Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1842 - Ida Pfeiffer
Auf Rhodos

 

22. Mai 1842. Diesen Morgen liefen wir gleich nach fünf Uhr in den wunderschönen Hafen von Rhodos ein. Erst hier bekam ich die deutliche Vorstellung eines Seehafens. Von allen Seiten ist dieser Hafen von Mauern und Felsstücken umgeben, und nur eine Einfahrt von vielleicht hundertfünfzig bis zweihundert Schritten ist den Schiffen geöffnet. Da kann nun jedes Schiff ruhig liegen, mag der Sturm von außen auch noch so wüten; der einzige Nachteil ist, daß das Einlaufen selbst bei ruhiger See eine schwierige Aufgabe, bei stürmischem Wetter aber ganz unmöglich ist.
   An beiden Seiten des Hafeneinganges stehen runde Türme, ihn zu beschützen. Die ehrwürdige Johanniterkirche und der Palast des Komturs ragen hoch über Häuser und Festungswerke heraus.
   Der Schiffskapitän verkündete uns die angenehme Nachricht, daß wir von jetzt bis drei Uhr nachmittags die Stunden auf dem Lande zubringen könnten. Kleine Boote umschwärmten schon lange unser Schiff, und so verloren wir keinen Augenblick mehr, uns an das Land setzen zu lassen. Kaum die Erde betreten, hatten wir nichts eifriger zu tun, als nach der Stelle zu forschen, wo einst der berühmte Koloß gestanden haben mag. Wir konnten nichts ermitteln, denn weder unsere Bücher noch die hiesigen Menschen vermochten uns mit Bestimmtheit den Ort anzugeben. Wir verließen also die Küste, um uns dafür durch den Anblick der altertümlichen Stadt zu entschädigen.
   Diese Stadt ist mit dreifachen starken Festungswerken umgeben. Über drei Zugbrücken gelangten wir hinein. Sehr überrascht wurden wir durch die schönen Gassen, die wohlerhaltenen Häuser und die ganz vorzügliche Pflasterung. Die Hauptstraße, wo die Häuser der ehemaligen (Johanniter) Malteserritter stehen, ist breit; die Gebäude sind massiv von Stein, sie gleichen ordentlichen Festungen. Oberhalb der gotischen Tore prangen die Wappen samt der Jahreszahl in Stein gemeißelt. Das französische Wappen mit den drei Lilien und der Jahreszahl 1402 erscheint am häufigsten. Die Kirche und das Haus des Komturs stehen auf dem höchsten Punkte.
   Von außen sieht alles so gut erhalten aus, daß man glauben sollte, die Ritter seien nur ausgezogen, ihr Siegespanier auf das Heilige Grab zu pflanzen. Ausgezogen sind sie wohl - um in eine bessere Heimat einzugehen. Jahrhunderte wehen über ihrer Asche, die zerstreut in allen Teilen der Welt liegt. Doch ihre Taten sind gesammelt vor Gott und den Menschen, und bewundert leben sie fort im Angedenken der letzteren.
   Die Kirche, das Haus des Komturs und viele andere sind im Innern nicht halb so gut erhalten, wie der erste Anblick vermuten läßt. Dies kommt daher, weil der obere Teil der Stadt wenig bewohnt ist. Da herrscht eine schauerliche Leere und Stille. Wir konnten überall ruhig und ungestört herumwandeln, ohne von lästigen Neugierigen begafft oder beleidigt zu werden. Mister B., der Engländer, nahm einzelne Skizzen einiger Schönheiten, der gotischen Tore, Fensterwölbungen, Balken usw. in sein Handzeichenbuch auf, und kein Bewohner trat ihm störend entgegen.
   Das Pflaster in der Stadt und selbst in den Straßen, die sich um die Festungswerke ziehen, besteht aus lauter gleichen, schönen Kieselsteinen, oft von bunten Farben wie Mosaik und noch so gut erhalten, als ob diese Arbeit erst kürzlich beendet worden wäre. Freilich fährt hier kein belasteter Wagen, der die Steine zermalmt, denn der Gebrauch des Fuhrwerks ist in diesen Gegenden gänzlich unbekannt; alles wird von Pferden, Eseln und Kamelen getragen.
   Auf den Wällen stehen noch die Kanonen aus den Zeiten der Genueser. Die Lafetten sind äußerst plump und die Räder bestehen aus runden Tafeln ohne Speichen.
   Von diesem Standpunkt aus kann man die Ausdehnung und Stärke der Festung vollkommen übersehen. Drei hohe Wälle umgeben die Stadt, die so für die Ewigkeit gebaut scheinen, daß sie fast unbeschädigt in ihrer ganzen Pacht noch dastehen. An einigen Orten ist das lebensgroße Bildnis der heiligen Maria an den Mauern der Wälle ausgehauen.
   Die Umgebung ist reizend und gleicht einem wahren Lustpark. Viele Landhäuser liegen in diesem großen Naturgarten zerstreut. Die Vegetation ist so üppig wie in Smyrna [Izmir].
   Die Bauart der Häuser unterscheidet sich hier schon merklich. An vielen sind Türme angelehnt, und die Dächer sind flach und bilden lauter Terrassen. Alle sind aber aus Stein gebaut. Gar sonderbar kommen mir die mit großen steinernen Kanonenkugeln eingefaßten Straßen vor, welche im unteren Teil der Stadt liegen und meist von Juden bewohnt sind.
   Ebenso überraschend war für mich die Tracht des Landvolkes, das ganz schwäbisch gekleidet ist. Vergebens erkundigte ich mich nach der Ursache dieser Erscheinung - in den Büchern, die wir bei uns hatten, fand ich keinen Aufschluß darüber, und mit den Eingeborenen konnte ich nicht sprechen.
   Um drei Uhr nachmittags waren wir wieder an Bord, eine Stunde später segelten wir dem offenen Meer zu.

 

Pfeiffer, Ida
Reise in das Heilige Land
Wien 1995; Originalausgabe Wien 1844

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