Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1901 - Joachim Ringelnatz als Schiffsjunge
Der erste Landgang in Belize

 

Einmal ließ sich der Kapitän auch von Hermann und mir an Land rudern. Der Leichtmatrose war klein und schwächlich und ich im Rudern noch nicht sehr geübt. Wir strengten uns aber beide äußerst an und pullten den weiten Weg bis zur Anlegestelle in Belize mit solchem Eifer, daß ich mehrmals nichts sehen konnte, weil mir der Schweiß von der Stirn in die Augen lief. «Pullt, pullt, ihr Bengels!» feuerte uns der Kapitän an. Als wir dann gelandet waren, gab er uns einen Schilling, ermahnte uns, gut aufs Boot aufzupassen, bis er wiederkäme und entfernte sich darauf schwankenden Schrittes in der Richtung nach dem Gouvernementsgebäude. Nun stand ich allein mit Hermann in Belize auf festem Boden. Wir hatten bei einem freien Platz angelegt, der von schmucken sauberen Holzbauten mit grünen Fensterläden umgeben war. Nur ein steinernes Gebäude war sichtbar, und die auf dem Dach wehende englische Flagge kennzeichnete es als Gouvernementsgebäude. Es war auch Polizeistation. Auf dem Platz selbst stand eine ungeheure Wassertonne. Ein Schwarzer verkaufte dort Trinkwasser. In Belize war man auf das Trinkwasser angewiesen, das man während der Regenzeit in umfangreichen Fässern auffing oder von Wellblechdächern in alle möglichen Gefäße leitete.
   Es herrschte ein reges Treiben auf dem Platz. Schwarze, gelbe und auch weiße Menschen in bunten Kleidern, mit breiten Strohhüten spazierten umher oder gingen ihren Geschäften nach. Anscheinend war gerade Markttag.
   In einem geräumigen Schuppen wurden Fleisch und Obstwaren feilgeboten. Wir erstanden für einen Schilling: Zwei Ananas, ein Bund Bananen und verschiedene andere Früchte; die wir gleich probierten. Rest bargen wir im Boot, legten die Ruder und Ruderdollen unter die Sitze, überzeugten uns noch einmal, daß das Fahrzeug gut festgebunden war und bummelten nun durch die Straßen, um mit neugierigen Augen das Leben und Treiben dort zu beobachten. Zunächst begegneten wir einem langen schwarzen Soldaten mit geschultertem Gewehr, der vier gelbe Gefangene begleitete, die in Blecheimern Trinkwasser schleppten. Sie lächelten uns gemütlich zu. Dann lockten uns eine Menschenmen und der wiederholte Ruf «Going at», «Going at» zu einer öffentlichen Auktion. Es wurde gerade ein Fahrrad für 40 Dollar ausgeboten. Unter den Negern, die den Tisch umstanden und durch laute Zwischenrufe sehr störten, befanden sich mehrere Schauerleute, die tags zuvor beim Laden auf der «Elli» beschäftigt waren. Einer derselben stellte uns einen alten Herrn als Landsmann vor. «Sprichst du Deitsch?» wandte er sich an Hermann. «Jo, ik bin Hamburger Jung.»
   Der Herr war aus Ostpreußen, und zwar aus Memel, lebte schon 25 Jahre lang in Belize und versprach, uns gelegentlich an Bord zu besuchen. Wir hatten uns inzwischen unserer Jacken entledigt, denn Hitze an Land war noch weit drückender als draußen auf der Reede. So schlenderten wir wieder unserem Anlegeplatz zu. Der Wassermann auf dem Marktplatz verabreichte uns einen Trunk aus seiner Riesentonne gratis. Wir aßen gleich danach im Boot eine Unmenge Früchte, Cholera und Fieber verlachend.
Jetzt wäre vielleicht eine gute Gelegenheit zur Flucht gewesen. Hermann und ich besprachen das auch, aber wir kamen zu dem Resultat, daß wir unmöglich unsere ganzen Habseligkeiten so ohne weiteres im Stich lassen konnten. Mir persönlich lag eigentlich nur daran, mein angefangenes Tagebuch, meine Fotografien und einige sonstige Andenken an die Heimat mitzunehmen. Also ruderten wir wieder den Kapitän, der sehr spät und sehr betrunken vom Konsul kam, an Bord zurück.

 

Ringelnatz, Joachim
Mein Leben bis zum Kriege
Berlin 1931; Nachdruck Reinbek 1978

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