Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1821 - George Waddington, Geistlicher auf Reisen
Die Pyramiden von Dejebel el Berkel: Die Entdeckung von Napata
Sudan

 

Die Pyramiden stehen auf der West- und Nordwestseite des Berges, und sind an der Zahl 17. Sie stehen sämmtlich den ägyptischen an Größe nach, und einige sind nur noch gestaltlose Schutthaufen. Die Basis der größten mißt 81 Fuß in‘s Gevierte, allein sie hat den Zahn der Zeit zu stark erduldet, als daß sich über ihre Höhe etwas Gewisses angeben ließe. Die in ihrer unmittelbaren Nähe stehenden Pyramiden sind noch weit unbeträchtlicher; eine hält an der Basis 34, die übrigen, an denen eine Messung möglich war, kaum 20 Fuß ins Gevierte.
   Eine andere Gruppe, welche von dieser etwa 300 Ellen nördlich liegt, hatte Gegenstände von höherem Interesse aufzuweisen. Die erste oder nördlichste Pyramide, von deren Spitze aus ich die Umgegend aufnahm, ist fast unversehrt, und mißt 36 Fuß ins Geviert und 40 Fuß in der Höhe. Die zweite, welche nur 10 Ellen südwestlich von der erstern liegt, hielt an der Basis und in der Höhe etwa 2 Fuß mehr. Sie zeichnet sich von jeder durch ein an der südwestlichen Seite angebrachtes Anhängsel oder Gemach aus, das 15 Fuß Länge und ein gewölbtes Dach hat, welches größtentheils eingestürzt ist. Seine Breite beträgt da, wo das Gewölbe aufsitzt, fast 6 Fuß. Der mittlere Theil der durchbrochenen Wände war aus Mörtel und kleinen Steinen aufgemauert, und der Porticus ist fast ganz durch Sand verschüttet.
   Die dritte Pyramide, die gegen 34 Fuß an der Basis und 48 Fuß Höhe mißt, hat gleichfalls einen gewölbten Porticus, der noch unversehrt und 6 ½ Fuß weit ist. Gerade unter dem Anfang des Bogens ist eine Procession von kleinen Gestalten angebracht. Am Ende der rechten Wand sieht man die in Ägypten so gewöhnliche Gestalt mit den ausgebreiteten Flügeln, welche 3 Fuß hoch ist; neben ihr stehen zwei andere, noch etwas größere. Drei ähnliche Figuren, welchen diesen entsprechen, findet man auf der andern Seite. Das Gewölbe ist nicht mit Sculpturen versehen. Rechts, vor dem Porticus, sind die Grundlagen von fünf kleinen Säulen dicht nebeneinander. Vor demselben sind Ruinen, die einem kleinen, jetzt verfallenen Gemach anzugehören scheinen. An der Vorderseite dieser Pyramide sieht man, nahe bei ihrer Spitze, drei runde Löcher von unbeträchtlicher Tiefe, in welchen irgendeine Verzierung mit starkem Kitt befestigt war. Noch befindet sich in dem einen ein Stück Granit. Ein solches Loch ist gleichfalls an der zweiten Pyramide bemerkbar. Die vierte, welche 54 Fuß südöstlich von der dritten steht, ist ein wenig größer, und mißt 52 Fuß an der Basis, in der Höhe 53 Fuß. Sie hat gleichfalls einen (8 Fuß breiten) Porticus, aber mit einem platten Dach, der sehr beschädigt und mit Sand gefüllt ist. Die fünfte Pyramide ist von allen am besten erhalten. Ihr Porticus hat gleichfalls ein flaches Dach, und dieselben Dimensionen wie die der dritten Pyramide. Er ist auf ähnliche Weise verziert, und die Sculpturen scheinen sogar mit mehr Sorgfalt als jene ausgeführt zu seyn. Ein Theil der Hinterwand ist so behauen worden, daß er wie eine Thür aussieht, die dem Eingange gegenüber in das Innere der Pyramide führt. Dieß hat in irgend einem Zeitalter die Neugier oder den Geiz der Eingeborenen gereizt, und man hat einige Steine aus der Mauer herausgebrochen. Statt eines Ganges in das Gebäude haben sie nur das massive Innere der Pyramide entdeckt, nach deren Vollendung der Porticus wahrscheinlich erst als eine Kapelle angebaut wurde, um das Ganze zu heiligen. An den Pyramiden selbst ist keine Bildhauerei angebracht: und nach der Architektur und den Baumaterialien (schöner Sandstein) zu schließen, sah ich keinen Grund, warum angenommen werden müsse, daß diese kleinen Tempel aus einem späteren Zeitalter herrührten, als die Gräber, mit denen sie in Verbindung stehen. Über der Scheinthür ist das heilige Boot in Stein gehauen. Rechts im hinteren Winkel ist die Gottheit abgebildet, auf einem Stuhle sitzend, der von einem Löwen getragen wird. In der Rechten hält sie einen Bogen, wie ihn die Flüchtlinge in dem ausgehöhlten Tempel zu Calabsche und anderen Tempeln sowohl in Nubien als Ägypten führen. Was er zugleich mit dem Bogen hält, konnten wir nicht ausmitteln, vielleicht ein musikalisches Instrument. Der Zeig in der Linken gleicht dem einer Palme, die daran befindlichen Blätter denen des Dumbaumes. Die kleine geflügelte Gestalt steht, in derselben Lage und Größe wie in dem Porticus der dritten Pyramide, hinter dem Gotte, dem eine andere kleine Figur ein  Opfer darbringt. Hinter der letztern tragen viele kleine Gestalten Zweige von derselben Art herbei, wie der, welchen der Gott in der Hand hält, zugleich Hasen, Vögel und Gefäße. Einige derselben sind weiblichen Geschlechts, und haben eine Art Schemel vor sich, auf welchem sie irgend eine Art Arbeit verrichten. Die Hauptfiguren auf der linken Seite sind denen auf der andern sehr ähnlich: die kleineren dagegen stellen fast lediglich Weiber vor, die sich, ihrer Beschäftigung wegen, nach den Sesseln herabbücken. Auch auf der anderen Seite sind Gestalten, die sich bücken, aber im Ganzen nicht so tief geneigt sind. Das Ganze war einst übermalt, und rief uns das Hauptgrab zu Eilythyia in Oberägypten lebhaft ins Gedächtniß zurück; und obgleich es an Mannigfaltigkeit und Interesse der Gegenstände sich nicht mit jenem messen kann, so steht es ihm doch keineswegs, in Bezug auf den Styl, in welchem sie ausgeführt sind, nach, sondern hat hierin noch den Vorzug der Grazie. Da der Pascha uns unbedingt verboten hatte, Arbeitsleute bei den Pyramiden anzustellen, so durften wir diesen Porticus nicht von Sand reinigen lassen, wie wir es sonst gethan haben würden. Es war zwar nicht in dem Grade verschüttet, wie die übrigen, allein doch immer genug, um dessen Untersuchung äußerst mühsam zu machen.
   Es stehen noch mehrere Pyramiden in der Nähe, von denen nichts Merkwürdiges zu erwähnen ist. Nur die siebente, deren Basis 54 Fuß in’s Geviert mißt, ist, wie eine von denen in Saccara, in drei Stockwerken erbaut, liegt aber jetzt fast ganz in Trümmern. Der Sandstein, aus welchem die Pyramiden erbaut sind, ist von schönerer und festerer Qualität als der, welchen man bei der Errichtung der Tempel benutzt hat. Drei bis vier davon haben von der Zeit wenig gelitten, und gegen den Gipfel der zwei vollkommensten hin, bemerkten wir ein ebenes Dach, wie man es an der zweiten Pyramide zu Dijza bemerkt.
   
   Die Pyramiden von El Bellal liegen auf dem linken Nilufer, sechs bis sieben Meilen stromaufwärts von Djebel el Berkel, auf einer felsigen, mit Sand umgebenen Stelle.
   Den Grundriß nahm ich von der Spitze der mittelsten auf, um welche die übrigen in ziemlicher Entfernung eine unregelmäßige Linie beschreiben. Es sind deren nahe an 40 von verschiedener Größe, und unter denselben nahe an 40 von verschiedener Größe, und unter denselben 11 größere als irgend eine von den zu Djebel el Berkel noch stehenden. Die übrigen sind meist zu bloßen Hügeln von verwitterten Steinen, Kies und Sand herabgesunken. Die größte und merkwürdigste ist 220 Fuß in’s Gevierte, und ihre Höhe 103 Fuß 7 Zoll. Sie ist stockwerkweise gebaut, allein das Merkwüdigste an ihr ist, daß sie in ihrem Bauche eine andere Pyramide von verschiedenem Alter, Material und Architektur enthält. Dieß innere Gebäude, welches in dem andern wie in einem Futteral steckt, scheint etwa zwei Drittel des ganzen Volumens zu begreifen, und ist schön gebaut. Das Material dazu ist ein harter, hellgefärbter Sandstein, der dauerhafter ist als der, welcher jenen Jahrhunderte lang schützte, und jetzt verwittert herabgefallen ist. Vielleicht hat ein König von Äthiopien, der auf den Ruhm einer seiner Vorfahren eifersüchtig war, dessen Monument überbaut, um sich selbst dadurch eins zu stiften.
   An Größe folgen auf diese Pyramide dergleichen von 88, 86, 85 und 82 Fuß in‘s Gevierte: die erhabenste derselben ist fast 74 Fuß hoch. Die Länge des Raumes, auf welchem sämmtliche Pyramiden zusammenstehen, beträgt etwa 1.000 Fuß. Sie schienen aus höherem Alterthume zu stammen als die von Djebel el Berkel, und sind im Ganzen übler conditionirt als die verfallensten zu Saccara, welches zum Theil auf Rechnung des weicheren Materials gesetzt werden. Viele derselben sind zu bloßen Haufen von Quarz und anderen Steinen herabgesunken; und selbst die besser erhaltenen haben den Jahrhunderten, die über sie dahin zogen, so schwach widerstanden, daß die äußere Bekleidung, welche einige der größten dem Ansehen nach bedeckte, sich ganz abgebröckelt hat, und selbst die Lagersteine an vielen Stellen bis ziemlich tief in das Innere heruntergefallen sind. Statt Mörtels scheint man Lehm benutzt zu haben. Aus einigen gewaltigen Steinen, die wir neben einer der östlichen Pyramiden fanden, schlossen wir, sie müsse nach Südosten hin einen Eingang gehabt haben; doch standen uns leider die Mittel nicht zu Gebote, uns über diesen Punkt Gewißheit zu verschaffen.
   Es bleibt mir jetzt nur noch übrig, den Namen der alten Stadt, welcher die eben beschriebenen Ruinen angehören, mit einiger Wahrscheinlichkeit zu bestimmen.
   Hielten wir den Namen des Königreiches (Merawe), in welchem wir sie fanden, und die halbinselähnliche Gestalt des Landes, welches auf drei Seiten vom Nil umflossen wird, mit der bei Herodot angegebenen Entfernung von Syene [Assuan] zusammen, so gaben wir einen Augenblick der Hoffnung Raum, daß es uns wirklich geglückt sey, die Ruinen von Meroe zu schauen. Doch als wir die alten Autoren verglichen, gaben wir unsere zu voreilig gefaßte Hoffnung bald auf. Dem berühmten Entdecker des blauen Flusses kann man wohl die geringere Ehre gönnen, die Lage Meroe‘s bestimmt zu haben. Die Ruinen, welche Bruce ein wenig nördlich von Schendy durchreiste, sind offenbar die Reste jener alten Stadt, und es wäre unnöthig, dessen Gründe für diese Behauptung hier zu wiederholen. Ich halte die Ruinen bei Djebel el Berkel für die Reste von Napata, welche zu Augustus Zeiten die Hauptstadt von Äthiopien war, und nach Ptolemäus in 20° 15‘ N.B. auf dem rechten Nilufer, unfern dem Winkel, den der Fluß daselbst macht, nach Plinius 511 Millien jenseits Syene lag. Letzterer giebt ihre Lage ein wenig weiter stromaufwärts, ersterer höher an, als sich die Ruinen von Djebel el Berkel befinden.


Waddington, George
Reise in verschiedene Gegenden Äthiopiens
Weimar 1823

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