Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1791 - George Hamilton, Schiffsarzt auf der Pandora
Die Suche nach den Meuterern der Bounty
Tahiti

 

Am 23. [März] morgens landeten wir in Matavay Bay auf der Insel Tahiti. Noch in der Morgendämmerung ruderte ein Eingeborener, sobald er uns erblickte, in seinem Kanu auf uns zu, kam an Bord unseres Schiffes, umarmte und küßte uns  und war fast wahnsinnig vor Freude. Von ihm erfuhren wir, daß sich verschiedene der Aufrührer noch auf der Insel befänden, daß aber Herr Christian und neun Mann schon längst mit der Bounty von Tahiti weggesegelt wären und die Einwohner überredet hätten, Kapitän Bligh habe sich zu Whytutakee niedergelassen, wo auch Kapitän Cook sich aufhalte. Über allen Ausdruck ging die Verwunderung des Eingeborenen, als er den Leutnant Hayward (der mit der Bounty auf Tahiti gewesen war) gewahr wurde, der sich anfangs versteckt hielt.
   Um elf Uhr vormittags fuhren die Leutnants Corner und Hayward mit sechsundzwanzig Mann in dem großen und dem kleinen Boot ab, um die Aufrührer im nordwestlichen Teil der Insel aufzusuchen. Gleich nach unserer Ankunft kam Joseph Coleman, Büchsenschmied der Bounty, an Bord, und bald hernach die beiden Seekadetten von jenem Schiffe. Im drei Uhr kam Richard Skinner vom Lande; und am 25. kehrten die Boote zurück, nachdem sie die [übrigen] Aufrührer am Ufer gejagt und ihr Boot weggenommen hatten. Die Aufrührer selbst aber waren auf die Berge geflohen, um bei Tamatrai (Tumatoroa), einem großen Erih in Parapa, Schutz zu suchen, welcher der eigentliche König von Tahiti war, und, wenn wir nicht gekommen wären, die Mannschaft der Bounty gebraucht hätte, gegen den usurpierenden König O-tu Krieg zu führen.
   Am 27. schickten wir mit unserer Pinasse eine Flasche Rum an den König O-tu, der sich mit seinen beiden Königinnen zu Tiarabu befand, und baten um die Ehre seiner Gesellschaft. Die Flasche Rum hob alle Bedenklichkeiten; schon am folgenden Tage besuchte uns die königliche Familie, und in ihrem Gefolge befand sich Oedidy, ein Erih, dessen Kapitän Cook besonders erwähnt.
   Bei dem ersten Besuch erlaubt ihnen ihr Ehrgefühl nicht, irgendein Geschenk anzunehmen; dadurch verlieren sie indes nichts: denn sie schicken hernach eine große Menge von ihrem Gefolge, welche Geschenke für sie erbetteln müssen.
   […]
   Leutnant Corner, der in früheren Jahren im Landdienst Offizier gewesen war, erhielt Befehl, sogleich mit einem Kommando landeinwärts zu gehen und den Aufrührern, wo möglich, den Weg nach den Bergen abzuschneiden. Er landete am nächsten Morgen auf Point Venus. Die Vornehmsten der Insel begleiteten ihn als Führer, und eine große Menge gemeiner Leute trug ihm seine Kriegsbedürfnisse über die Hügel nach. Diese Beihilfe war ihm umso nötiger, da er einen reißenden Strom, welcher vom Gebirge herabfällt, uns sich verschiedentlich schlängelt, auf seinem Zuge sechzehnmal zu durchwaten hatte. Dabei zeigte sich, um wie viel die Landeseinwohner stärker waren als die englischen Matrosen: denn jene kostete das keine Anstrengung; die Matrosen aber bedurften der Beihilfe, um sich der Gewalt des Stromes entgegenzustemmen. Bei dem allem mußten sie aber noch Seile und Taue aus dem Schiffe holen lassen, um auf gewisse fast unersteigliche Anhöhen zu kommen.
   Als das Kommando sich etwas ausruhte, äußerste der Leutnant gegen einen Eingeborenen den Wunsch, etwas zu essen zu haben. Dieser erwiderte, es sei viel fertiges Essen in der Nähe. Dann lief er sogleich zu einem nahe gelegenen Tempel oder gottesdienstlichen Orte, wo die Tahitier ihrem Gott täglich Speisen vorsetzen, und kam in vollem Lauf mit einem gerösteten Ferkel zurück, welches erst an eben dem Tage als Opfer dargebracht worden war. Der Leutnant wunderte sich über diesen auffallenden Mangel an Frömmigkeit; jener aber ließ sich das nicht anfechten und sagte: es ist noch mehr da, als der Gott essen kann.
   Es kostete viel Mühe, die Einwohner zurück zu halten, daß sie in den oberen Gegenden keine Plünderungen vornahmen, da sie im Begriff standen, mit den dortigen Einwohnern über das Erbrecht der Krone Krieg zu führen.
   Jetzt gelangte das Kommando zu dem Aufenthalt eines großen Erih, der es sehr gastfrei und freundschaftlich aufnahm. Nachdem er viel Essen und Trinken herbei geschafft hatte, führte er den Offizier zu dem Morai seines verstorbenen Vaters, ebenfalls eines Erihs. Herr Corner hielt es für nötig, diesen bedeutenden Mann durch jedes Zeichen von Achtung zu gewinnen; erließ daher das Kommando aufmarschieren und drei Salven über den Verstorbenen geben, der in seinen schönsten neuen Kleidern da lag. Aber unglücklicherweise steckte die brennende Patrone einer Muskete die papierene Kleidung des toten Herrn in Brand. Der Sohn geriet durch diesen unglücklichen Zufall in die größte Verlegenheit, da nach den Gesetzen des Landes ein Sohn, dem der Leichnam seines Vaters gestohlen oder auch vernichtete wird, seinen Titel und seine Besitzungen verliert und sie dem nächsten Erben abtreten muß.
   Zu eben der Zeit führte Leutnant Hayward ein Kommando zu Wasser und hatte einige der Vornehmsten, unter anderen den von Cook erwähnten Oedidy, bei sich, der auch mit diesem Kapitän eine Fahrt machte, und nachher von seinen Landsleuten für einen Lügner angesehen wurde, weil er versicherte, er hätte festes Wasser (Eis) gesehen. Auch begleitete den Leutnant Hayward ein Engländer namens Brown, den ein amerikanisches Schiff dort ausgesetzt hatte, weil er an Bord keine Ruhe halten konnte. Sonst war er ein heller, scharfsinniger, tätiger Kopf, der uns, sowohl bei dieser Expedition als auf unserer übrigen Reise, viele nützliche Dienste leistete. Er hatte über ein Jahr lang unter den Tahitiern gelebt und sich ihre Sitten und Lebensweise ganz zu eigen gemacht, so daß er sogar rohen Fisch aß und geröstetes Schweinefleisch in eine Kokosschale mit Seewasser tauchte, wie jene es tun, anstatt das Fleisch zu salzen.
   Er vermied allen Umgang und alle Gemeinschaft6 mit dem Schiffsvolk der Bounty, so daß er sich wohl genötigt sah, die Landessprache hinlänglich zu erlernen. Übrigens war er von einer viel dunkleren Farbe als die geborenen Tahitier.
   Kapitän Edwards ließ kein Mittel unversucht, die Freundschaft Tamatrahs, des großen Erihs vom oberen Distrikt, zu gewinnen und sandte ihm sehr beträchtliche Geschenke, die ihn bewogen, es wirklich mit uns zu halten.
   Jetzt verloren die Aufrührer alle Hoffnung einer Zuflucht. Die Eingeborenen drängten sie von hinten; Herr Hayward und sein Gefolge rückten von vorn auf sie los. Unter Begünstigung der Nacht hatten sie in einer Hütte des Gehölzes Schutz gesucht; aber Brown entdeckte sie auch hier: denn er kroch zu ihnen, da sie schliefen, und erkannte durch Anfühlen ihrer Fußzehen, daß sie keine Eingeborenen waren; bei Menschen, die keine Schuhe tragen, sind nämlich die Zehen auseinander gebreitet.
   Tags darauf griff Herr Hayward sie an; sie legten aber ihre Waffen nieder, ohne sich zur Wehr zu setzen. Man band ihnen nun die Hände auf den Rücken und brachte sie unter einer starken Bedeckung zu dem Boote.
   Während des ganzen Verlaufs kamen nur zwei Eingeborene um. Der eine ward in der Abenddämmerung, zwei Nächte bevor sich die Aufrührer ergaben, von einer unserer Schildwachen erschossen, nachdem ihr die Eingeborenen, die unserem Kommando mit großen Steinen zusetzten, schon zweimal die Muskete aus der Hand geworfen hatten. In dem Augenblick, wo der Erschossene fiel, eilten alle seine Freunde hinzu und trugen den Leichnam weg.
   Den anderen erschossen die Aufrührer, als sich vor einem Angriff der Eingeborenen auf einen Fluß retteten. Einer von ihnen traf das Weib oder die Dirne eines Aufrührers mit einem Stein; darüber ward der Mann so wütend, daß er den Beleidiger sofort zu Boden streckte.
   Man erbaute nun ein Gefängnis auf unserem Verdeck, damit die Aufrührer in sicherer Verwahrung und von unserem übrigen Schiffsvolk wären, aber doch freie Luft genössen, woher man ihnen den besten Platz im Schiffe einräumte. Sie wurden wie die übrige Mannschaft mit Speise, Getränk und allem versorgt, was man uns an Gewöhnlichem so reichlich mitgegeben hatte. Den Dienstgesetzen nach sollen zwar Gefangene nur zwei Drittteile der gewöhnlichen Portion bekommenn; aber Kapitän Edwards hatte Mitleid mir ihrer unglücklichen, unvermeidlich langen Gefangenschaft.
   Oripat, des Königs  Bruder, ein schrafsinninger, verständiger, kluger Erih, entdeckte, daß sich einige Eingeborene verschworen hatten, unsere Anktertraue zu kappen, wenn sich ein heftiger Wind auf der See erhöbe. So etwas war umso mehr zu fürchten, da viele Gefangene Töchter von angesehnenen Erihs der Gegend, wo wir vor Anker lagen, zu Weibern hatten. Ein solcher Schwiegervater, der sich Stewart nannte, besaß besonders viel Land an in der Nachbarschaft der Matavai Bay  und hatte nach Landessitte den Namen seines Freundes und Schwiegersohnes, der zur Bounty gehörte, angenommen.
   Der König O-tu, seine beiden Brüder und alle die vornehmen Erihs schienen sehr für unsere Sicherheit besorgt. Sie hielten, als wir die Gefangenen an Bord hatten, Nachtwache, gaben besonders auf unsere Ankertaue acht, und empfahlen den ausgestellten Posten ohne Unterlaß große Sorgfalt. Die Weiber der Gefangenen besuchten täglich das Schiff und brachten ihre Kinder mit, denen wir erlaubten, ihre unglücklichen Väter zu sehen. Es war ein rührender Anblick, als die armen Menschen in Ketten über ihre zarten Sprößlinge weinten. So lange wir dort blieben, versorgten ihre Weiber sie mit allem, was das Land Vorzügliches hervorbringt und bewiesen ihnen große Treue und Zuneigung.

 

Hamilton, George
Reise um die Welt in der Königlichen Fregatte Pandora … in den Jahren 1790, 1791 und 1792
Berlin 1794

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