Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1789 - William Bligh
Die Bounty in Gefahr
Tahiti

 

Der Teil des Strandes, dem das Schiff am nächsten lag, war allmählich ein Ort des gemeinschaftlichen Verkehrs, zumal gegen Abend, geworden. Eine Stunde vor Sonnenuntergang fingen die Eingebornen an, sich daselbst zu versammeln und mit Lanzenwerfen, Tanz und andern Spielen sich die Zeit zu kürzen, bis es fast ganz finster wurde, worauf sie sich denn nach Hause begaben. Jeden schönen Abend waren wir Zuschauer und Teilnehmer an diesen frohen Auftritten. Den 6. Februar ereignete sich indeß etwas für mich äußerst Beunruhigendes, teils weil das Schiff dadurch mit Gefahr bedrohet wurde, teils aber auch wegen der Veranlassung, die sich daraus zur Schwächung des bisher so ununterbrochenen gegenseitigen Zutrauens und guten Vernehmens zwischen uns und den Eingebornen ergab. Es hatte die Nacht hindurch ein frischer Wind gewehet, und bei anbrechendem Tage sahen wir das Kabeltau, an welchem unser Schiff vor Anker lag, dicht an der Oberfläche des Wassers dergestalt durchschnitten, daß nur noch eine Flechte davon ganz geblieben war. Während wir das Schiff wieder in Sicherheit brachten, kam Teinah an Bord. Ich konnte unmöglich anders, als ihn an aller Mitwissenschaft um die Sache für völlig schuldlos halten; dessen ungeachtet redete ich ihn sehr hart an, und drang darauf, daß er den Täter entdecken und mir überliefern sollte. Was diese so boshafte Tat hatte veranlassen können, wußte ich auf keine Weise zu erraten. Mein Verdacht fiel hauptsächlich, oder ich kann wohl sagen gänzlich, auf die Fremden, die uns von andern Gegenden der Insel her besuchten; denn von den Bewohnern der Bezirke Matawai und Oparre hatten wir bei jeder Gelegenheit so treuherzige und ungeheuchelte Beweise ihres guten Willens erhalten, daß ich in meinem Herzen nichts gegen sie aufkommen ließ.
   Der Zorn aber, den ich hatte blicken lassen, wirkte gleichwohl so stark, daß O-Tau und seine Gemahlin (Teinah's beide Alten) sogleich Oparre verließen und nebst Tippahu und dessen Familie mitten im stärksten Regen in das Gebirge flohen. Teinah und Iddiah blieben zurück, und stellten mich über die Unbilligkeit meines Zorns zur Rede. Er wolle, sagte er, das äußerste anwenden, um den Schuldigen zu entdecken; allein vielleicht stehe es nicht in seiner Macht, ihn ausgeliefert zu bekommen, und dies werde der Fall sein, wenn er entweder nach Tiarrabu, Attahuru oder der Insel Eimeo gehöre; die Tat könne eben sowohl aus Feindschaft gegen die Einwohner von Matawai und Oparre, als gegen mich, geschehen sein, da meine Freundschaft für sie allgemein bekannt wäre und ich erklärt hätte, daß ich sie gegen ihre Widersacher beschützen wolle. Ich war schon im voraus gestimmt, dies alles zu glauben, hielt es aber für gut, den Anschein zu vermeiden, als ob ich dadurch zufrieden gestellt sei, damit Teinah nicht aus angeborner Indolenz in seinen Bemühungen, den Täter aufzuspüren, lässig werden möchte. Um auch meinerseits gegen künftige Versuche dieser Art bestmöglich auf der Hut zu sein, ließ ich eine Art von Gerüst auf dem Vorderkastell errichten, damit die Kabeltaue unmittelbarer unter dem Auge der Schildwacht blieben, und erteilte den Befehl, daß künftig ein Midshipman (Seekadett) daselbst Wache halten sollte. Nachmittags kam Oripaiah von Tethuroa zurück, und erzählte mir, daß er und Moannah bei dem schlimmen Wetter mit Not dem Untergange entronnen wären; Moannah habe sich sogar nach Eimeo retten müssen. Es waren auch kürzlich einige Kanots auf ihrer Überfahrt von oder nach Tethuroa verloren gegangen. Das Umschlagen eines Kanots ist in solchen Fällen nicht die einzige Gefahr, der die Insulaner ausgesetzt sind; viele von ihnen werden ein Raub der Haifische, die es in der hiesigen Meeresgegend sehr häufig gibt. Auch erzählte man mir, daß noch eine andere Art Fische, die ich nach ihrer Beschreibung für eine Barrakuta (eine in Westindien unter diesem Namen bekannte Gattung von Raubfischen, die noch nicht genau von systematischen Naturforschern beschrieben ist; vielleicht gehört sie zu der Hecht-(Elox) Gattung. G. F.)  halte, sie zuweilen anzufallen wagt.
   Der ganze 7. Februar verstrich, ohne daß Teinah sich sehen ließ. Am folgenden Morgen kam er mit Iddiah zu mir; sie versicherten mich, daß sie die schärfste Untersuchung angestellt, aber keinem Umstande auf die Spur kommen könnten, welcher zu irgend einem Verdachte gegen die Täter der an uns versuchten Gottlosigkeit geführt hätte. Ich war mit diesem Berichte sehr unzufrieden, und benahm mich daher gegen sie beide mit einer Kälte, die ihnen ans Herz griff. Endlich erleichterte Iddiah ihren Kummer durch einen Strom von Tränen. Jetzt konnte ich den Schein des Mißtrauens nicht länger beibehalten; ich begnügte mich also, ihnen ernstlich und nach dem Werte, den sie auf die Freundschaft des Königs von England setzten, die äußerste Sorgfalt in Aufsuchung der Täter zu empfehlen, welche sie ihrerseits treulich angelobten. Hierauf versöhnten wir uns, und es gingen an O-Tau und Tippahu Boten ab, um sie zur Wiederkehr einzuladen. Ich habe seitdem über diesen Vorfall nachgedacht, und mir ist eingefallen, daß der Versuch, das Schiff loszuschneiden und treiben zu lassen, höchstwahrscheinlich das Werk eines von unseren eigenen Leuten gewesen ist, deren Absicht, auf Tahiti zurück zu bleiben, ohne alle Gefahr für sie selbst, durch Strandung des Schiffes erfüllt worden wäre. Damals kam mir hiervon auch nicht das mindeste in den Sinn; denn ich hatte nicht die entfernteste Vermutung, daß unter meiner Mannschaft eine so allgemeine Neigung und eine so heftige Vorliebe für diese Inseln herrschte, welche sie sogar vermögen könnte, jeder Aussicht zur Rückkehr in ihr Vaterland zu entsagen.

 

Bligh, William
Aus dem Logbuch der Bounty
Berlin 1783
Nachdruck Hamburg 1963

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