Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1784 - Barthélemy Faujas de Saint Fond
Über die Verwirrung der Töne: Der Dudelsack
Edinburgh

 

Adam Smith fragte mich eines Tages, ob ich ein Freund der Musik sei? Ich antwortete ihm, dass gute Musik eine wahre Wollust für mich sei. »Desto besser«, sagte er mir, »ich will Sie auf eine für mich sehr interessante Probe stellen; denn ich will Sie Musik hören lassen, wovon Sie sich unmöglich eine Vorstellung machen können, und es wir mir sehr angenehm sein, zu sehen, welchen Eindruck die auf sie macht.«
   Am nächsten Morgen war Smith schon um neun Uhr bei mir. Er führte mich um zehn Uhr in einen geräumigen Konzertsaal, der einfach verziert und voll von Menschen war. Ich sah aber weder Orchester noch Musiker oder Instrumente. So blieben wir über eine halbe Stunde in ungewisser Erwartung.
   In der Mitte des Saales befand sich ein großer leerer Raum, von Bänken umgeben, auf dem nur Mannspersonen saßen. Die Frauenzimmer waren in anderen Reihen verstreut. »Das sind«, sagte er mir, »die Richter des Wettstreites, der sich unter den Musikern erheben wird. Beinahe alle diese Herren sind Bewohner der schottischen Inseln oder Berge. Sie sind die geborenen Richter des Wettstreites; sie werden demjenigen einen Preis geben, der ein unter den Schotten sehr beliebtes musikalisches Stück am besten ausführen wird. Ich sage Ihnen im Voraus«, fügte er hinzu, »dass die Musiker, wie viele es auch immer sein mögen, immer nur dasselbe Stück spielen werden.«
   Einige Augenblicke später öffnete sich am Ende des Saales eine Flügeltür, und ich sah zu meiner großen Verwunderung einen Bergschotten in seinem römisch militärischen Kostüme hereinkommen, der den Dudelsack spielte und mit schnellen Schritten und martialischem Ansehen den leeren Raum der Länge nach durchlief, darauf wieder zurückkam, und auf diese Art zu gehen fortfuhr, wobei er die schreiendsten unharmonischen Töne aus einem Instrument hervorbrachte, die das Ohr zerreißen. Das Stück ist eine Art von Sonate in drei Teilen. Smith bat mich, meine ganze Aufmerksamkeit darauf zu richten und ihm nachher zu sagen, welchen Eindruck ich empfände.
   Aber ich gestehe, dass ich zuerst weder Melodie noch Sinn darin finden konnte. Ich sah nur den Dudelsackspieler, der immer schnell und mit derselben kriegerischen Miene hin- und herging. Er machte sowohl mit den Fingern als auch mit dem ganzen Körper unglaubliche Bewegungen, um die verschiedenen Rohre seines Dudelsacks auf einmal ins Spiel zu bringen, was ein unausstehliches Geräusch machte.
   Dessen ungeachtet erhielt er von allen Seiten großen Beifall. Ihm folgte ein zweiter Musiker, der gleichfalls, allein auf dem Kampfplatz, dieselbe Miene machte und ebenso stolz einherging. Er schien den anderen zu übertreffen, was ich nach dem Händeklatschen und Bravorufen urteilte, das von allen Seiten erscholl. Ernsthafte Männer und vornehme Damen vergossen Tränen nach dem dritten Teil des Stücks.
   Endlich, nachdem ich acht Virtuosen hintereinander gehört hatte, fing ich an zu mutmaßen, dass der erste Teil einen kriegerischen Marsch und militärische Bewegungen, der zweite ein blutiges Treffen darstellte, das man durch das Geräusch der Waffen, durch geschwindes Spiel und schreiende Töne darzustellen suchte. Der Virtuose schien dann in Zuckungen zu geraten; seine Gestikulation war gleich einem Menschen im Kampf; seine Arme, seine Hände, sein Kopf, seine Beine, alles war in Bewegung; die Töne des Instrumentes wurden alle zu gleicher Zeit gehört, verwirrten sich untereinander, und diese schöne Verwirrung schien jedermann lebhaft zu interessieren.
   Der Dudelsackspieler ging hierauf unmittelbar zu einer Art Andante über; seine Zuckungen hörten plötzlich auf; er war traurig, niedergedrückt, seine Töne klangen klagend und schmachtend; man beweinte die Toten und hob sie vom Schlachtfeld auf. Hier war es, wo Tränen das Auge der schönen Schottinnen badeten. Aber dies alles war so bizarr, so außerordentlich, die Eindrücke, die diese wilde Musik auf mich machte, waren so sehr von denen verschieden, die die Einwohner des Landes empfanden, dass ich überzeugt bin, dass man diese sonderbare Komposition nicht als der Musik, sondern der Geschichte zugehörig betrachten muss. Es ist nötig zu bemerken, dass man gar keine Spur der geschriebenen Sprache dieser Völker in Denkmalen oder Handschriften findet, was mich vermuten lässt, dass sie die für sie interessantesten Begebenheiten in solche Art von Gesängen brachten, die sich leicht von einem Geschlecht zum anderen aufbewahren ließen. Die Kinder, die von Jugend auf gewohnt waren, diese Melodien zu hören und darin den ihnen von den Eltern erklärten Sinn zu finden, behielten ein unauslöschliches Andenken daran, das ihnen bald heilig werden musste. Man darf sich also nicht wundern, wenn sie ein so großes Vergnügen an dieser Musik finden. Sie haben noch eine andere, singendere und mehr nach den Vorschriften der Kunst gebildete Musik, deren sie sich zu ihren Tänzen und Liedern bedienen. Diese halten sie aber weit geringer als die Erstere.
   Dasselbe Stück wurde von so vielen Virtuosen gespielt, als Wettstreiter da waren, und es gab deren eine ziemliche Menge. Es herrschte unter ihnen die vollkommenste Gleichheit; der Sohn des Grundherrn galt hier nicht mehr als der gemeine Schäfer, der oft vom gleichen Stamm war, denselben Namen und das gleiche Kostüm trug. Hier war an keinen anderen Vorzug als den durch Geschicklichkeit erworbenen zu denken. Dies ersah ich aus dem lebhaften Beifall, den man einigen gab, die in ihrer Kunst Vorzügliches zu leisten schienen. Ich gestehe, dass es mir selbst unmöglich war, irgendeinen von ihnen zu bewundern. Ich fand sie alle von gleicher Stärke, das heißt, den einen so schlecht wie den anderen. Und sowohl die Melodie wie auch das Instrument erinnerten mich unwillkürlich an einen Bärentanz.
   Die Sitzung wurde durch einen lebhaften, schnellen Tanz beendet, der von einem Teil der Musiker gespielt wurde, während der andere gemessene Melodien spielte, die Gesang und Charakter hatten; aber die Vereinigung aller dieser Dudelsäcke verursachte ein unerträgliches Lärmen.
   Die Truppe stellte sich dann in Reih und Glied auf und marschierte in Paaren durch einen Teil der Stadt, um sich nach einer alten Sitte an den Fuß des Kastells von Edinburgh zu begeben, das oben auf einem vulkanischen Felsen liegt. Hier spielten sie ein Stück, eine Art von Romanze der unglücklichen Mary Stuart zu Ehren, für die die Bergschotten wie die Bewohner der hebridischen Inseln eine Anhänglichkeit, ja eine Art von religiöser Verehrung behalten haben, die durch das unglückliche Schicksal dieser Königin nur noch vermehrt worden sind. Allemal, wenn sie von ihr reden, werden sie sehr erweicht. Sie sehen sie als unschuldig und als Opfer der grausamen Eifersucht der Königin Elizabeth an. Mary war ihre Königin; sie wissen, dass sie schön, sanft, leutselig und großmütig gewesen ist, dass sie die Künste geliebt, in einer langen, rührenden Gefangenschaft geschmachtet hat und mit Mut und Entsagung gestorben ist. Dies ist mehr als genug, um friedfertige Menschen zu interessieren, die durch Politik und die damit verbundenen Laster noch nicht verdorben sind, und die das Blutvergießen für irgendeine andere als gerechte Ursache und Verteidigung verabscheuen.
   Während die Musiker auf dem Schloss waren, beschäftigten sich die Richter, deren Verdienste abzuwägen, um demjenigen den Preis zuzusprechen, den sie dessen für würdig finden würden. Ein elfenbeinerner Dudelsack, ein schönes Gewehr, ein vollständiger Anzug oder ein anderer ähnlicher Preis wird jährlich dem Sieger zur Belohnung ausgeteilt.

 

Faujas de Saint Fond, Barthélemy
Reise durch England, Schottland und die Hebriden
Göttingen 1799
   
Abgedruckt in:
Ulrike Keller (Hrg.)
Reisende in Schottland seit 325 v. Chr.
Wien 2008

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