Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1860 - Heinrich Brugsch, Ägyptologe und Diplomat
Teheran und die Teheraner

Iran

 

Da wir in der Stadt keine passende Wohnung gefunden hatten, so blieben wir bis Ende Mai in dem gastfreundlich angebotenen Hause mitten im schönen Rosengarten und schienen beinahe entschädigt für so manche Enttäuschung geträumter Hoffnungen auf unseren voraussichtlich längeren Aufenthalt in Persien und unter den Persern. Die Anlage, wie alle Rosengärten des Schah an der Straße gelegen, die von Teheran nach den Dörfern am Fuße des Elburs in nördlicher Richtung führt, war tagtäglich, besonders nach dem Nachmittagsgebet, von Persern, nie von Perserinnen besucht. Wir hatten somit die beste Gelegenheit, den Charakter der Teheraner nach manchen teilweise drolligen Seiten hin kennenzulernen. Mit den buntfarbigsten Gewändern bekleidet, meist in hellgrünen Röcken und purpurroten Beinkleidern, die schwarze Pelzmütze nach hinten über gesetzt, nachlässig mit einem Spazierstöckchen spielend, wie es die Stutzer bei uns zu tun pflegen, Rosensträuße in den Händen tragend, den Blick alle Augenblick nach der silbernen oder goldenen Uhr gerichtet, lustwandelten die schwatzenden und lachenden Söhne Teherans in den Gängen des Gulistan einher - gewöhnlich paarweise sich an der Hand haltend -, rissen die vollblättrigen Rosen von den Sträuchern herunter oder schlugen sie mit ihren Stöcken ab, daß die Blätter der persischen Lieblingsblume nach allen Seiten hin zerstreut auf den Wegen umherlagen. Andere hatten unter den schattigen Gebüschen einen angenehmen Ruheplatz gefunden oder saßen an dem großen Bassin, mit ihrem Kaliun [Wasserpfeife] beschäftigt und mit stierem Auge in das ruhige Wasser starrend. Teeverkäufer hatten auf kleinen, sauber gedeckten und mit Blumen geschmückten Tischen den Samowar neben einer Reihe zahlreicher Teetassen aufgestellt und versorgten die lebenslustige Perserwelt im Garten mit Tee und der unvermeidlichen Wasserpfeife. Man raucht, trinkt, musiziert, singt und scheint entzückt von dem trägen Leben im Gulistan. Die Poesie hatte aber auch ihre recht prosaische Seite; denn laut schreiende Esel und Rinder mischten sich in die Gesellschaft der Perser, rissen gemeinschaftlich mit ihnen Blumen, Blätter und reife Früchte von den Bäumen und wälzten sich behaglich auf dem Boden der mütterlichen Erde umher. Von dem Talar, der weiten Halle unserer großfenstrigen Wohnung aus, sahen wir diesem bunten Treiben mit Befriedigung zu, höchstens einmal erschrocken durch den rotjackigen Wachtposten, der, steckten wir den Kopf zum Hause hinaus, respektvoll das Gewehr präsentierte, sonst aber keine Veranlassung fand, die respektlosen Teheraner zu bedeuten, welche sich drei Schritte von unserer Wohnung entfernt entkleideten und, wie sie Gott geschaffen hatte, in das Wasser des Bassins hineinsprangen. Die glattrasierten Köpfe mit der koketten Seitenlocke hinter den Ohren überragten wie schwimmende Lotosblumen den Spiegel des Wassers und gewährten einen höchst unschönen Anblick.
   Die empfangenen und erwiderten Besuche von und bei Europäern und vornehmen Persern waren endlos. Ein jeder, der kam, natürlich zu Pferde, schleppte seinen ganzen Dienertross mit sich, da nach persischer Anschauung ein Mann um so vornehmer erscheint, je größer die Zahl der begleitenden Diener ist, und so vornehm als möglich zu erscheinen das Ziel aller Wünsche der persischen Eitelkeit ist. Wir selber mußten uns bequemen, dieser Sitte Rechnung zu tragen, und sehr bald bevölkerten die Räume unserer Wohnung zwanzig Diener, die europäischen nicht mit eingerechnet, welche letzteren über einen so ungebührlichen Zuwachs in das höchste Erstaunen gerieten.
   Jeder persische Diener hatte seine bestimmte Beschäftigung und würde es als eine besondere Beleidigung ansehen, mit einer Arbeit betraut zu werden, die nicht in sein Bereich gehörte. Wir geben hier eine Liste derselben, um den Nachweis zu liefern, mit welcher Umständlichkeit und zugleich welchen Kosten eine persische Haushaltung bis zur Hofhaltung des Schah hin verbunden ist.
   Zum ersten Range der Diener gehören die Pisch-khedmet. Sie besorgen den Dienst im Innern des Hauses und befinden sich stets in der unmittelbaren Nähe des Herrn. Einer, der Kaliandar, hat für die Wasserpfeife zu sorgen, ein anderer, Qawehtschi, bringt den Kaffee oder Tee. An ihrer Spitze, verantwortlich für alle begangenen Fehler und Nachlässigkeiten, steht der Oberste derselben oder der Pisch-khedmet baschi. Er erhält 4 bis 5 Toman an monatlicher Besoldung, Pisch-khedmet ein jeder 3 Toman.
   Diesen zunächst kommen die Ferrasch, welche die Zimmer und die Höfe reinigen, die Teppiche (farsch, daher der Name) legen und auf Reisen die Zelte aufschlagen müssen. Die Besoldung beträgt monatlich 2 bis 2 ½ Toman, ihr Chef, Ferraschbaschi, erhält einen Toman darüber.
   Die Gholam bilden eine Art Leibwache zu Pferde, begleiten den Herrn und dienen als Boten. Sie gehören zu den überflüssigsten Dienern eines Hauses, werden deshalb nur wenigen Personen unterhalten, dagegen, um den Pomp eines Auftrittes zu erhöhen, gelegentlich auf Tag und Stunde gemietet. An ihrer Spitze befindet sich ein Gholambaschi.
   Auch der Stall, der nach alten Reminiszenzen von den Persern als ein so geheiligter Ort angesehen wird, daß er selbst Verbrechern als unantastbares best oder Zufluchtsstätte, als Asyl dient, hat seine eigene Dienerschaft nach gewissen Rangabstufungen. Der Mir-akhur (Emir-akhur) oder Stallmeister führt die Oberaufsicht und ist zugleich Arzt. Die Dschelaudar sehen darauf, daß sich das Leder- und Sattelzeug stets in gutem Zustande befindet. Die Mether oder Stallknechte reinigen die Pferde, wobei von den letzteren gewöhnlich zwei oder drei auf einen Mann kommen. Aufsteigend beträgt der Lohn dieser Stallbedienten 1, 2 und 3 Toman.
   Sämtliche Diener, welche den gemeinschaftlichen Namen der Bädscheh (so viel bedeutend als das französische garçon) führen, müssen sich selbst beköstigen und bekleiden; nur an verschiedenen Festen des mohammedanischen Mondjahres oder des altpersischen Sonnenjahres, vor allen am Kurban Beiram (zu Ehren der Opferung Ismaels - so nennen die Mohammedaner den Opfersohn Isaak - durch Ibrahim, Abraham) und am Nau-ruz oder Neujahrsfeste erhalten sie Speisung und, haben sie ein volles Jahr im Dienste ausgehalten, Geschenke an neuen Kleidern. Sie gewinnen übrigens bei Einkäufen und durch Geschenke, meist erpreßt, so viel, daß sie sehr gute Nebeneinnahmen haben. Kein Bittsteller, kein Verkäufer betritt das Haus eines Vornehmen, ohne durch entsprechende Geschenke an die Diener die Gelegenheit einer Unterredung oder Verhandlung mit dem Herrn bar bezahlt zu haben. Häufig erhalten die Diener gar keine Besoldung, sondern leben von derartigen Gaben und ungerechten Einnahmen. Die Bädscheh sind dabei so unverschämt, lügnerisch, betrügerisch, gleißnerisch, daß sie einem Europäer das Leben in Persien blutsauer machen können. Es sind Faulenzer und Bazarläufer, die man sehr selten den Tag über im Hause findet, und die wenigen, die gegenwärtig sind, verrichten oftmals die aufgetragene Dienstleistung nicht, wenn diese nicht zu ihrem dienstlichen Amte gehört. Unzeitige Vornehmtuerei ist überhaupt ein Grundzug im Charakter der Teheraner, und wir glauben, fast aller Perser. Dabei wird die vornehme Stellung nur nach Kleidertracht und Dienerzahl, mit einem Worte nach dem leersten, prahlerischten und äußerlichsten Dingen beurteilt. Die Bädscheh rühmen sich der Größe ihrer Herren, und es entstehen zwischen den Dienern verschiedener Herren Streitigkeiten über Vorrang und höhere Stellung sogar mitten auf der Straße und in den Basaren, wobei nicht selten die Dolche aus den Scheiden fahren. Die Herren ergreifen durchweg die Partei ihrer Diener, ja die letzteren würden sie verachten und im Stich lassen, täten sie es nicht.
   Bei unseren Gegenbesuchen waren wir in der ersten Zeit unseres Aufenthaltes in Teheran genötigt, täglich mehrere Stunden durch die Straßen der Stadt zu reiten, so daß wir uns von Anfang an ein sehr bestimmtes Bild der äußeren Physiognomie von Teheran und seiner Bewohner einprägten. Wir wollen die Schilderung nur durch einige notwendige Angaben meist geographisch-topographischer Natur unterbrechen.
   Die Perser haben unter Leitung eines österreichischen Ingenieuroffiziers, des Sartip Krschisch, zugleich Lehrer an der Schule Dar-el-fenun in der Zitadelle, im Jahre 1275 [1858-59] der Hidschret einen recht guten Plan von Teheran entworfen und in Lithographie ausführen lassen. Den Erläuterungen in der Überschrift desselben entlehnen wir die Daten des folgenden Absatzes.
   Die Stadt, mit ihrem heiligen Namen als Dar-el-khelafeh (Wohnung des Kalifats) bezeichnet, liegt unter dem 35. Grad 40 Minuten nördlicher Breite und unter dem 49. Grad, 2 Minuten, 35 Sekunden östlicher Länge. Sie erhebt sich 1.500 französische Mètres über dem Meeresspiegel.
   In Gestalt eines Trapezes angelegt, dessen längste Seiten die nördliche und südliche Mauer bilden, ist die Stadt zunächst von einem tiefen, wasserlosen, etwa zwanzig Fuß breiten Graben umschlossen, der nur auf schlechten Holzbrücken, die in die Tore der Stadt hineinführen, überwunden werden kann. Dicht hinter dem Graben steigen die graufarbigen Erdmauern in die Höhe; in einer Entfernung von je fünfzig bis sechzig Schritten werden sie durch Türme unterbrochen, die in entsprechenden Abständen halb aus der Mauer hervortreten und wie diese mit Schießlöchern, Mauernasen und runden Zinnen versehen sind. Die Tore geben dem eintönigen Anblick einige Abwechslung. Sie bestehen aus Durchgängen, mit Turmnasen in der Höhe, zwischen Doppeltürmen, die meist aus buntglasierten Steinen mit hübschen Mustern aufgeführt sind und im innern, unbedeckten Torraume zu einem Hofe führen mit allerhand Wandmalereien, die meist Gegenstände aus dem Heldengedichte Firdusis, «Schahname», in modern persischer Auffassung behandeln.
   Die Stadt hat sechs Tore (derwazeh), nämlich an der nördlichen Mauer Derwazeh-i-dewlet oder das Tor des Reiches, welches unmittelbar in die Burg des Schah hineinführt, und auf derselben Seite Derwazeh-i-Schemiran oder das Tor von Schemiran oder Schimran, so benannt nach der Gegend am Fuße des Elburs, in welcher sich die Sommerwohnungen der reichen Teheraner befinden. An der östlichen Stadtmauer, in der Richtung nach Rei zu: das Tor Dulab (Derwazeh-i-dulab), an der südlichen: Derwazeh-i-Schahzadeh-Abdul-azim oder das Tor des Schahzadeh Abdul-azim, so geheißen nach dem gleichnamigen Dorfe, in der Entfernung einer Fersach vor demselben gelegen; und nach Westen zu: Derwazeh-i-Muhammedijeh, das Muhammedijehtor, auch unter dem Namen des Derwazeh-i-no oder des Neuen Tores bekannt. An der westlichen Mauer, und zwar nach südlicher Richtung hin, mündet das Tor von Qazwin (Derwazeh-i-Qazwin). Wie schon sein Name andeutet, führt dieses Tor und die daran stoßende Straße nach der Stadt Qazwin.
   Die Stadt, welche einen Umfang von etwa 3/4 deutschen Meilen [5,6  km] hat und eine Bewohnerschaft von 80.000 bis 120.000 Seelen zählt, je nachdem es Sommer oder Winter ist, besteht nach Angaben einer uns befreundeten persischen obrigkeitlichen Person aus 27.000 Haushaltungen, während unter Feth-Ali-Schah nur 18.000 Khanewar, unter Muhammed-Schah dagegen bereits 25.000 vorhanden waren. Zur Ernährung der Bewohner bedürfen die Bäcker täglich eines Quantums von 100 Khelwar Getreide (gendum), um das nötige Brot zu backen. Das sind die einzigen statistischen Angaben, die uns zu Gebote standen und die nur den Wert annähernder Richtigkeit haben. Eine genaue Zählung der Bevölkerung wurde am Schlusse des Jahres 1860 vorbereitet, ist aber bis jetzt [1862] noch nicht ausgeführt worden. Eingeschlossen in die obengenannten Zahlen sind noch acht Fotsch oder Regimenter Serbazen, die sich regelmäßig in gleicher Stärke in Teheran befinden.
   Die Stadt ist in vier Mehalleh oder Quartiere eingeteilt. Das beste und gesundeste in Bezug auf Wasser, Luft und Nahrung ist das Quartier von Awdladschan (gewöhnlich Awdladschun ausgesprochen), welches den ganzen Stadtteil im Osten der Burg einnimmt. Das Quartier von Sengeledsch, im Westen der Burg gelegen, bedeckt den ganzen westlichen Raum des Stadtplanes. Das Mehalleh-i-bazar oder das Quartier des Basars erstreckt sich im Süden der Burg bis zur südlichen Stadtmauer hin. Hierin liegen die Basare und Karawansereien. Das letzte Quartier, Tschal-i-meidan, niedrig gelegen, nimmt die Südostecke des Stadtplanes ein.
   Das Herz der Stadt bilden wie in allen Städten des Orients die Basare, in welchen fortdauernd eine große Menschenmenge hin und her wogt. Hier findet das öffentliche Leben seinen eigentlichen charakteristischen Ausdruck. Im Sommer gewähren die überwölbten Räume der Marktgassen Kühle und Schatten, im Winter schützen sie gegen Regen und Schnee. Von hier aus gehen wie Adern nach den einzelnen Toren der Stadt die Hauptstraßen Teherans. Die kleinen rechts und links abbiegenden Gassen derselben münden in einen Sack, so daß man eine sehr genaue Kenntnis der Stadt haben muß, um sich nicht zu verirren. Doch ist man stets auf richtiger Fährte, sobald man einen Teil der Basare erreicht hat.
   An schönen, luftigen Plätzen (meidan) hat die Stadt großen Mangel. Der heiterste und malerisch hübscheste ist der sogenannte Sebzeh-meidan oder Grüne Platz dicht vor dem Eingangstor der Burg von der innern Stadtseite her.
   Die letztere, ark-mubarek-sultani, die gesegnete Kaiserburg, genannt, liegt auf der Nordseite der Stadt, eingeschlossen im Osten von dem Quartier Awdladschan, westlich von dem Quartier von Sengeledsch. Über den Sebzeh-meidan mit seinen niedlichen Basaren, in denen europäische Luxuswaren, vor allem Glassachen, feilgeboten werden, und mit einem großen Wasserbassin in der Mitte, auf welchem Gänse und buntgefiederte Enten umherschwimmen, gelangen wir durch ein merkwürdiges Tor, aus buntglasierten Steinen aufgeführt (die unter dem Reichtum persischer Maurermalerei als Hauptfigur über dem Portal den persischen Löwen mit der aufgehenden Sonne erkennen lassen), zu einem gut gepflasterten Gang, der wie alle Straßen und Gassen der Burg abends durch Stearinkerzen in Laternen erleuchtet wird. Derselbe mündet in den großen Meidan der Burg (mit dem «gesegneten Kanonenhause» oder dem Artilleriedepot). Über der Tür, welche den Eingang zum Meidan gestattet, befindet sich eine offene Galerie oder bala-khaneh, von den Persern unter dem Namen Negareh-khaneh in der ganzen Stadt weit und breit bekannt. Des Abends, sowie die Sonne untergeht, ertönt von hier aus eine eigentümliche Musik. Trompeter, die in die lange altpersische Posaune stoßen, Pauker, welche unaufhörlich auf kleinen Handpauken trommeln, machen einen Höllenlärm, der über die ganze Stadt hin ertönt. Tänzer in Frauentracht müssen unter Begleitung kleiner Handcymbeln zu gleicher Zeit persische Tänze aufführen, so daß man glaubt, die ganze Bande auf der Galerie gehöre einem Tollhause an. Und doch kann man diese Musik und diese Tänze allabendlich in jeder größeren persischen Stadt hören und sehen, in welcher ein Gouverneur oder Khan residiert. Alte Sitte oder Gewohnheit hat den musikalisch-choregischen Scheidegruß an die Sonne bis jetzt treu erhalten.
   Von den drei Hauptseiten des mit Kanonen besetzten großen Platzes gehen nach allen Richtungen hin Tore und Portale, die in die Wohnungen des Schah, der Minister, der Beamten und der Soldaten führen. Zugleich mündet hier auch die große Hauptstraße, welche in nördlicher Richtung nach dem «Reichstore» führt.
   Der nach Osten gelegene Teil der Burg enthält die kaiserlichen Paläste (imaret), die Hallen (talar), Kioske (kulah-i-frengi), Galerien und Balkone (bala-khane), Gärten (bagh) und Teiche (derja) des Schah. Höfe, an deren Eingänge Wachtposten aufgestellt sind, schließen die «kaiserlichen» (sultani), «gesegneten» (mubarek) und «hohen» (alieh) Räume von der profanen Außenwelt ab. Sie enthalten außer den Gemächern für den Schah mehrere Häuser und Paläste, welche zu bestimmten, mit der Dewlet oder dem «Reiche» in Zusammenhang stehenden Zwecken dienen, oder als Aufenthaltsort einigen der vornehmsten Hofbeamten angewiesen sind. Wir wollen hervorheben das Haus, welches zum Empfange fremder Gesandten hergerichtet ist (sefaret-khaneh), das Schatzhaus oder khezanet-khaneh mit den kostbaren Juwelen und Kleinodien, welche einst Nadir-Schah im Kriege gegen den Großmogul von Hindustan, Muhammed, nach der Eroberung und Plünderung von Delhi im Jahre 1739 dem indischen Königshause raubte und in einem Triumphzug nach Persien führen ließ. Der Wert des indischen Raubes betrug nach höchster Schätzung 70 Millionen Pfund Sterling, nach niedrigster mehr als 30 Millionen. Am berühmtesten sind die beiden großen Diamanten kuh-i-nur, «Berg des Lichts», und der derja-i-nur, «Meer des Lichts», zwei Juwelen des persischen Reichsschatzes, welche vom Schah nur bei besonders feierlichen Gelegenheiten zur Schau getragen werden. Wenn der Schahinschah von Teheran abwesend ist, bezieht der Hakim oder Gouverneur von Dar-el-kelafeh das für ihn bestimmte Haus in der Burg und vertritt die Stelle des Herrschers. Es ist natürlich, daß ein solcher Ehrenplatz nur den vornehmsten und angesehendsten Personen in der Umgebung des Schah verliehen wird.
   Nach Westen zu, links von der Straße der Burg, liegen eine Menge von Gebäuden, die teils als Diwan-khaneh oder Sitzungszimmer, teils als Menzil oder Wohnstätte einzelner Wesire oder Minister, teils als Regierungsgebäude, wie zum Beispiel das Defter-khaneh oder die Rechnungskammer, teils als Ställe für die Pferde des kaiserlichen Hofes und der Artillerie und zu manchen anderen Zwecken verwendet werden.
   Zu den hervorragendsten Gebäuden im nördlichen Teile der Burg gehört zunächst die Wohnung des russischen Gesandten und seiner Beamten und Kosaken. Seit der Ermordung des Stellvertreters Seiner Majestät des Zaren und des gesamten Gesandtschaftspersonals im Jahre 1829 ist ein Übereinkommen getroffen worden, dem zufolge die russischen Diplomaten in der inneren Burg ihr Hotel aufzuschlagen haben. […]
   Zu freundlicheren Bildern gibt die Erwähnung eines zweiten Gebäudes Veranlassung, das in der Nähe des russischen Gesandtschaftshotels gelegen ist und den Namen Dar-el-fenun führt. Es ist dies eine polytechnische Schule, in welcher französische, englische und persische, mit europäischer Wissenschaft vertraute Lehrer (moallin) Unterricht in der Mathematik, Physik, Chemie, Medizin, Pharmakologie und in der französischen Grammatik erteilen. Das Gebäude ist in Gestalt eines regelrechten Vierecks angelegt. In der Mitte befindet sich ein großer Hof mit Gartenanlagen und dem unvermeidlichen Bassin. Ringsherum liegen hinter einem von Säulen gestützten Umgang die Schulzimmer, etwa vierzig an der Zahl, mit Türen und großen Fenstern nach der Hofseite hin. Die Schüler, junge und alte, sitzen auf Teppichen oder niedrigen Bänken. In der Bibliothek (kitab khaneh), welche unter einem Kitabdar steht, sind viele europäische, meist veraltete Lehrbücher (auch manches deutsche Buch) vorhanden. Die persischen, aus dem Französischen übersetzten wissenschaftlichen Werke, ohne Ausnahme in Teheran lithographiert und gedruckt, bilden den Hauptbücherschatz. Eine Sammlung chirurgischer, astronomischer und anderer, besonders zu Messungen dienenden Instrumente sind als wissenschaftlicher Apparat ausgestellt.
   Die Stadt Teheran besitzt einige mohammedanische Schulen (madrasseh), meist Stiftungen frommer Männer, in welchen vorzugsweise die theologische Wissenschaft von hochgebildeten Mollahs gelehrt und gepflegt wird, daher sich dieselben gewöhnlich in der unmittelbaren Nähe einer Moschee (mesdsched)befinden. […]
   Im Ganzen befinden sich 17 Schulen und 11 Moscheen in Teheran. Dazu kommen 4 Imamzadeh oder Kapellen berühmter Heiliger. Neben den theologischen Hochschulen existiert in Teheran eine große Zahl von Privatkinderschulen. Hier unterrichtet der Akhun oder Schulmeister die Knaben, eine weibliche Lehrerin, meist seine Frau, die Mädchen. Der ganze Unterricht beschränkt sich größtenteils auf die Erlernung der persischen Schrift und auf das Lesen des Korans. Die Kinder gehen früh morgens in die Schule und kehren nach fünf Stunden in die Wohnung der Eltern zurück. Das Schulgeld beträgt monatlich fünf Qran oder ein wenig über anderthalb Taler. Haben die Kinder den Koran lesen gelernt (die Fleißigen gewöhnlich schon nach Verlauf eines halben Jahres), so schicken die Eltern dem Akhun Zuckerwerk und einen goldenen Toman oder mehr, je nach ihren Verhältnissen, als Geschenk. Prügel (auf die Fußsohlen) gibt es in der Schule genug, wenigstens klagen die Kinder sehr darüber.
   Gegen vierzig Qaraul-khaneh oder Wachtposten, jeder mit einer Besatzung von etwa zehn Serbazen ausgerüstet, welche durch die ganze Stadt hin zerstreut sind, sorgen für die öffentliche Ruhe und Sicherheit bei Tag und bei Nacht. Bei dem unruhigen Charakter der Bevölkerung ist diese Einrichtung als eine weise Vorsichtsmaßregel nur zu loben. Die Schildwache steht in der bequemsten Stellung Posten; wenn sie nämlich nicht lang ausgestreckt schläft, so sitzt sie wenigstens plaudernd, essend, strickend oder sonst mit einer «weiblichen Handarbeit» beschäftigt da; Gewehr und Waffen sind beiseite gelegt.
   Die Bevölkerung Teherans besteht der Hauptmasse nach aus Tadshiks oder seßhaften Persern, welche in Körperbildung und in der Physiognomie eine große Verwandtschaft mit den persischen Ureinwohnern bekunden, wenn es gestattet ist, den Bildern von Persepolis Glauben zu schenken. Es sind durchweg schöne Menschen von mittlerer Größe, welche die Vorzüge der kaukasischen Rasse mit den Eigentümlichkeiten orientalischer Schönheit verbinden. Sie haben schwarze, brennende Augen, darüber rund gewölbte und über der Nase zusammenstoßende Augenbrauen und lange, vortreffliche Bärte. Die stürmischen Einfälle, welchen im Laufe der Geschichte das Land Iran, vor allen von Osten her, ausgesetzt war, und die Anwesenheit fremdländischer Dynastien mit ihrer Begleitung in dem von ihnen zeitweise beherrschten Perserreiche geben eine genügende und befriedigende Erklärung für die Mischung der Rassen, welche in Teheran und in anderen Städten Persiens (in sehr ausgeprägter Weise vorzugsweise in Isfahan) den reinen iranischen Typus verwischt hat. Ja, es ist Wunder zu nennen, daß im Durchschnitt der uralte, durch die Denkmäler überlieferte Charakter sich so rein hat erhalten können. Hellenen, Semiten, turanische Völker und eine mehr als zweitausendjährige Geschichte haben ebensowenig die äußere Gestalt der altpersischen Rasse zerstören können, als sie imstande waren, die geistigen Anlagen, den Charakter und die Sprache der alten Iraner aus dem Buche der Geschichte zu streichen. Sir Henry Rawlinson, der berühmte Entzifferer der Keilinschriften, zur Zeit unserer Ankunft in Teheran Gesandter Ihrer Majestät der Königin von England in Persien, einer der besten und gründlichsten Kenner des Landes Iran und seiner Bewohner, versicherte uns, daß Persien heute gerade ebenso sei wie zu den Zeiten des Cyrus; dieselben Einrichtungen, derselbe Charakter, dieselben Intrigen und so weiter.
   Neben den seßhaften Epigonen der alten Perser bewohnen Mitglieder einzelner Nomadenstämme kurdischer und turkomanischer Herkunft [Teheran], von der kaiserlichen Tribus des Kadscharenstammes an (deren Stammältester oder Khan der regierende Schah nicht ist) bis zu den turkomanischen Kriegsgefangenen hin, welche, von den schiitischen Persern als Sunniten sehr verachtet und bedrückt, in einem ärmlichen Viertel (in der mehalleh-i-turkmanha im Süden des großen Standquartiers Sengeledsch) in niedrigen Erdhütten mit Kuppeldächern ihr elendes Dasein fristen. Neben ihnen haben Araber, Afghanen, Hindu und andere Grenznachbarn Persiens einen nicht unbeträchtlichen Anteil an der Bevölkerung der Stadt. Sie erinnern durch ihre Anwesenheit an vergangene Zeiten der persischen Geschichte, in denen große Völkerbewegungen wie Flut und Ebbe das iranische Hochland bald überschwemmten, bald sich verliefen, hier und da sporadisch stagnierenden faulen Niederschlag zurücklassend. Der Jude des Orients, der Armenier, und der wirkliche, von den Persern sehr unterdrückte und verfolgte Jude verschwinden als sehr geringe Bestandteile in der Teheraner Bevölkerungsliste. Beide haben als Andersgläubige allein einen besonderen Anspruch auf Erwähnung inmitten der schiitischen Mohammedaner. Dasselbe darf von den Gebern oder den Parsen gelten, welche in sehr unbedeutender Zahl zerstreut in Teheran leben und als späte Jünger des Zoroaster oder Zerduscht eine besondere Aufmerksamkeit bei den Europäern erregen. Sie haben den Ruf als ehrliche Leute - faqir adam, armes Volk, heißt man sie allgemein - eine sehr seltene und gewichtige Bezeichnung in Persien, und stehen gegenwärtig unter einem verständigen, mit europäischen Sitten und Gewohnheiten sehr vertrauten Führer, dem Kaufmann Manuktschi. Nachdem, wie ich höre, die französische Regierung denselben im vergangenen Jahre 1861 zum Konsul in der Gebernstadt Jesd ernannt hat, versteht es sich von selbst, daß die Lage der Geber durch eine solche Stellung ihres Hauptes sich wesentlich verbessern wird.
   Von der Bevölkerung Teherans pflegen alljährlich an 40.000 wanderlustige Seelen die Stadt zu verlassen, um Ende Mai und Anfang Juni nach den nahe gelegenen Höhen des Elburs in die Sommerquartiere zu ziehen und unter Zelten ein vornehmes Nomadendasein zu führen. Der Schah selber, als Abkömmling eines Nomadenstammes, ist der Wanderlust so wenig abhold, daß er es eigentlich ist, welcher für alle übrigen das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch gibt. Die Hofbeamten, meist zur Kadscharentribus und zu andern verwandten Stämmen gehörig, die europäische und asiatische vornehme Welt, ein Teil der ärmeren Klasse, welche das Nomadenleben nicht vergessen kann, folgen dem Schah und retten sich in die Berge, während die ansässige Perserwelt in Teheran der Sonne und den Plagen sommerlicher Hitze in der Stadt Trotz bietet und bei saurer Milch, Wassermelonen und Eis ruhig den Geschäften des gewöhnlichen Lebens obliegt.
   Die lustige, heitere Bevölkerung Teherans, aus einem wunderlichen Völkeramalgam bestehend, dessen gemeinsames teheranisches Erbteil der angeborene Witz und Spott ist, gehört nach der Lebensstellung der einzelnen je einer der nachfolgenden Kasten an, die sich ziemlich streng voneinander unterscheiden, wenn sie auch weder durch Abstammung und Rassentrennung, noch durch Name, noch durch Gewohnheit in irgendeiner Weise mit den indischen zu vergleichen sind: zu den Priestern, Beamten, Kriegern, Kaufleuten, Handwerkern und Lutis oder den Bummlern.

 

Brugsch, Heinrich
Reise der k. preussischen Gesandtschaft nach Persien 1860 und 1861
Band 1, Leipzig 1862

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!