1812 - Robert Bald
Im Kohlenbergwerk
Alloa, Schottland
Auf den Zechen, auf denen auch Frauen arbeiten, verlässt der Kumpel sein Haus gegen elf Uhr abends, begleitet von seinen Söhnen, wenn er welche hat, die alt genug sind, und geht zum Schacht – um diese Zeit begibt sich der Rest der Menschheit zu Bett. Sie beginnen damit, die Kohle von den Wänden zu hauen. Etwa drei Stunden später geht seine Frau zur Zeche, begleitet von ihren Töchtern, wenn sie welche hat, die alt genug sind. Vorher hat sie ihr Kleinkind in eine Decke gewickelt und es der Aufsicht einer alten Frau übergeben, die für geringe Bezahlung drei oder vier Kinder aufnimmt und ihnen, wenn die Mütter weg sind, Bier oder verdünnten Whisky zu trinken gibt. Die Kinder, die schon ein bisschen älter sind, werden von Nachbarn beaufsichtigt. Es überrascht, dass Kinder bei einer solchen Lebensweise überhaupt aufwachsen und sich entwickeln können.
Die Mutter, die nun ihre kleinen Kinder untergebracht hat, steigt mit ihren Töchtern in den Schacht. Jede hat einen Korb in passender Größe, den sie abstellt und in den die größeren Kohlenstücke gerollt werden. Das zu tragende Gewicht ist so groß, dass oft zwei Männer nötig sind, die Last auf den Rücken der Mutter zu heben. Sie geht als Erste los, mit einer brennenden Kerze zwischen den Zähnen; die Mädchen folgen ihr zum Schacht; mühsam und langsam steigen sie die Stufen hinauf, ab und an haltend, um Atem zu schöpfen, bis sie oben ankommen und die Kohle für den Verkauf abladen. So arbeiten sie acht oder zehn Stunden lang fast ohne Pause. Es kommt häufig vor, dass man sie vor Erschöpfung bitterlich weinen sieht. Aber sobald sie ihre Last abgelegt haben, werden sie wieder fröhlich und kehren singend in den Schacht zurück.
Die Leistung, die eine kräftige Frau so erbringt, übersteigt jede Vorstellungskraft. Wir haben zum Beispiel eine Frau beobachtet, die eine Korblast von wenigstens 77 kg übernahm, damit 150 m den unterirdischen Stollen entlang ging, im Schacht 40 m hoch stieg, und die Kohlen 20 m weiter zum Lagerplatz brachte. Und das tut sie mindestens 24-mal an einem Tag. Damit liegt die Tageslast einer Frau bei mehr als 1,8 Tonnen, und oft sind es bis zu 2 Tonnen. Der Arbeitslohn dafür beträgt acht Pence! Das ist fast so verblüffend wie die Leistung, die dahinter steht.
Die hier beschriebene Arbeit der Kohlenträgerinnen gibt uns eine Ahnung von der Sklaverei und dem Ausmaß der Plackerei, insbesondere, wenn man bedenkt, dass sie mit dieser Arbeit im Alter von sieben Jahren beginnen und häufig bis zum Alter jenseits der 50 oder auch bis 60 dabei bleiben.
Der Kumpel, seine Frau und die Kinder kehren nach der täglichen Arbeit nach Hause zurück, wo sie auch keine Bequemlichkeit erwartet. Ihre Kleidung ist häufig von Wasser durchtränkt und mit Schlamm bedeckt. Die Schuhe sind so schlecht, dass sie kaum diese Bezeichnung verdienen. So sind sie den Härten des Winters ausgesetzt, und in der Kälte sind ihre Kleidungsstücke häufig gefroren.
Kommen sie nach Hause, ist alles freudlos und ungemütlich. Das Feuer ist in der Regel aus, das Kochgeschirr ist schmutzig und nichts ist vorbereitet. Die Mutter holt erstmal ihr Kleinkind und kümmert sich darum, noch bevor sie ihre Grubenkleidung ablegt.
Bald, Robert
A general view of the coal trade of Scotland
Edinburgh 1812
Übersetzung: U. Keller
Abgedruckt in:
Ulrike Keller (Hrg.)
Reisende in Schottland seit 325 v. Chr.
Wien 2008