1799 - Guiseppe Acerbi, italienischer Reisender
Das Paradies von Alta / Alten
Norwegen
Den andern Tag erreichten wir endlich die Wohnung eines norwegischen Kaufmanns, die ganz allein das Dorf Alten ausmacht, nach welchem wir uns so lange gesehnt hatten.
Indem wir uns dem Hause des Kaufmanns näherten, erblickten wir auf einer nahen Weide zwei oder drei Pferde. Diese Thiere hatten wir nun schon auf einem Wege [durch Finnland und Lappland] von 125 deutschen Meilen [1 Meile = 7,5 km] nicht mehr zu Gesicht bekommen, und ihr Anblick überzeugte uns daher, daß wir uns der Wohnung eines Mannes näherten, der hier fremd und aus einem zivilisierten Lande gebürtig sein müßte. Das Haus lag auf einer Anhöhe, und auf der einen Seite desselben übersah man die ganze Reihe der gegenüber liegenden Gebirgskette, nebst den Schneemassen womit sie beständig bedeckt sind; auf der andern Seite hatte man die Aussicht auf das Eismeer, das sich hier in Gestalt eines beträchtlichen Meerbusens in das Land hinein erstreckt, und in dessen Nähe das Haus des Kaufmannes erbaut ist. Wir waren unaussprechlich erfreuet, das Ziel unserer Reise, wo alle unsere Beschwerlichkeiten ein Ende nehmen sollten, in einer so geringen Entfernung vor uns liegen zu sehen. Die schöne Farbe des Meeres und die glänzend helle Durchsichtigkeit seines Wassers war uns ein höchst angenehmes Schauspiel; allein nichts kommt dem entzückenden Gefühle gleich, das der Gedanke, unsere gewagte Unternehmung bis hierher glücklich durchgesetzt zu haben, in uns hervorbrachte. Überdies machten die mit Schnee bedeckten Berge und der Name Eismeer, bei einer Hitze, die wenigstens eben so stark als in Italien war, einen so auffallenden und seltsamen Kontrast mit einander, daß unsere Einbildungskraft diese ganze Gegend für etwas Außerordentliches halten mußte, was man in keinem andern Lande des Erdbodens mehr antreffen würde. Selbst in dem Gedanken, das Eismeer erreicht zu haben, lag etwas Großes und Erhabenes. Um ihn ganz zu genießen und wesentlich zu benutzen, faßten wir den Entschluss, uns in die Wellen des Meeres hineinzustürzen und unsere erschöpften Kräfte durch ein Bad wieder zu ersetzen. Der Kaufmann warnte uns zwar, dies nicht zu thun, weil wie er sagte, aus Furcht vor Haifischen niemand hier zu baden pflege: allein wir wagten uns auf gutes Glück in das Wasser hinein. Dieses war jedoch so unerträglich kalt, daß wir es kaum einige Minuten darin aushalten konnten, und daß, ehe wir es noch verließen, unsere Beine schon in einem solchen Grade erstarret waren, daß sie uns kaum mehr an den Strand hinzutragen vermogten.
Nachdem wir uns hierauf reinlich angezogen und rasirt hatten, was seit sechs Tagen nicht mehr geschehen war, so wurden wir zum Mittagessen gerufen; wie groß war nun unser Erstaunen, als wir sechs verschiedene Gerichte, und für jede Person eine Flasche Wein auf dem Tische stehen sahen. Dieser Anblick war uns so in der That weit erquickender, als der von dem Eismeere, und nach Tische fanden wir uns durch den Wein weit besser gestärkt, als wir es durch das Seewasser geworden waren. Wir glaubten jetzt in einem bezauberten Pallaste, in einem Paradiese, in Elysium zu seyn. Alles fanden wir gut, alles köstlich, und der Hunger, womit wir die Speisen verzehrten, machte unsere Mahlzeit zu einer der köstlichsten unsers Lebens.
Der Kaufmann war verheiratet, und seine Frau war eine vortreffliche Haushälterin, besonders aber eine sehr geschickte Köchin. Sie hatten einen Jungen, der bei Tisch aufwartete, und die Gesellschaft wurde noch durch den Amtmann in diesem Distrikte von Lappland vermehrt, der nach dem Tode seiner Frau, der Gesellschaft wegen, hierher gezogen war, und bei dem Kaufmann lebt. Es war ein wackerer, äußerst lustiger Mann, und wurde nicht nur von der Familie, sondern auch von allen Einwohners des Distriktes äußerst geschätzt. Wir lebten in diesem Hause so bequem und angenehm, daß wir nur ungern anfingen, von der weitern Fortsetzung unserer Reise nach dem Nordkap zu sprechen
Acerbi, Guiseppe
Reise durch Schweden und Finnland, bis an die äußersten Gränzen von Lappland, in den Jahren 1798 und 1799
Berlin 1803