Um 1800 - Thomas Garnett
Die Armut in Glencoe
Schottland
Es gibt in Glencoe einige ärmliche Hütten, die von Hirten bewohnt werden. Diese Hirten sind die Diener der reichen Pächter und leben hin und wieder auf den Pachtgütern zerstreut; denn seit die Schäfereien in einem vergrößerten Maßstab in diesen Gegenden eingeführt wurden, sind mehrere kleinere Güter in ein großes zusammengeworfen worden. Dies hat ohne Zweifel das Einkommen der Eigner vermehrt, da diese seitdem an einen einzigen Mann so viele Ländereien verpachten wir der nur immer besitzen kann; aber es hat dazu gedient, das Land zu entvölkern. Die Hirten, wie gesagt, sind Knechte der Pächter; sie erhalten statt des Lohnes eine Hütte, fünfzig Stein Hafermehl, ein kleines Stück Land für Kartoffeln, Grasung für zwei Kühe, und die Freiheit, einige wenige Schafe mit der Herde des Herrn zu weiden. Alle diese Emolumente können zu 14 bis 15 Pfund Sterling angeschlagen werden.
Aus diesen Zuflüssen ernährt der Hirt nicht selten eine starke Familie, wovon die meisten, wenn sie herangewachsen sind, auswandern müssen, um anderswo ihr Brot zu suchen. Wir sprachen in einer der Hütten ein, um uns über einige Punkte eine Auskunft geben zu lassen. Die Hausmutter hatte acht lebendige Kinder, die durch den Mann genährt und durch sie gekleidet werden; denn in den Hochlanden gehört das Verfertigen des Kleidungsstoffes in der Regelung zu der Competenz der Frauen. Statt des Deputates an Mehl haben manche neben der Hütte einen Streifen Acker, der mit Hafer besät ist. Die Kartoffeln gedeihen recht gut, und es wäre zu wünschen, daß die Eigner und wohlhabenden Pächter den Anbau dieser nützlichen Wurzel dadurch beförderten, daß sie die Hirten und Unterpächter mit gutem und tauglichen Gesäme versorgten. Ehe der Kartoffelbau im Lande eingeführt wurde, pflegten die Hochlande nicht selten von der schrecklichsten Hungersnot heimgesucht zu werden. Das nasse Wetter vereitelte oft gänzlich alle Hoffnung auf Ernte, das Korn verfaulte auf dem Schwad, und eine Not, wovon die Einwohner des südlichen Britannien gar keinen Begriff haben, war die Folge davon. Wird der Anbau der Kartoffeln noch ferner zunehmen, so muß das Land in Zukunft keinen gänzlichen Mangel mehr besorgen, da diese Wurzel von der Nässe vergleichsweise nur sehr wenig leidet. Dazu kommt noch, daß sie einer weit weniger mühsamen und umständlichen Zubereitung bedarf als das Korn, das erst gemäht, getrocknet, gedroschen, gemahlen und gebacken werden muß, ehe man es genießen kann.
Die Lebensart dieser Leute ist sehr einfach. Milch, Hafermehl und Kartoffeln, Fische aus dem Bach, Heringe aus dem Loch Fyne, dann und wann ein wenig Schaffleisch, das macht ihre ganze Nahrung aus. Noch suchen sie ein paar Schafe zu erübrigen, wofür sie das Wenige, was sie an Kleidungsstücken nicht selbst verfertigen, anschaffen. Wie gering sind doch der Menschen eigentliche Bedürfnisse!
Man behauptet, daß, obgleich durch das Verpachten der Schäfereien die Bevölkerung abgenommen, die Hirten doch im Ganzen behaglicher und sorgloser leben als ehemals die kleinen Pächter.
Garnett, Thomas
Reise durch die schottischen Hochlande und einen Teil der Hebriden
Wien 1825