem leinenen Rock über dem ganzen Körper, das aus Stücken zusammengesetzt und mit Wachs oder Pech bestrichen ist; darüber trägt er einen Überrock aus Hirschfell. Die normalen Soldaten bei den sesshaften Schotten und den Engländern tragen im Kampf wollene Kleidung.
   Als Musikinstrument und zur Begleitung von Gesang benutzen die wilden Schotten eine Harfe, deren Saiten aus Metall und nicht aus Darm bestehen, und damit machen sie sehr angenehme Melodien. Unsere sesshaften Schotten, oder die ruhigen und gesetzten Leute, also alle, die ein anständiges und vernünftiges Leben führen, hassen diese Leute wegen der anderen Sprache genauso wie die Engländer.

 

Major, John
A history of Greater Britain
Edinburgh 1892
Übersetzung: U. Keller

Abgedruckt in:
Ulrike Keller (Hrg.)
Reisende in Schottland seit 325 v. Chr.
Wien 2008

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!